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Der „Petersburger Dialog“ ist gescheitert


Auf der Internetseite des „Petersburger Dialogs“ ist eine Mitteilung über dessen Auflösung im 1. Quartal 2023 aufgetaucht. Als Begründung für diesen Schritt heißt es: „Angesichts des verbrecherischen Angriffskrieges und der Frontstellung gegen die westlichen Demokratien ist ein Dialog in diesem Format nicht mehr möglich“. Die Mitteilung ist mit dem 22. November 2022 datiert worden.

Es sei daran erinnert, dass das Forum der Zivilgesellschaften Russlands und Deutschlands im Jahr 2001 auf Initiative und unter der Schirmherrschaft von Russlands Präsident Wladimir Putin und Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder gebildet wurde. Sein Hauptziel war die Schaffung einer zuverlässigen Grundlage für die Entwicklung der russisch-deutschen Beziehungen durch eine Erweiterung der Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften beider Länder. Betont wurde, dass der „Petersburger Dialog“ das gegenseitige Verstehen zwischen dem russischen und dem deutschen Volk verbessern sollte.

Die Bildung des Forums erfolgte vor dem Hintergrund einer generellen rasanten Entwicklung der russisch-deutschen Beziehungen und einer Verstärkung der Positionen der Russischen Föderation in der internationalen Arena. Zu jener Zeit existierte die Vorstellung von der Möglichkeit der Schaffung eines stabilen Wirtschaftsbündnisses zwischen Europa und Russland, das sich von Lissabon bis nach Wladiwostok erstreckt. Die Vorteile eines derartigen Bündnisses waren offensichtlich. Und Deutschland als die größte Industrienation Westeuropas verspürte sie bald in vollem Maße durch den Erhalt preisgünstiger Energieressourcen aus Russland.

Der „Petersburger Dialog“ war für einen offenen Meinungsaustausch zwischen Vertretern politischer Strukturen, Vertretern aus Wissenschaft und Kultur sowie Repräsentanten von Geschäftskreisen, aber auch der Zivilgesellschaft der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland etabliert worden. Das Forum tagte einmal im Jahr – im Wechsel auf dem Territorium Russlands und Deutschlands.

Was ist aber nicht so gelaufen? Es muss gesagt werden, dass sich Fragen hinsichtlich der Tätigkeit des „Petersburger Dialogs“ auch früher ergeben hatten. Und verbunden waren sie mit der schwierigen Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Ländern. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sprich: zur Einstellung dessen Tätigkeit führte, war die Schließung einer ganzen Reihe deutscher nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) durch die russische Seite.

Drei NGOs (das Forum russischsprachiger Europäer, das Zentrum Liberale Moderne und der Deutsch-russische Austausch) wurden im Mai 2021 in Russland als unerwünschte anerkannt. Und faktisch war es ihnen untersagt worden, im Putin-Reich zu arbeiten. Wie es in einer offiziellen Mitteilung hieß, hätten russische Untersuchungsbeamte ermittelt, dass das Wirken dieser Vereinigungen eine Gefahr für die Verfassungsordnung und Sicherheit Russlands darstellen würden. Präsident Putin hatte zuvor ein Gesetz unterschrieb, auf dessen Grundlage diese Organisationen auch als unerwünschte anerkannt worden waren.

Danach geriet die NGO „Dekabristen e. V.“ unter ein Verbot. Laut Angaben des zuständigen Aufsichtsorgans hätte diese Organisation gleichfalls die Verfassungsordnung und Sicherheit Russlands gefährdet. Später stufte die Generalstaatsanwaltschaft Russlands die Tätigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung, die den bundesdeutschen Grünen nahesteht, als eine unerwünschte ein. Gegenwärtig ist in Russland bereits praktisch keine einflussreiche deutsche NGO mehr geblieben. Die letzte von ihnen – die den Sozialdemokraten nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung – hat Russland mit Beginn der international kritisierten militärischen Sonderoperation in der Ukraine verlassen.

In Deutschland wurde dies alles mit Unverständnis aufgenommen, da die verbotenen deutschen Organisationen für einen Dialog und ein Einvernehmen zwischen den Völkern aufgetreten waren. Die deutsche Seite hatte Moskau eindringlich aufgerufen, die getroffenen Entscheidungen aufzuheben.

In Russland aber hatte die zunehmende Rolle von NGOs bei der Realisierung des innen- und außenpolitischen Kurses führender Länder der Welt erlaubt, sie ungeachtet des Nichtregierungsstatus als ein wirksames Instrument zur staatlichen Lenkung gesellschaftlicher Prozesse zu bewerten, aber auch als eines der Schlüsselelemente für das entstehende System einer transnationalen Steuerung per Internet.

Anton Demidow aus dem Zentrum für die Koordinierung von Studien des Russischen Instituts für strategische Forschungen hatte seinerzeit geschrieben, dass das Spektrum der Aufgaben, die mittels der NGOs gelöst werden, variieren können – von der Schaffung eines positiven Images und der Gestaltung eines Netzes von Geschäftskontakten für die Business-Community bis zum Aufzwingen von für den Auftraggeber vorteilhafter erfassbarer und nichterfassbarer Verhaltensmodelle (inklusive eines aggressiven Aufzwingens) und zur Mobilisierung eines erheblichen Teils der Bevölkerung für unterschiedliche Zwecke, darunter destruktiver Art.

Die Frage stand für den Kreml vor allem aus geopolitischer Sicht, und zwar: Wer übt auf die Öffentlichkeit und Politiker den größeren Einfluss aus – Russland oder der Westen?

Im Zusammenhang damit macht es Sinn, sich der bekannten Formel des großen deutschen sozialdemokratischen Politikers Willy Brandt zu erinnern. Bei der Verfolgung seiner neuen Ostpolitik hatte er die Formel „Wandel durch Annäherung“ verkündet.

Diese Politik hatte ihre Früchte getragen. Sie verhinderte ein nukleares Wettrüsten und schuf in Europa ein Sicherheitssystem, dass bisher allen Seiten recht gewesen war, die die Helsinki-Abkommen unterzeichnet hatten.

In dieser Hinsicht hätte es Sinn gemacht, den „Petersburger Dialog“ als eine Fortsetzung der Ostpolitik mit eben dem gleichen, früheren Motto anzusehen. Schließlich haben sich Veränderungen, beurteilt man diese Ostpolitik aus strategischer Sicht, vollzogen und endeten mit dem Zerfall des sozialistischen Systems und der Sowjetunion.

So warum hat aber der Präsident der Russischen Föderation, im Jahr 2001 den „Petersburger Dialog“ beginnend, keine Lehren aus der Realisierung der Ostpolitik von Brandt gezogen? Was war dies von russischer Seite – eine schlechte Verarbeitung der vergangenen Erfahrungen, die zum Scheitern des Mechanismus für die Anbahnung gutnachbarschaftlicher Beziehungen mit der Perspektive der Schaffung eines neuen Systems für die europäische Sicherheit führte? Oder doch die Versuche mehrerer angesehener russischer Politiker, sich in das westliche Wertesystem einzutakten? Die Ambivalenz und Schwankungen der russischen Politiker, die seit Beginn der 2000er Jahre den außenpolitischen Kurs verfolgten, haben vom Wesen her auch den „Petersburger Dialog“ zerstört.

 

Berlin