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Der Kreml will die QR-Codes entpolitisieren


Die KPRF hat versprochen, die in die Staatsduma eingebrachten Regierungsinitiativen zur Einführung von QR-Codes an öffentlichen Orten und im Transportwesen an das Verfassungsgericht weiterzuleiten. Die Kommunisten treten aktiv dagegen auf, verstehen aber augenscheinlich, dass die Gesetze in den geplanten Zeiträumen angenommen werden. Experten haben der „NG“ bestätigt, dass nicht mit einer Aufgabe solcher Pläne zu rechnen sei. Die Ursachen für den Aufschub der Behandlung der Gesetzesvorlagen würden darin bestehen, dass der Kreml versuche, die weitere Politisierung der QR-Codes zu stoppen.

KPRF-Chef Gennadij Sjuganow hat mitgeteilt, dass man in der Partei Verstöße gegen „sechs Artikel der Verfassung“ festgestellt hätte. Er erklärte gleichfalls, dass die Gesetzentwürfe der Regierung von Premier Michail Mischustin über die QR-Codes „einen provokativen Charakter tragen“. Da sich jedoch die Linken anschicken, sich an das Verfassungsgericht zu wenden, so bedeutet dies, dass sie nicht daran zweifeln, dass die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) diese Initiativen billigen wird.

Die Entscheidung des Rates der Staatsduma vom 15. November, die Dokumente für einen Monat zu ihrem Studium durch unterschiedliche Machtorgane und alle Regionen zu versenden, beeilte man sich in der KPRF schon, als einen gewissen Zwischenerfolg des öffentlichen Unmuts über die neuen bevorstehenden Restriktionen zu erklären. Das heißt, da der Kreml eine Zunahme der Proteststimmungen gesehen habe, habe er sofort auch beschlossen, auf die Bremse zu treten. Der Staatsduma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin erklärte jedoch schon den Abgeordneten, dass die verantwortungsvolle Zeitspanne darin bestehe, nicht die Politik in die Diskussion über die COVID-Bekämpfung hineinzuziehen.

In den Regionen erfolgen hier und da in der Tat Aktionen gegen das Versehen der Bevölkerung mit QR-Codes. Und obgleich bereits auch Vertreter der linken Kräfte auf die Straße gehen, sind dies verstreute spontane Aktionen. Den politischen Kräften steht noch bevor, den Versuch zu unternehmen, sie in den Griff zu bekommen. Ein Monitoring der sozialen Netzwerke und regionalen Medien zeigt, dass beispielsweise Einwohner von Samara, Woronesch, Jekaterinburg, Irkutsk, Ulan-Ude, Tjumen, Slatoust im Tscheljabinsker Gebiet und Jelisowo auf Kamtschatka Unmut bekundeten. Meistens nehmen die Protestierenden einfach Appelle an den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, wobei sie gerade von ihm fordern, die Behörden zu zwingen, die Verfassungsrechte der Bürger einzuhalten, die angeblich nach der Einführung der QR-Codes verletzt werden würden.

Vom Prinzip her ist offensichtlich, dass solche Gesetzentwürfe ohne die Billigung von ganz oben nicht auftauchen konnten. Und folglich ist auch das Kommando zum Aufschub ihrer Behandlung wahrscheinlich ebenfalls von dort gekommen. Freilich ist bisher unklar, ob dies eine Fortsetzung des früheren Trends ist, als der Präsident offenkundig nicht die alleinige Verantwortung für die neuen Restriktionen übernehmen wollte, oder ob eine Säuberung des Informationsfeldes vor der Jahresabschluss-Pressekonferenz Putins im Dezember beginnt. Letzteres belegt auch der Sprung in der Statistik der Coronavirus-Erkrankungen in Richtung einer Verringerung gerade in den wichtigsten Großstädten des Landes. Die Experten haben unterschiedliche Versionen aufgezählt, sind sich aber in der Meinung einig gewesen, dass es keinen Verzicht auf den Plänen bezüglich der QR-Codes ganz bestimmt nicht geben werde. Und wahrscheinlich ist dies wirklich ein Versuch, die Politisierung der Frage zu verringern, gleichzeitig aber auch deren Billigung durch alle Offiziellen und Regionen zu erreichen. Etwa entsprechend jenem Schema, das der Behandlung von Verfassungsänderungen zugrunde liegt.

Sergej Obuchow, der Leiter des analytischen Zentrums der KPRF, ist der Auffassung, dass „man die Annahme der Gesetze aufgrund der starken negativen Reaktion der Gesellschaft aufgeschoben hat. Und deshalb wurde beschlossen, sich der Unterstützung der Abgeordneten der gesetzgebenden Versammlungen (der Regionalparlamente – Anmerkung der Redaktion) zu versichern“. Wahrscheinlich hat man entschieden, vermutet er, die Gesetze unmittelbar vor den Neujahrsfeiertagen zu verabschieden, wenn den Menschen nicht der Sinn nach Protesten stehe. Und natürlich soll auch die Jahrespressekonferenz des Staatsoberhauptes auf einem positiven Niveau erfolgen, vor dem Hintergrund eines gewissen Sieges über COVID-19, wie dies bereits vor dem Verfassungsplebiszit und den Wahlen zur Staatsduma gewesen war. Emilia Slabunowa, „Jabloko“-Abgeordnete in der karelischen gesetzgebenden Versammlung, erläuterte der „NG“: „Man hat die Initiative vorerst aufgeschoben, da die Herrschenden begreifen, dass eine drastische Annahme des restriktiven Gesetzes einen massiven Widerstand der Gesellschaft auslösen werde. Es besteht das Ziel, den Protest in die Länge zu ziehen, ihn abzuschwächen. Außerdem möchte der Kreml natürlich die kollektive Verantwortung der gesamten Herrschenden zeigen. Da sind sowohl die Staatsduma als auch die Regionen und Rospotrebnadsor (Russlands Hygieneaufsicht und Verbraucherschutzbehörde – Anmerkung der Redaktion). Putin erinnert sich auch ausgezeichnet an die Rentenreform und die Monetisierung der Vergünstigungen. Und die Herrschenden möchten keine Wiederholung dieser Geschichten. Folglich bewahrt man den Präsidenten vor einem Schlag. Und es stört nicht, ein weiteres Mal die Reaktion der Gesellschaft zu überprüfen. Die Vertreterin der „Jabloko“-Partei hat dabei nicht ausgeschlossen, dass bei der Jahrespressekonferenz des Präsidenten „Wünsche von Werktätigen“ hinsichtlich einer totalen Vakzinierung und Einführung von QR-Codes erklingen können. Und bis dahin kommen auch positive Reaktionen aus den Regionen. Der Präsident selbst kann auch den Bürgern, die sich impfen ließen, irgendwelche stimulierenden Maßnahmen versprechen. Slabunowa ist sich gewiss, dass man die Gesetze auf jeden Fall nicht zurückziehen werde, obgleich sie letzten Endes möglicherweise nicht in einer solch strengen Variante realisiert werden.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, erläuterte der „NG“, dass die Offiziellen mehrere Erwägungen gehabt hätten, um die Annahme des Gesetzes zu verschieben. Die erste und hauptsächlichste sei die Notwendigkeit, „das Problem mit den eigenen (Leuten) zu lösen“, als der konservativste und auf den Staat eingestellte Teil der Gesellschaft gegen die QR-Codes aufzutreten begann, und mit ihm auch die Peripherie des Elektorats der Herrschenden. „Natürlich, die loyalsten haben sich schon längst impfen lassen. Aber was mit denjenigen tun, die die Herrschenden unterstützen, aber nicht bereit sind, ihnen hinsichtlich der Vakzinierung Gehör zu schenken? Daher können die Offiziellen nicht alle Vakzinierungsgegner zu fremden erklären. Sicherlich wird unter den Anhängern und Aktivisten gearbeitet werden, um von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen“, vermutete er. Ein zweites Moment ist die Notwendigkeit eines technischen Durcharbeitens der Mechanismen für die Umsetzung der Gesetze – vor allem der Erhalt und die Vorlage der QR-Codes. Überdies sie jetzt nicht klar, ob sie diejenigen erhalten werden, die bereits erkrankt waren, und diejenigen, die sich früher impfen ließen. Makarkin selbst merkte an, dass, als er sich im August impfen ließ, ein Zertifikat erhielt, in dem keinerlei Code war. Daher bestehe die Absicht, die Wortlaute zu überarbeiten, damit nach Annahme des Gesetzes alles ohne weitere Störungen und Überarbeitungen über die Bühne gehe. Nach Meinung von Makarkin würden die Offiziellen ihr Timing aufgaben. Und die Gesetze würden noch in diesem Jahr angenommen werden. Der Experte schloss aber eine Verteilung von „Zuckerbroten“ bei der Putin-Pressekonferenz nicht aus, obgleich es insgesamt haushaltsbedingte Schwierigkeiten mit solchen geben würde. Folglich werde der Präsident bei seiner Veranstaltung wahrscheinlich auf die Meinung der Mediziner-Community und wissenschaftliche Untersuchungen verweisen. Letzten Endes werde er die zu ergreifenden Maßnahmen zumindest damit erklären, dass, „selbst wenn jetzt die Erkrankungsrate zurückgeht, eine vierte Welle erwartet wird“.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow unterstrich: „Beginnen wir damit, dass die Impfkampagne weiter an Tempo gewinnt und die Erkrankungsrate endlich geringer wird. Dafür nehmen aber die Proteststimmungen scheinbar zu. Das Hinausziehen der Annahme der Gesetze hängt damit sowohl mit den Stimmungen in der Gesellschaft als auch mit der Notwendigkeit einer zusätzlichen juristischen Überarbeitung dieses nicht unumstrittenen Themas zusammen. Bedeutet dies, dass die Herrschenden Angst vor Massenprotesten bekommen haben und bereit sind, sich auf Zugeständnisse einzulassen? Nein, die Offiziellen minimieren einfach die Risiken und Gefahren“. Nach seiner Meinung sei der Kreml wohl kaum durch den Volkszorn in Gestalt von Posts in den sozialen Netzwerken und durch Flashmobs auf Plätzen verschreckt worden. Da aber die Offiziellen jegliche, selbst die geringste Wahrscheinlichkeit eines Straßenprotests ausschließlich nervös aufnehmen, sei offensichtlich beschlossen worden, solch eine Wahrscheinlichkeit auf Null zu reduzieren. „Es macht keinen Sinn, von den Offiziellen irgendeine ernsthafte Korrektur des Projekts und umso mehr ein Zurückweichen zu erwarten. Jedoch sind irgendwelche einzelne Korrektive durchaus möglich. Wahrscheinlich besteht der taktische Plan darin, der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, einen klaren Kopf zu bekommen, sich mit dem Gedanken der Unausweichlichkeit der Verleihung von QR-Codes abzufinden und en passant sich an das Leben unter ihren Bedingungen zu gewöhnen. Schließlich gelten QR-Codes bereits faktisch überall. Es wird auch damit gerechnet, dass innerhalb eines Monats die Zahl der Geimpften wesentlich zunehmen und sich die Zahl der Unzufriedenen dementsprechend verringern wird. Mit einem Wort, die Offiziellen verschieben einfach ein wenig die Annahme des Gesetzes, wobei sie annehmen, dass es in einem Monat bereits als ein notwendiges aufgefasst wird und alles ohne ernsthafte Proteste über die Bühne gehen wird. Dazu kommt wahrscheinlich, dass man die System- (die parlamentarische – Anmerkung der Redaktion) Opposition bearbeiten wird, um ihren, wenn auch symbolischen Widerstand auszuschließen“, unterstrich der Experte. Und das Wichtigste sei, dass alles getan werde, damit Mitte Dezember die Bürger sehen: Das politische System des Landes ist ein monolithisch geschlossenes. Jegliche legale Ablehnung ist ausgeschlossen.