Die russische Landwirtschaft leidet unter einem Mangel an Beschäftigten, unter anderem aufgrund des zurückgegangenen Zustroms von Migranten. In vielen Betrieben ist man bereit, ihnen zweimal mehr als im Jahr 2020 zu zahlen. Dies bedeutet einen Anstieg der Unkosten. Ohne den Zustrom von Gastarbeitern muss hier und da die Produktion heruntergefahren werden.
Im Jahr 2018 lag der Durchschnittsverdienst in der Landwirtschaft Russlands bei 25.500 Rubel. Und entsprechend der Bilanz des vergangenen Jahres bei fast 31.000 Rubel, berichtete am vergangenen Montag Landwirtschaftsminister Dmitrij Patruschew dem Präsidenten Wladimir Putin. „Auf Sachalin – 63.000“, merkte Putin an. Laut den vor zwei Jahren vorgestellten Daten einer Untersuchung des russischen Statistikamtes Rosstat lag das Arbeitseinkommen der Beschäftigten in dem Sektor, die zehn Prozent der am geringsten bezahlten ausmachen, bei 11.300 Rubel. Und diejenigen, die zu den zehn Prozent der am besten bzw. am höchsten bezahlten Beschäftigten gehören, kamen auf 95.300 Rubel.
Die massenhafte Ausreise der Arbeitsmigranten im vergangenen Jahr führte zu einem Mangel an Arbeitsressourcen und zu einem spürbaren Anstieg der Tarife für die Saisonarbeiten. Die Situation dauert vorerst auch in diesem Jahr an.
Laut Angaben der Rosselkhosbank, die Ergebnisse einer Befragung durch den Service für Personalsuche auf der Plattform „Meine Landwirtschaft“ vorlegte, ist im März dieses Jahres die Anzahl der offenen Stellen im Agrar-Industrie-Komplex um 35 Prozent bis auf über 6600 Angebote angestiegen. Die meisten offenen Stellen gibt es für Traktoristen. Dabei sind in 70 Prozent der Fälle die Landwirtschaftsbetriebe bereit, auch Kandidaten ohne Arbeitserfahrungen einzustellen. Und in einigen Betrieben bietet man ihnen Löhne bis zu 250.000 Rubel im Monat an (umgerechnet etwa 2174 Euro). Hinsichtlich der Popularität liegt die Stelle eines Agronomen auf dem zweiten Rang (ihnen verspricht man bis zu 150.000 Rubel im Monat, und in 60 Prozent der Fälle haben Arbeitserfahrungen keine Bedeutung). Auf dem dritten Platz hinsichtlich des Bedarfs liegen die Angebote für einen Gemüsebauer. Ihnen offeriert man 35.000 Rubel. Dafür sind die meisten Arbeitgeber bereit, Menschen ohne Arbeitserfahrungen einzustellen.
Die Aussaat laufe bereits im Nordkaukasischen, Zentralen und Südlichen Föderalen Bezirk, teilte Patruschew mit, wobei er erwarte, dass die Aussaatflächen in diesem Jahr um 600.000 Hektar erweitert werden. Die Agrarier in vielen Regionen warnen jedoch, dass, wenn nicht das Problem mit der Einreise von Migranten in die Russische Föderation gelöst werde, würden sie die Anbauflächen verringern, was im Endergebnis zu einem Anstieg der Preise für die Erzeugnisse führen werde. Überdies liegt ohnehin die Aussaatkampagne dieses Jahres weit hinter den Werten des vergangenen Jahres, so dass das bisherige Tempo der Aussaatarbeiten bei vielen Experten Besorgnis auslöst.
Nach Aussagen des Astrachaner Landwirts Pawel Androsow, den die Internetressource www.arbuztoday.ru zitiert, werde es für die Landwirte im Falle einer Beibehaltung der COVID-Einschränkungen sehr schwer, die geplanten Umfänge an Boden zu bearbeiten und den erwarteten Ernteertrag zu erzielen. Dadurch werde es auf dem Markt weniger Erzeugnisse geben, was zu einem Preisanstieg führen werde. Laut Angaben der Agentur für die Beschäftigung der Bevölkerung des Verwaltungsgebietes Astrachan haben bis Anfang April 266 Arbeitgeber Anträge für 5.000 Menschen für Jobs in der Landwirtschaft eingereicht.
Ein Mangel an Arbeitskräften wird nicht nur in den südlichen Regionen, solchen wie die Verwaltungsgebiete Rostow und Woronesch, sondern auch in Sibirien beobachtet. Dies signalisierte man u. a. in der Verwaltung des Tomsker Gebietes. Dort fehlen Agronomen, Mechanisatoren und Gemüsebauern und Sortierkräfte.
Im vergangenen Jahr hatten die Regionen Anträge für insgesamt 100.000 Migranten für Arbeiten in der Landwirtschaft eingereicht, doch mit der Zeit hat sich dieser Appetit verringert. Im Februar erzählte der 1. Vizelandwirtschaftsminister Dshambulat Chatuow, dass sich der Gesamtbedarf um mehr als die Hälfte bis auf 41.000 verringert hatte. Als ein starker Hemmschuh wirken die Regeln für das Einladen von Arbeitsmigranten, die im vergangenen Jahr durch den operativen Stab zur Verhinderung eines Einschleppens und einer Verbreitung der Coronavirus-Infektion bestätigt wurden und denen die meisten landwirtschaftlichen Erzeuger nicht entsprechen. Die durchschnittliche Belegschaft der Unternehmen muss mindestens 250 Arbeitnehmer umfassen, und die Einnahmen müssen zwei Milliarden Rubel übersteigen.
„Die Anhebung der Löhne hilft, das Problem zu lesen. Jedoch muss man im Blick haben, dass die Löhne nur in der Saison der Durchführung der landwirtschaftlichen Arbeiten hohe sind. Und eben jene Traktoristen und Mähdrescherfahrer arbeitet saisonal“, sagte der „NG“ Natalia Schagaida, Direktorin des Zentrums für Agrar- und Lebensmittelpolitik der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst. „Im Durchschnitt ist der Lohn in der Landwirtschaft ein niedriger. Im Jahr 2019 lag er unter 66 Prozent vom durchschnittlichen in der Wirtschaft. Und einen Lohn von mehr als 50.000 Rubel (umgerechnet etwa 543 Euro) erhalten nur weniger als sieben Prozent der in den Landwirtschaftsbetrieben Beschäftigten inkl. der Führungskräfte und Hauptspezialisten. Viele aktive Menschen haben die Dörfer verlassen. Damit sie zurückkehren, ist allein der Lohn nicht genug. Jetzt berücksichtigen die Familien die Möglichkeiten des Gesundheitswesens, der Ausbildung, der Freizeitgestaltung sowie die Wohnraumqualität auf dem Land. Und damit gibt es aber viele Probleme. Obgleich wegen eines hohen Lohnes auch Stadteinwohner für eine Saison kommen können.“
„Ein Traktorist kann durchaus 250.000 Rubel bekommen, wenn von einer Arbeit auf einem modernen Traktor mit einem Wert von 25 Millionen Rubel die Rede ist und auf dem ein Arbeiten für fünf erfolgt“, erläuterte der „NG“ der Direktor des Obst- und Gemüseverbands Michail Gluschkow. „Das Ansteigen der Löhne im Jahr 2020 war mit dem Personalmangel verbunden. Den Arbeitern zahlte man jeweils 5.000 Rubel am Tag anstelle von 1500 im Jahr 2019. Dies gilt aber nur für die Saisonarbeiten im Obstanbau, auf den Beeren- und Gemüsefeldern unter freiem Himmel. In unseren Treibhausbetrieben, wo die Menschen das ganze Jahr über arbeiten und man sich bemüht, die einzustellen, die in der Nähe wohnen, war die Situation eine stabile“, sagt er.
Der Experte ist der Auffassung, dass der Personalmangel nur zu zehn Prozent durch Bürger Russlands gedeckt werden könne und man ohne Migranten nicht auskommen werde. „Im Jahr 2020 haben viele Bürger Russlands die Arbeit verloren. Und die Regierung versucht, gerade sie mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Aber die in mehreren Regionen durchgeführten Experimente haben gezeigt, dass von 500 befragten Arbeitslosen nur drei zustimmten, die angebotenen freien Stellen in der Landwirtschaft anzunehmen. Im vergangenen Jahr haben wir noch schlecht begriffen, wie man die Krise bekämpfen muss. Heute ist eine organisierte massenhafte Einstellung von Migranten durchaus möglich, wenn man die Menschen mit bestätigten (negativen Corona-) Tests und durch eine Quarantäne (ins Land) lässt“.
„Eine Erhöhung der Löhne wird einen Anstieg der entscheidenden Unkosten bedeuten. Und dies wird den Anstieg der Preise für Lebensmittel stark anschieben“, sagte der „NG“ Julia Tulupnikowa, Senior-Hochschullehrerin am Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie und Weltwirtschaft der Moskauer „Synergie“-Universität. „Gegenwärtig ist in Russland eine Inflation nicht der Nachfrage, sondern der Unkosten zu beobachten. Das Ansteigen jeglicher Unkosten neben einer Erhöhung von Steuern ist ein wunder Punkt, der die Inflation beschleunigt.“ Dabei sei eine Anhebung der Löhne eine aktuelle Maßnahme für die Branche, meint die Expertin. „Es ist schwer, sich eine andere Variante für das Gewinnen von Arbeitsressourcen in der Hochzeit der Saisonarbeiten auszudenken. Es versteht sich, dass diese Maßnahme keine totale und flächendeckende sein darf. Sie ist für jene Regionen anwendbar, wo Saisonarbeiten dominieren“, sagt Tulupnikowa.
Die Frage der Versorgung der Branche mit Arbeitsressourcen, besonders in der Zeit der Durchführung von Saisonarbeiten, befinde sich unter einer besonderen Kontrolle des russischen Landwirtschaftsministeriums, versicherte man der „NG“ im Ministerium. Im vergangenen Jahr war unter den Bedingungen der Schließung der Grenzen und des Mangels an ausländischen Arbeitskräften durch das Ministerium gemeinsam mit den Regionen ein großer Umfang an Arbeiten zur Umverteilung von Spezialisten aus anderen Wirtschaftszweigen in den Agrar-Industrie-Komplex, aber auch zur Gewinnung von Studenten der Landwirtschaftshochschulen realisiert worden. Im Endergebnis ist es gelungen, für das laufende Jahr den Bedarf an Migranten im Vergleich zum Vorjahr von 100.000 bis auf etwa 41.200 Menschen zu verringern. Und von denen werden um 35.600 Menschen für den Pflanzenanbau gebraucht, teilte man im Ministerium mit.
„Vorrangig besteht in den Regionen die Notwendigkeit einer Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte, die sich auf den Gartenbau, den Gemüse- und Kartoffelanbau sowie auf andere Richtungen mit einem großen Anteil manueller Arbeit spezialisiert haben. Unter ihnen sind die Verwaltungsgebiete Wolgograd, Astrachan, das Moskauer Gebiet, die Gebiete Woronesch und Lipezk. Im Zusammenhang damit hat Russlands Landwirtschaftsministerium an die Regierung und das Arbeitsministerium Russlands einen entsprechenden Vorschlag über die Vornahme von Änderungen am Handlungsalgorithmus für die Gewinnung ausländischer Bürger in die Wirtschaft der Russischen Föderation gesandt. Das Ministerium erwartet eine positive Entscheidung zu dieser Frage, was erlauben wird, Migranten zu gewinnen, darunter für Arbeiten in kleinen und mittelständischen Betrieben“, erklärte man im Landwirtschaftsministerium.
Dort hat man gleichfalls betont, dass derartige offene Stellen, die schwierigste Arbeitsbedingungen vorsehen, auf dem Binnenmarkt wenig gefragt seien. Zur gleichen Zeit sei der russische Agrar-Industrie-Komplex vollkommen mit qualifizierten Spezialisten – Agronomen, Tierärzten, Mechanisatoren – versorgt, versicherte man in dem Fachministerium. Dabei erwartet es in den nächsten zwei Jahren eine planmäßige Verringerung des Gesamtbedarfs an ausländischen Arbeitskräften, unter anderem durch die Implementierung moderner Technologien im Agrar-Industrie-Komplex, die die manuelle Arbeit ersetzen. Was den Lohn der Beschäftigten in dem Sektor angeht, so wird laut Angaben des Landwirtschaftsministeriums dessen Durchschnittshöhe alljährlich steigen. Das Ministerium erwartet eine Bewahrung der positiven Dynamik dieses Parameters auch im laufenden Jahr.