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Der Rubel hat das Streben nach einer Parität der Kaufkraft an den Tag gelegt


Der russische Rubel erstarkt gegenüber dem US-amerikanischen Dollar und dem Euro bereits mehr als zwei Monate in Folge. Und diese Tendenz kann auch weiterhin andauern. Der Internationale Währungsfonds gibt als einen gerechten Kurs hinsichtlich der Kaufkraftparität 34,30 Rubel für einen Dollar an. Aufgrund des Überschusses an angebotenen Devisen hat der bargeldlose Dollar am Mittwoch an der Moskauer Börse über vier Prozent verloren und wurde für weniger als 67 Rubel verkauft. Und am Freitag schloss er den Handel mit 64,55 Rubel ab (der Euro ging im Übrigen bei einem Stand von 67,15 Rubel ins Wochenende). In den Moskauer Wechselstuben wurde der Dollar in bar freilich deutlich über dem Börsenkurs verkauft (um mehr als 10-15 Prozent teurer).

Nach Verhängung der Finanzsanktionen des Westens und der russischen Antworten sind im Land gleich mehrere Devisenkurse aufgekommen: der offizielle Kurs der Zentralbank, der Kurs der Moskauer Börse, ein Kurs für Devisen in Bargeldform und sogar ein Schwarzmarktkurs.

Noch ein Kurs wird im Verlauf der Geschäftsabschlüsse an ausländischen Märkten gebildet. So wurden an der Börse von Chicago Futures für russische Rubel für 72,50 Rubel je US-Dollar gehandelt. Dabei kostete der Dollar zur gleichen Zeit an der Moskauer Börse nur 66,50 Rubel.

Auf das Auftauchen mehrerer Kurse reagierten bereits ausländische Investoren. Die Trade Association for the Emerging Markets (EMTA – Vereinigung der Trader sich entwickelnder Märkte) hat empfohlen, ab dem 6. Juni Daten für den aktuellen Rubelkurs vom Unternehmen WM/Refinitiv und keine Angaben der Moskauer Börse zu verwenden. Zur EMTA gehören internationale Großbanken – die Bank of America, J. P. Morgan Chase, Credit Suisse, Deutsche Bank, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Société Générale, Barclays und andere Finanzinstitute.

Eine der Ursachen für diese Empfehlung liegt in den Vermutungen und dem Verdacht, dass der Rubelkurs an der Moskauer Börse ein überzogener sei. Nach Aussagen des Devisen-Strategen von Wells Fargo Securities Brendan McCann wäre der Dollar ohne eine Berücksichtigung der von den russischen Offiziellen ergriffenen Maßnahmen auf einem Niveau von 180 Rubel. Obgleich das Erstarken des Rubels auch tatsächlich ein künstliches unter den neuen Realitäten sein kann, da die russische Regierung keine Dollar mehr für ein Deponieren in westlichen Banken abschöpfen kann. Und die russischen Unternehmen können für Dollar schon nicht mehr so viele Waren einkaufen, wie sie es vor der Ukraine-Krise getan hatten.

Folglich hat das Erstarken des Rubels wohl objektive Gründe. Und dieses Erstarken kann auch weiterhin anhalten. Welche Faktoren können aber das Wachstum des russischen Rubels stoppen? „Das Erstarken des Rubels kann eine Wiederherstellung der Mengen des Imports entsprechend dem Aufkommen neuer Einfuhrregimes und neuer Märkte, von wo Importströme erfolgen können, stoppen“, meint Valerij Mironow, stellvertretender Direktor des Zentrums für Entwicklung der in Moskau ansässigen Hochschule für Wirtschaftswissenschaften. Ein Erstarken des Rubels könnten gleichfalls eine Lockerung der Restriktionen für die Ausfuhr von Kapital und eine Reduzierung des Exports entsprechend der Verstärkung der Sanktionen gegen russisches Erdöl und Gas stoppen.

Über das Erstarken des Rubels sind sicherlich die russischen Exporteure von Rohstoffen nicht erfreut. Die russischen Offiziellen können aber in einem starken Rubel ein Instrument zum Drücken der Inflationsrate sehen (die derzeit auf das Jahr hochgerechnet bei 17,7 bis 17,8 Prozent liegt – Anmerkung der Redaktion).

„Das hohe Preisniveau für Rohstoffe kompensiert für die Exporteure vorerst das Erstarken des Rubels. Die Prognosen für den Etat verschlechtern sich aber. Die Einführung von Verschiebungen der Steuerzahlungen und die Zunahme der Staatsausgaben machen den Haushalt im Jahr 2022 bereits zu einem defizitären. Das Defizit kann im Jahr 2022 eine Billion Rubel übersteigen. Gerade dieser Faktor grenzt ein Erstarken des Rubels ein“, meint Mironow. „Der aktuelle Kurs des Dollars gegenüber dem Rubel ist für Russlands Bevölkerung von Vorteil, deren Realeinkommen zurückgehen. Vor Vorteil ist der aktuelle Kurs für das Kleinunternehmertum und den Mittelstand, die für den Binnenmarkt arbeiten“, behauptet der Experte, der dabei jedoch einige negative Aspekte unter den Tisch fallen lässt.

„Bisher wird der Rubel von den Tradern als eine toxische Währung angesehen, deren Kurs ungerechtfertigt erstarkte. Und nach den Lockerungen im Außenhandel wird er zurückgehen“, betonte Michail Kogan, Leiter der Abteilung für analytische Studien der „Hochschule für Finanzmanagement“. Vorerst hätten die russischen Importeure ernsthafte Probleme. Sie könnten mit anderen Ländern nicht normal handeln. Daher sei auch die Nachfrage nach Devisen sehr bescheiden, erklärt der Wirtschaftsexperte. Ein Rubelkurs im Bereich von 65 Rubel für einen Dollar sie die „stärkste“ Variante der vorhandenen. Weiter werde die Zentralbank die russische Währung nicht stärken, prognostiziert Kogan.

„Das Vorankommen des Kurses zu Werten, die einer Kaufkraftparität nahekommen, ist aufgrund der Besonderheiten der russischen Wirtschaft unmöglich. In erster Linie aufgrund dessen, dass das exportorientierte Modell bewahrt werde, bei dem die Wirtschaft bei einer Stimulierung durch einen relativ schwachen Kurs der nationalen Währung wächst“, denkt Jewgenij Mironjuk, Experte für den Währungsmarkt des Investitionsunternehmens „BKS Welt der Investitionen“. Dennoch werde der Trend des Erstarkens des Rubels anhalten, wobei das künstlich geschaffene und rekordverdächtige Angebot an Devisen beim Börsenhandel reflektiert werde. Der Kurs auf einen erzwungenen Verzicht auf den US-Dollar habe auch eine Kehrseite. Langfristig würden die russischen Rubel die Hauptform für ein Bewahren der Ersparnisse bleiben, aber nur bis zum Zeitpunkt der Aufhebung eines Großteils der Devisen-Restriktionen, prognostiziert Mironjuk.

„Den Außenhandel auf Rubelbasis stört ein starker Rubel nicht, da andere Währungen ein anerkanntes Äquivalent für den Wert der Waren im internationalen Handel bleiben. Ein starker Rubel verringert nur unerheblich das Interesse für aus Russland zu liefernden Waren seitens der Käufer“, betont der Wirtschaftsexperte.