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Der Waffenstillstand im Donbass hängt an einem seidenen Faden


In der vergangenen Woche hatte die ukrainische Delegation in der trilateralen Kontaktgruppe zu präzisieren versucht, wer realer Teilnehmer am Konflikt im Donbass ist. Die Fragestellung zeugt von einer Vorbereitung auf eine Revision der Minsker Vereinbarungen.

Am 23. Februar ist auf Initiative Kiews in der UN-Vollversammlung eine Behandlung der Situation auf der Krim und im Donbass geplant. Darüber informierte das Außenministerium der Ukraine. Nach Aussagen von Beamten beabsichtige Kiew, Informationen über Verletzungen von Menschenrechten und -freiheiten in den nicht von ihm kontrollierten Gebieten vorzulegen. Hinsichtlich der in der vergangenen Woche auf der Krim vorgenommenen Durchsuchungen betonte die ukrainische Vizeaußenministerin Eminé Dshaparowa: „Diese Handlungen belegen ein weiteres Mal das völlige Ignorieren der grundlegenden Normen des internationalen humanitären Rechts durch Moskau und seiner Pflichten als ein Okkupanten-Staat“.

Dshaparowa sagte, dass das Geschehen die Bereitschaft Moskaus „zum Einsatz ungesetzlicher Gewaltmethoden zur Unterdrückung anderen politischen und religiösen Denkens und zur Blockierung der Menschenrechtstätigkeit auf dem zeitweilig okkupierten ukrainischen Territorium“ demonstriere.

Außerdem ist eine Behandlung der Situation im Donbass geplant, wo laut Angaben der ukrainischen Seite eine Zunahme der Zahl von Verletzungen des Regimes der Feuereinstellung auszumachen sei. In der vergangenen Woche hat die Mission der Ukraine bei der OSZE laut Mitteilung der Nachrichtenagentur „Ukrinform“ den Mitgliedern dieser Organisation ausführliche schematische Landkarten von Verletzungen mit einer ausführlichen Beschreibung der täglichen Schläge gegen die ukrainischen Positionen übergeben. In Kiew ist man der Auffassung, dass die Zuspitzung gleich nach dem in Donezk Ende Januar abgehaltenen Forum „Russischer Donbass“ begonnen habe. Der Ständige Vertreter der Ukraine bei der UNO, Sergej Kisliza, betonte, dass man am 23. Februar in New York auch über dieses Forum und dessen Folgen sprechen werde: „Wird die Ukraine deshalb eine Tagung des UN-Sicherheitsrates einberufen? Nein, dies wird sie nicht. Dies ist noch nicht das Niveau des Problems, das eine direkte Hinzuziehung des Sicherheitsrates erfordert. Wird dies ein Teil unserer Arbeit zur Ausarbeitung neuer Dokumente bereits für die nächste Tagungsserie werden? Ja, dies wird es. Werden wir darüber während der Tagung der Vollversammlung am 23. Februar sprechen? Ja, wir werden darüber reden“.

Die ukrainische Seite strebt an, die westlichen Partner davon zu überzeugen, dass die Krimfrage und die Situation im Donbass kein Problem eines Landes seien. In solch einem Schlüssel wurde das Thema Anfang des Monats während des Brüssel-Besuches einer ukrainischen Regierungsdelegation erörtert, wo Gespräche mit der Führung der EU und der NATO stattgefunden hatten. Später erklärte die Vizeregierungschefin für Fragen der europäischen und der euro-atlantischen Integration Julia Stefanischina während der TV-Sendung „Redefreiheit“, dass am 17. und 18. Februar die Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten die Situation erörtert und über eine Verstärkung der militärischen Präsenz der Allianz in der Region des Schwarzen Meeres gesprochen hätten. Stefanischina betonte, dass es nicht nur um taktische Entscheidungen gegangen sei, sondern auch um die NATO-Strategie bis zum Jahr 2030: „Einerseits verstärken wir den Druck (auf Russland – „NG“, der mit der Aggression im Donbass in einem Zusammenhang steht. Andererseits aber sprechen wir überhaupt die Frage nach der Sicherheit in der Region an. Unsere Partner hören uns. Und dieser Druck wird bestimmt verstärkt werden“.

Bemerkenswert ist, dass gerade jetzt die ukrainische Delegation bei den Minsker Verhandlungen zu klären beschlossen hat, wen man denn als Beteiligten des Konflikts im Donbass ansehen müsse. Darüber schrieb in den sozialen Netzwerken Sergej Garmasch, eines der Delegationsmitglieder: „Russlands Vertreter behaupteten, dass dies die Ukraine und der Donbass (was sie unter diesem Begriff verstehen ist unklar; vielleicht ein Teil des Donezker Kohlebeckens im Verwaltungsgebiet Rostow der Russischen Föderation?) seien. Gleichfalls erklang von jener Seite die Variante „Volk des Donbass“ (unverständlich ist, was die Einwohner von Pokrowsk, Dobropolje, Kramatorsk, Mariupol plus anderthalb Millionen notgedrungene Umsiedler nicht mit der Ukraine geteilt haben). Wir haben klar ausgewiesen, dass die Konfliktseiten Russland und die Ukraine sind“.

In Russland verweist man seit dem Jahr 2014 konsequent darauf, dass das Land kein Teilnehmer des Konflikts sei und nicht in den Minsker Abkommen erwähnt werde. Und genauso konsequent empfiehlt es Kiew, direkte Verhandlungen mit Donezk und Lugansk aufzunehmen, was zu einer Anerkennung und Legalisierung der Donezker Volksrepublik (DVR) und Lugansker Volksrepublik (LVR) führen würde. Die ukrainische Seite lehnt solche Verhandlungen ab. Die Werchowna Rada (das ukrainische Landesparlament – Anmerkung der Redaktion) hat noch unter Präsident Poroschenko in den Gesetzen den Status von Russland als einen „Aggressor-Staat“ verankert, und die Führungen der Krim, der DVR und LVR als „zeitweilige Okkupationsverwaltungen“. Das Team von Wladimir Selenskij verfolgt genau solch eine Linie. Jetzt aber hat sich auch eine andere Frage gestellt, was Garmasch ebenfalls erklärte: „Wir versuchen, bei den Vertretern Russlands herauszufinden, was für ein Territorium sie denn unter der Bezeichnung „einzelne Kreise der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk“ verstehen. Denn das, das tatsächlich durch die russischen ungesetzlichen bewaffneten Formationen eingenommen worden war, ist um 1400 Quadratkilometer größer als jenes, das in den Minsker Vereinbarungen fixiert worden ist. Und auf welches Territorium sich dann die Minsker Vereinbarungen beziehen, ist unklar“.

In Kiew verweist man darauf, dass sich seit den Jahren 2014-2015, als die ersten Minsker Vereinbarungen und der Komplex von Maßnahmen zur Umsetzung der Minsker Abkommen (Minsk-2) unterzeichnet wurden, die Situation stark verändert habe. Und die Dokumente an sich würden bereits eine Vornahme von Änderungen erfordern. Vor kurzem erläuterte der Chef des Präsidenten-Offices Andrej Jermak in einem Fernsehinterview: „Ehrlich gesagt, in der Fassung, in der sie (die Minsker Vereinbarungen – „NG“) heute existieren… Mitunter scheint mir, dass sie mit einem Ziel und dem Verstehen unterzeichnet wurden, dass es unmöglich ist, sie zu erfüllen (da dies zu einer Legalisierung der DVR und LVR führen würde – „NG“). Und Präsident Selenskij hat mehrfach gesagt, dass er alles tun werde, damit die Prinzipien, die in den Minsker Vereinbarungen verankert wurden, von unserer Seite her erfüllt werden“.

Das Statement von Jermak hatte viel Rummel ausgelöst. Irina Werestschuk, Mitglied des Parlamentsausschusses für Fragen der nationalen Sicherheit und Verteidigung und Abgeordnete der Fraktion „Diener des Volkes“, hat laut einer Meldung der Agentur UNN versichert, dass Kiew nicht beabsichtige, die Minsker Vereinbarungen aufzugeben: „Russland unternimmt alles, damit die Ukraine aus den Abkommen aussteigt. Für sie wird dies sehr rechtens sein, wenn wir eingestehen, dass die Minsker Abkommen nicht wirken und wir sagen werden, dass wir aus ihnen aussteigen. Wir können uns dies aber nicht erlauben. Wir werden nicht aus den Minsker Abkommen aussteigen, da an sie eine Resolution der UNO und EU-Sanktionen gebunden sind“. Werestschuk präzisierte, dass man die Vornahme von Änderungen an den Minsker Abkommen erreichen müsse. „Dies ist möglich. Aber dies ist hier die Frage einer breiten Diskussion der Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich und Russland im Normandie-Format. Wenn wir auch unsere Kollegen aus den USA davon überzeugen, sich diesem Prozess anzuschließen, werden wir einen großen Schritt vorwärts tun“.

Das Mitglied der Parlamentsfraktion „Golos“ (deutsch: „Die Stimme“) Roman Kostenko sprach laut einer Meldung des Internetportals „Zensor.net“ auch von einer Notwendigkeit, für den Anfang die Zusammensetzung der Verhandlungsgruppe zu ändern: „Am Verhandlungstisch müssen die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Ukraine und Russland sein… Und zu klären ist diese Frage (mit dem Konflikt im Donbass – „NG“) im Rahmen des Themas der europäischen und internationalen Sicherheit… Das derzeitige Format mit einem Hinzuziehen der OSZE und Russlands (das versucht, sich als ein Vermittler darzustellen und die sogenannte LVR und DVR zu legitimieren) ist kein wirksames“. Kostenko glaubt, wie auch seine Kollegen, nicht daran, dass Russland einer Änderung des Verhandlungsformats und einer Vornahme von Änderungen an den alten Vereinbarungen zustimmen werde. Dies belege nach seiner Meinung die begonnene Zuspitzung im Donbass: „Dies ist ein Signal, das bedeutet, dass, wenn in der Ukraine nicht die Forderungen Russlands erfüllt werden und eine Innenpolitik verfolgt wird, die auf eine Schwächung des Einflusses der prorussischen politischen Kräfte abzielt, so wird sofort eine Eskalation des Konflikts beginnen“.

Dieser Tage sagte der Berater der ukrainischen Delegation bei den Minsker Verhandlungen, Alexej Arestowitsch, in einem Interview für den TV-Kanal „Ukraine 24“, dass eine Zuspitzung in der Konfliktzone seiner Meinung nach „nicht bloß möglich ist. Sie ist praktisch unumgänglich. Der Kreml wird die Versuche nicht aufgeben, uns mit Gewalt plattzumachen… Es gibt Anzeichen, dass dies alles im Frühjahr, näher zum Sommer hin passieren kann“. Arestowitsch betonte, dass zum heutigen Zeitpunkt sowohl der Minsker Prozess als auch die Verhandlungen im Normandie-Format „wenn nicht in einer Sackgasse, so aber nur mühselig vorankommen. Und dies nicht im strategischen Teil, sondern eher im taktischen. Das Regime der Feuereinstellung hängt derzeit an einem seidenen Faden“.

Gerade über taktische Fragen hatten die Teilnehmer der Minsker Verhandlungen in der vergangenen Woche im Rahmen der traditionellen Videokonferenzschaltung gesprochen. Es ist nicht gelungen, auch nur in einer Frage einen Fortschritt zu erzielen.