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Der Partei „Georgischer Traum“ hat man einen Weg in die Zukunft aufgezeigt


Am Abend des 9. April fand im Herzen von Tbilissi der „Marsch der Freiheit“ statt, dessen Teilnehmer gegen eine Verabschiedung des Gesetzes über ausländische Agenten protestierten. Solch eine Aktion war ebenfalls dem 35. Jahrestag des Auseinandertreibens eines antisowjetischen Meetings in der georgischen Hauptstadt, dessen Opfer 19 Menschen und bei dem rund 280 verletzt geworden waren, gewidmet. Die Protestierenden erklärten, dass sie die europäische Zukunft der Republik verteidigen würden. Allerdings hat die regierende Partei „Georgischer Traum“ nicht die Absicht, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Sie beunruhigen auch nicht die zahlreichen Warnungen der westlichen Partner, wonach das Land die europäische Perspektive verlieren könne.

In Georgien schaukeln sich allmählich die Proteststimmungen hoch. Am Montag hatten mehrere hundert Menschen am Parlamentsgebäude in Tbilissi Mahnwachen durchgeführt, um eine Annullierung der Behandlung des Gesetzes über ausländische Agenten zu erreichen. Am Dienstag zogen mehrere tausend Oppositionelle mit Flaggen Georgiens und der Europäischen als ein Marsch vom Platz der Republik bis zur Nationalversammlung durch das Stadtzentrum. Bemerkenswert ist, dass die Aktionen bisher keine politischen Parteien organisieren, deren Popularitätsrating oft um die fünf Prozent liegen, sondern Nichtregierungsorganisationen, die bei den Georgiern mit einer Zukunft in der Europäischen Union assoziiert werden.

Georgiens Präsidentin Salome Zurabishvili vermochte sich auch nicht zurückzuhalten. Nach ihren Worten werfe der Gesetzentwurf über ausländische Agenten für die Georgier die Frage auf, welchen Weg sie für ihr Land wählen sollen – Unabhängigkeit oder Sklaverei.

Dennoch berichtete Chatia Chutashvili vom Zentrum für Studien Zentralasiens, des Kaukasus sowie des Ural- und Wolgagebietes im Institut für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften der „NG“, dass es in diesem Jahr keine so großen Proteste wie im Jahr 2023 geben könne. „Im vergangenen Jahr dauerte die Erörterung des Gesetzes rund einen Monat, wonach Zusammenstöße auf den Straßen begannen. Dieses Mal sei aber die Hitze der Leidenschaften scheinbar geringer. Im Jahr 2023 hatten es die Menschen für ihre Pflicht angesehen, in den sozialen Netzwerken nicht bloß einen Post gegen das Gesetz über ausländische Agenten zu veröffentlichen, sondern diesem auch ein Foto beizufügen, das die Teilnahme an einer Mahnwache oder einem Meeting bestätigte. Heutzutage gibt es so etwas nicht. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass im April viele begonnen haben, sich auf den Beginn der Tourismus-Saison und die Parlamentswahlen vorzubereiten“, meinte sie. (Freilich darf auch nicht vergessen werden, dass in der kommenden Woche erst der erste Parlamentsausschuss den Gesetzentwurf behandeln wird, und für viele Georgier ist gleichfalls die erstmalige Teilnahme des Landes an einem UEFA-EM-Turnier wichtiger. – Anmerkung der Redaktion)

Nach Aussagen von Chutashvili würde ein erheblicher Teil der Georgier die Auffassung vertreten, dass das Gesetz über ausländische Agenten insgesamt nötig sei, da sich im Land eine große Anzahl von Ausländern niedergelassen habe. Und man müsse sie aus Sicherheitsgründen im Auge behalten. Zur gleichen Zeit erkläre die Regierung nicht, wie ihre Initiative funktioniere soll. Da in der Gesetzesvorlage lediglich die Grenze für eine ausländische Finanzierung mit 20 Prozent festgeschrieben wurde. Es gibt aber keine Angaben zu den Tätigkeitsbereichen der Nichtregierungsorganisationen. Folglich habe sich in der Gesellschaft der Gedanke festgesetzt, dass jeder x-beliebige zu einem ausländischen Agenten werden könne. Überdies würden sich die Menschen darüber Sorgen machen, dass der Status außergerichtlich festgelegt werde. „Wenn die Herrschenden Änderungen an ihrer Gesetzesvorlage vornehmen und den Menschen deren Ziele und Aufgaben erläutern, werden die Proteststimmungen aufhören“, meint Chutashvili.

Derweil haben sich in der letzten Woche scheinbar bereits alle gegen die Initiative der Partei „Georgischer Traum“ gewandt, die es nur konnten. Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte beispielsweise, dass das Gesetz über ausländische Agenten die demokratische Entwicklung des Landes untergraben würde. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat in ihm eine Bedrohung für eine freie Meinungsäußerung ausgemacht. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ rief die georgischen Offiziellen auf, die Nichtregierungsorganisationen und Massenmedien nicht einzuschüchtern.

Die Ausschussvorsitzenden für internationale Fragen in den Parlamenten Tschechiens, Dänemarks, Estlands, Frankreichs, Deutschlands, Irlands, Italiens, Lettlands, Litauens, Norwegens, Polens und Großbritanniens hielten die Gesetzesvorlage über ausländische Agenten für einen feindseligen Schritt hinsichtlich der europäischen Bestrebungen des georgischen Volkes und dessen Zukunft. Nach ihrer Auffassung sei das Ziel der Initiative, „die aktive proeuropäische Zivilgesellschaft und den Nichtregierungssektor Georgiens zu stigmatisieren und zu schwächen“. Parallel dazu haben die Botschafter der EU-Länder in Republik einen gemeinsamen Appell an die dortige Bevölkerung veröffentlicht, in dem sie berichteten, was es bedeute, Teil der europäischen Familie zu sein. Sie erinnerten an die Sicherheit, ein Wirtschaftswachstum und die Möglichkeiten für die neuen Generationen.

Ihrerseits haben georgische Nichtregierungsorganisationen eine Liste von Vertretern der herrschenden Elite des Landes publiziert, die früher selbst in westlichen Nichtregierungsorganisationen arbeiteten. So arbeitete Premierminister Irakli Kobakhidse neun Jahre lang in Organisationen, die mit den USA und der UNO verbunden sind, und Parlamentschef Shalva Papuashvili arbeitete 17 Jahre in einer bundesdeutschen Stiftung. Givi Mikandse, der Vorsitzende des Wissenschafts- und Bildungsausschusses im Parlament, erhielt zehn Jahre lang eine Finanzierung vom Europarat, der OSZE, der UNO und der EU. Neue Jahre lang lebte der Vorsitzende des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses Rati Ionatamishvili mit Geldern der Europäischen Union und von USAID (einer Organisation, deren Tätigkeit in Russland als unerwünscht eingestuft wurde). Den Ausschuss für auswärtige Verbindungen leitet Nikoloz Samkharadse, der elf Jahre lang für Programme der EU und der UNO arbeitete.

Ungeachtet dessen versicherte Archil Sikharulidze, Gründer der Stiftung SIKHA Initiative, der „NG“, dass niemand Georgien die europäische Initiative nehmen könne, da sie vom Prinzip her nicht real sei. Außerdem schicke sich die Europäische Union selbst an, ein ähnliches Gesetz zu verabschieden, weshalb derartige Drohungen an die Adresse von Tbilissi merkwürdig aussehen würden.

„Die Opposition und der Nichtregierungssektor sind der Auffassung, dass das Gesetz teilweise eine Fortsetzung der Wahlkampf-Kampagne sei. Wenn sie die Ergebnisse der Parlamentswahlen nicht anerkennen (die sollen am 26. Oktober abgehalten werden – Anmerkung der Redaktion), wird die Partei „Georgischer Traum“ erklären können, dass die ausländischen Sponsoren nicht für eine Anhebung des Wohlstands der Georgier, sondern für ein Hochschaukeln der politischen Situation Gelder ausgaben, was in der Gesellschaft nicht sehr gut aufgenommen wird. Die Mehrheit der Georgier will wohl kaum, dass amerikanische, europäische oder russische Gelder für eine Unterstützung von Protesten ausgegeben werden“, betonte Sikharulidze. Aus seiner Sicht würden es die Gegner der Partei „Georgischer Traum“ wahrscheinlich bevorzugen, einen Sieg im Frühjahr auf der Straße und nicht im Herbst bei den Parlamentswahlen zu erreichen. Die Hauptthese der Opposition laufe darauf hinaus, dass man im Falle ihres Machtantritts das Land sofort in die EU aufnehmen werde. „Selbst die banalsten Dummköpfe begreifen, dass dies nicht möglich ist“, resümierte Sikharulidze.