Die ununterbrochene Erweiterung der Sanktionen gegen unterschiedlichste Länder, Unternehmen und natürliche Personen hat bereits zu einer Abwertung von Wirtschaftsverboten geführt. Unter unterschiedlichen Arten von Sanktionen befindet sich bereits fast ein Drittel des weltweiten BIP, was die Handelsbeschränkungen zu ineffizienten oder einfach sinnlosen machte. Die neuen und Sanktionen geratenen Länder würden schnell neue Partner finden, und die Länder, die die Sanktionen initiieren, würden dafür mit ihrem Wirtschaftswachstum bezahlen, unterstreichen Wirtschaftsexperten.
Die Gesamtzahl der Personen, die unter verschiedenartigste Sanktionen fallen, hat seit April dieses Jahres um mehr als 25 Prozent zugenommen. Innerhalb des vergangenen Jahres hat sich die Liste der unter Sanktionen fallenden Bürger in der ganzen Welt um mehr als 12.000 Menschen verlängert. Insgesamt befinden sich gegenwärtig bereits über 60.000 natürliche und Rechtspersonen in den einen oder anderen Sanktionsverzeichnissen, hat man im zur Londoner Börse gehörenden Unternehmen Refinitiv ermittelt, dessen Untersuchung die Nachrichtenagentur Bloomberg zitierte. Die Liste der Opfer von Sanktionsverboten wird ununterbrochen länger. Und seit Januar des Jahres 2017 hat die Zahl der unter Sanktionen geratenen Personen um 255 Prozent zugenommen.
Im Ergebnis dessen befindet sich heute schon jedes vierte Land entweder unter Sanktionen der Vereinten Nationen oder unter Verboten von Regierungen anderer Länder, informierte man im Zentrum für Wirtschafts- und politischen Forschungen (CEPR). Somit werden heutzutage rund 29 Prozent des weltweiten BIP in Ländern erzeigt, die unter die einen oder anderen Sanktionsarten fallen. Zum Vergleich: In den 1960er Jahren betrafen die Restriktionen lediglich vier Prozent des BIP.
Im Ergebnis der stürmischen Erweiterung der Sanktionslisten würden die wirtschaftlichen Restriktionen einfach ihren Sinn verlieren, meinen die Experten, die von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragt wurden. Mehr noch, die Erweiterung der Dimensionen der Restriktionen stimuliere eine Erweiterung des Handels zwischen den betroffenen Ländern. Und oft führen anstelle einer Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivitäten die Sanktionen nur zu einer Umgestaltung des Welthandels. Unter Sanktionen befinden sich heute eine Vielzahl von Ländern – angefangen bei Nordzypern, Kuba, dem Iran oder Venezuela bis hin zu Russland und Nordkorea. Im Ergebnis dessen bildet sich ein sich erweiternder informeller Block von Ländern heraus, die ihre Wirtschaftskontakte ausdehnen. Und dieser Prozess entwertet den eigentlichen Gedanken des wirtschaftlichen Sanktionsdrucks. „Wenn Sanktionen gegen eine weitaus größere Anzahl von Ländern und weitaus wichtigeren Ländern verhängt werden, wird es immer schwieriger, sie zu isolieren, da sie miteinander Handel treiben. Während die ganze Idee der Sanktionen darin besteht, einen Staat zu isolieren“, betont der Wirtschaftsexperte Francisco Rodriguez, der Autor des erwähnten CEPR-Reports. Es sei dabei fehlerhaft anzunehmen, dass sich die Verhängung von Sanktionsbeschränkungen gerade im Jahr 2022 beschleunigt habe. „Noch vor Beginn des Ukraine-Konflikts hatte die Trump-Administration jährlich im Durchschnitt rund 820 verschiedenartige Sanktionen verhängt. Während in den letzten zwei Jahren durch die Biden-Administration jährlich rund 780 Restriktionen verhängt wurden. Aber die Intensität der Verhängung von Wirtschaftsverboten ist gegenwärtig wirklich erheblich größer als in jeglichem Jahr vor dem Machtantritt Bidens. Neben Russland wurden die Sanktionen der Biden-Administration gegen Organisationen gerichtet, die mit Weißrussland, Myanmar und China verbunden sind“, informiert der Wirtschaftsexperte. Nach seiner Version wurden gerade daher die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und die RSA) versuchen, zu Zahlungen in alternativen Währungen überzugehen, die vor US-amerikanischen Sanktionen geschützt seien. Die von Bloomberg befragten Experten bezweifeln den Erfolg eines raschen Verzichts auf den US-Dollar oder den Euro. Jedoch sei das Bestreben, „sich vom Dollar abzuwenden“, ein Vorbote für künftige Vereinbarungen zwischen unterschiedlichsten Ländern.
Somit erhalte im Ergebnis der Erweiterung der Restriktionen die globale Wirtschaft anstelle eines offenen Handels einen „dunklen und undurchsichtigen Handel“, schreibt Bloomberg. Die deutsche Online-Plattform Statista hat ebenfalls den Umfang der verhängten Sanktionen gegen Länder der Welt analysiert. Zum heutigen Tag sei Russland das Land in der Welt, das mit den meisten Sanktionen belegt wurde. Gegen russische natürliche und Rechtspersonen würden über 14.000 Restriktionen gelten. An zweiter Stelle rangiert laut den Berechnungen des Portals der Iran mit mehr als 4.000 Restriktionen. Obgleich bis zum Februar des Jahres 2022 die Islamische Republik das Land mit den meisten Sanktionen in der Welt gewesen war.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen über die Ineffizienz der Sanktionen gelangten auch die Wirtschaftsexperten aus dem Institut für internationale Finanzen (Institute of International Finance, IIF). Sie gestanden ein, dass die Sanktionspolitik konkret gegen Russland eine gescheiterte sei.
Das Institut formulierte mehrere Gründe für die Misserfolge, unter denen die Restriktionen gegen den Finanzsektor und das Embargo für den Export von Waren und Leistungen nach Russland genannt wurden. „Die Wirkung der Bank-Sanktionen gegen ein Land, das nicht von den globalen Finanzmärkten abhängt, sondern – im Gegenteil – als Netto-Gläubiger gegenüber der Weltwirtschaft auftritt, ist minimal“, konstatierten die Forscher. Russland sei ein Land mit einem traditionell hohen Plus auf dem Konto der laufenden Operationen. Und folglich gewähre es der übrigen Welt Kredite und nehme keine Anleihen auf, wies man im IIF hin. Die westlichen Wirtschaftsfachleute sprachen auch vom Scheitern der Handelssanktionen, da die Ströme einfach auf die Länder der ehemaligen UdSSR umorientiert worden seien. „Die Exportströme beispielsweise aus China, Deutschland, Japan und den USA in solche Länder wie Kasachstan, Georgien, Weißrussland und die Türkei haben im vergangenen Jahr um ein Mehrfaches zugenommen. Dies wirft die Frage auf, ob diese Länder die Endzielpunkte für die Waren sind“, erklärte man im Institut, wobei unterstrichen wurde, dass es in der Praxis schwierig sei, die Exportrestriktionen zu kontrollieren.
„Ab 2021 bis einschließlich 2022 hat der Import deutscher Autos nach Kasachstan um 507 Prozent zugenommen, und nach Armenien – um 761 Prozent. Der Export von Chemieerzeugnissen in diese Länder ist um 129 bzw. 110 Prozent angestiegen. Die Lieferungen von Elektro- und Computertechnik nach Armenien wuchsen um 343 Prozent. Es ist schwer festzustellen, was mit diesen Waren geschieht, wenn sie in die ehemaligen Sowjetrepubliken gelangen. Es ist aber durchaus möglich, dass sie sich im Endergebnis in Russland wiederfinden“, betonte man im britischen Magazin „Spectator“, wobei unterstrichen wurde, dass, da es keinen vollständigen und globalen Boykott gegen Moskau gebe, es schwer sei, die Bürger Russlands daran zu hindern, Waren westlicher Fertigung zu erwerben.
Die Offiziellen der USA hätten faktisch Russland, den Iran und China zu einer engeren Zusammenarbeit veranlasst, schrieb die US-amerikanische Zeitung „Politico“. „Im Verlauf des letzten Jahres verhängten die Vereinigten Staaten großangelegte Sanktionen gegen Russland und haben aber zur gleichen Zeit eine äußerst militante Position in Bezug auf China eingenommen… Zur gleichen Zeit verfolgte die Biden-Administration vom Wesen her weiter gegen den Iran eine Politik, die die Bewahrung eines Status quo vorsieht. Die Versuche, den iranischen „Nuklear-Deal“ wiederaufleben zu lassen, sind gefloppt“, betont das Blatt.
Unter den Bedingungen der westlichen Sanktionen forciert Russland natürlich den Handel mit befreundeten oder neutralen Ländern. So hat sich der Umfang des bilateralen Handels der Volksrepublik China und der Russischen Föderation in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 41,3 Prozent auf das Jahr hochgerechnet erhöht und die Marke von 73,1 Milliarden Dollar erreicht. „Entsprechend den Ergebnissen des Jahres wird wahrscheinlich die von den Oberhäuptern unserer Staaten gestellte Aufgabe, das Volumen des bilateralen Handels bis auf 200 Milliarden Dollar zu bringen“ gelöst werden“, berichtete Chinas Botschafter in Russland, Zhang Hanhui. Entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2022 hat der Warenaustausch zwischen Russland und dem Iran um 15 Prozent zugenommen und belief sich auf 4,6 Milliarden Dollar, wusste der Vorsitzende der Staatsduma (des russischen Unterhauses), Wjatscheslaw Wolodin, zu berichten.
Die Berechnungen der westlichen Experten hinsichtlich der Sanktionsregimes zeichnen ein recht düsteres Bild für die Initiatoren und Beteiligten des Sanktionstracks. „Im globalen Maßstab stellt sich heraus, dass die Sanktionsanstrengungen zu für ihre Inspiratoren völlig unerwarteten Ergebnissen führen. Die Länder, die unter die Sanktion gerieten, arbeiten aktiv an neuen Formen für ein Zusammenwirken und gegenseitige Unterstützung, wobei sie bestrebt sind, auf maximale Weise die verderbliche Wirkung der Restriktionen auf die nationalen Wirtschaften zu verringern. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass viele „neutrale“ Staaten bereit sind, Leistungen für ein Überbrücken der Sanktionsblockaden zu gewähren. Oder sie machen sich ernsthaft Gedanken über die Gerechtigkeit und den passenden Charakter der Sanktionspolitik. Wer kann Garantien dafür geben, dass die Sanktion morgen nicht gegen jegliches andere Land gerichtet werden? Im Zusammenhang damit schauen immer mehr Länder mit Interesse in Richtung der neuen ökonomischen Architekturen, unter anderem die Organisation BRICS“, urteilt Dozent Maximo Maximow von der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Als noch ein Faktor, der die Effizienz der Sanktionen untergräbt, hat sich die Möglichkeit symmetrischer Antworten erwiesen. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verspüren die (Volks-) Wirtschaften der Länder, die sich am antirussischen Sanktionsblock beteiligen, offenkundige Schocks. Die EU-Zone hat sich formal in einer Rezession wiedergefunden, Großbritannien wird laut Prognosen mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um ein Prozent entsprechend den Ergebnissen für das Jahr 2023 konfrontiert werden. Somit kann man sagen, dass die Sanktionspolitik nach dem Erreichen eines Höhepunkts ihrer Wirkung an der Grenze der Null-Jahre, in einer ernsthaften Krise steckt. Eine weitere Eskalierung der Sanktionspraktiken wird offensichtlich nur die Tiefe dieser Krisen verschlimmern“, meint Maximow.
Bereits im 20. Jahrhundert war eine Untersuchung durchgeführt worden, die zeigte, dass von 115 Fällen einer Verhängung von Sanktionen lediglich in fünf Prozent von ihnen das erwartete Ergebniserreicht wurde, erinnert Julia Burchanowa aus dem Russischen Zentrum für Kompetenzen und Analyse der Standards der OECD an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst. „Eine Übersicht über alle Sanktionen der USA seit 1970 zeigt, dass die Länder, gegen die Verbote verhängt worden waren, ihr Verhalten zugunsten der USA nur in 13 Prozent der Fälle veränderten. In Nordkorea wird das Testen von Kernwaffen fortgesetzt. Auf Kuba gilt weiterhin das gleiche Regime wie auch vor 60 Jahren. Im Jahr 2022 hat das US-Finanzministerium die Sanktionen gegen Venezuela gelockert und sogar erlaubt, dort Erdöl zu fördern“, erinnert die Expertin. Oft würden sich die Sanktionen als ein wirkungsloses Instrument zur Beeinflussung erweisen und sich auch noch negativ auf die Wirtschaft jenes Landes, das sie verhängte, auswirken.
Dennoch, so Maximow, belege die jüngste Geschichte der Sanktionsaktionen gegen Nordkorea, den Irak, Libyen, Syrien und den Iran, dass die Sanktionen insgesamt imstande seien, das Potenzial der nationalen Wirtschaften wesentlich zu verringern und die technologische Entwicklung zu verlangsamen.