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Deutschlands neue Außenministerin wird Verteidigung des Donbass beurteilen


Deutschlands Bundesaußenministerin Annalena Baerbock plant im Dezember einen Ukraine-Besuch. Erwartet wird, dass sie Gebiete besuchen wird, die an der Trennungslinie im Donbass angrenzen. Dies teilte der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrej Melnik mit. Er rief das neue deutsche Regierungsteam auf, sich dem Prozess der Konfliktregelung anzuschließen: „…Wir brauchen die starke Stimme aus Berlin, um Moskau eine kalte Dusche zu bescheren, das sich auf einen Krieg vorbereitet“.

Am Donnerstag diskutierte man im Bundestag die Situation an der ukrainisch-russischen Grenze. Für eine gefährliche hält man sie in den USA und in Großbritannien. Ob es gelungen ist, die Lage im Verlauf des Gesprächs der Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation zu entspannen, sollte bzw. wollte Joseph Biden Wladimir Selenskij berichten. Bei Redaktionsschluss für den vorliegenden Beitrag hatte das Telefonat des amerikanischen und des ukrainischen Präsidenten noch nicht begonnen. Der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba sagte bei seinem Großbritannien-Besuch gegenüber Journalisten, dass die westlichen Partner der Ukraine imstande seien, den Preis für einen Einmarsch in die Ukraine „für Russland zu einem unmöglichen zu machen“. „Wir bitten, uns zu helfen, einen Krieg zu vermeiden. Wenn wir aber ohne eine Alternative aufgrund der Bereitschaft Russlands, einen Krieg zu beginnen, bleiben, so helfen Sie uns, unsere Armee zu verstärken“, sagte der Minister.

Die USA wollten in dieser Woche die letzte der für dieses Jahr geplanten Lieferungen von Verteidigungswaffen in die Ukraine vornehmen. Dies meldeten ukrainische Medien unter Berufung auf den Pentagon-Sprecher John Kirby. Erwartet wird eine Partei von Schusswaffen und Munition. Andere NATO-Staaten gewähren der Ukraine auch solche Hilfe oder sind dazu bereit. Deutschland hatte es in der Amtszeit von Angela Merkel als Bundeskanzlerin abgelehnt, solche Hilfe zu gewähren. Ex-Bundesaußenminister Heiko Maas hatte zuvor erklärt, dass der Konflikt im Donbass nur mit politischen und diplomatischen Instrumenten gelöst werden könne und müsse. Und dabei „wird die Lieferung von Waffen nicht helfen“.

In der Ukraine hofft man darauf, dass die Haltung der neuen deutschen Führungsriege eine andere sein werde. Noch vor der Wahl von Olaf Scholz zum neuen Kanzlerhatte der ukrainische Außenamtschef Kuleba in einem Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“ bekräftigt, dass Kiew an der Arbeit der existierenden Verhandlungsformate zur Konfliktregelung interessiert sei, da es nach Frieden strebe. Er betonte, dass die deutschen und französischen Diplomaten ein Maximum an Anstrengungen für die Organisierung eines Treffens im Normandie-Format aufgeboten hätten, doch im Zeitplan des russischen Außenministers Sergej Lawrow „findet sich stets etwas Wichtigeres“. Es sei hervorgehoben, dass ein Treffen der Außenminister Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs für Mitte November geplant worden war. Die russische Seite hatte vorgeschlagen, vorab den Entwurf eines Abschlussdokuments zu erörtern, der der Ukraine nicht recht war. Im Ergebnis dessen fand die Begegnung im Dreier-Format ohne Sergej Lawrow statt. Dmitrij Kuleba gestand in dem erwähnten „Zeit“-Interview ein, dass sowohl das Normandie-Format als auch die Minsker Verhandlungen „im Zustand eines Komas sind, doch sie sind noch am Leben. Und wir müssen versuchen, sie zum Bewusstsein zurückzuholen“.

In Kiew hat man davon gesprochen, dass in der ersten Etappe die Gefahr eines großangelegten Krieges aufgehoben wird, über dessen Wahrscheinlichkeit amerikanische Medien seit Ende Oktober berichten. Weiter müsse es um eine Wiederaufnahme des Verhandlungsprozesses gehen. Wladimir Selenskij bekundete bei einem Briefing am Mittwoch die Hoffnung, dass bereits in dieser Woche die Minsker Verhandlungsgruppe Vereinbarungen über eine Wiederaufnahme des Regimes einer vollständigen Feuereinstellung, über einen Gefangenenaustausch sowie über die Öffnung von Kontroll- und Übergangsstellen an der Trennungslinie erreichen werde. Die Verhandlungen zu allen aufgezählten Richtungen erfolgten in Arbeitsgruppen am 8. Dezember und sollten am 9. Dezember im Rahmen einer Tagung der trilateralen Kontaktgruppe fortgesetzt und abgeschlossen werden. Doch es kam letztlich zu keinem Durchbruch. Einen geringen Hoffnungsschimmer gibt es aber noch, da am 22. Dezember die letzte Tagung der Kontaktgruppe vor dem Jahreswechsel anberaumt wurde.

Der Sonderbeauftragte der Amtierenden Vorsitzenden der OSZE in der Ukraine und in der Trilateralen Kontaktgruppe, Botschafter Mikko Kinnunen, teilte mit, dass am Mittwoch die Untergruppe für Sicherheitsfragen „lange Diskussionen über die Notwendigkeit führte, die Einhaltung des Feuereinstellungsabkommens vom 22. Juli 2020 zu sichern“. Nach seinen Worten bestehe das generelle Verständnis dafür, dass eine langfristige Feuereinstellung eine Priorität sei, die Seiten aber keine Vereinbarungen erzielt hätten. Das Mitglied der ukrainischen Delegation Sergej Garmasch fügte hinzu, dass es auch keine Entscheidungen zum Gefangenenaustausch und zur Öffnung von Übergangsstellen gebe. Nach seinen Worten hätte die ukrainische Delegation für den Donnerstag ein gewisses Dokument vorbereitet, das erlauben sollte, eine Reihe von Fragen zu lösen. Doch dieses Dokument fand keine Billigung seitens der anderen Verhandlungsteilnehmer. In Kiew hatte man gezweifelt, dass es angenommen werde, da alles daran hänge, dass die Ukraine Russland als seinen Gegner im Donbass ansieht, die russische Delegation aber meine, Positionen eines Vermittlers einzunehmen, und den ukrainischen Offiziellen anrate, mit den selbstausgerufenen und nicht anerkannten Gebilden Donezker Volksrepublik und Lugansker Volksrepublik Verhandlungen aufzunehmen. In diesem geschlossenen Kreis befindet sich die Situation bereits nicht das erste Jahr. Nur jetzt aber haben die Seiten begonnen, sich gegenseitig der Vorbereitung auf eine gewaltsame Lösung des Problems zu bezichtigen.

Der Militärexperte Konstantin Maschowez sagte gegenüber dem Internetportal „Glavkom“ („Oberkommandierender“), dass russische Kräfte an den Grenzen zur Ukraine stationiert worden seien. Sie seien aber „für die Durchführung irgendetwas Großangelegten“ ungenügende. „Jetzt haben sie den Grad der Bereitschaft zur Durchführung einer operativ-taktischen Operation in einer bestimmten Richtung erreicht. Sie sind aber wohl kaum zu einer strategischen Offensivoperation an der gesamten Linie imstande. Man kann dies eher als ein Druckelement ansehen…“. Der Experte schloss nicht aus, dass die russischen Truppen in dem Fall eingesetzt werden könnten, wenn in der Ukraine Massenunruhen beginnen wird, wenn es zu einem Chaos komme. Die Ukrainer würden aber solch eine Gefahr ins Kalkül ziehen. „Russland will, dass sich die DVR und LVR nicht der Ukraine anschließen, wir aber uns ihnen. Damit sich die Ukraine in ein einzelnes großes ORDLO (einzelne Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk – „NG“) verwandelt. Wir alle verstehen aber, dass es dies nicht geben wird. Und wir können unsererseits die Territorien nicht gewaltsam zurückholen. Daher wird es nach wie vor solch einen Schwebezustand geben. Die DVR und die LVR werden vorerst „Grauzonen“ bleiben“.

Die Verhandlungen der Präsidenten der USA und der Russischen Föderation haben die generelle Situation nicht verändert. Washington und Moskau haben erneut ihre Positionen erklärt, die unveränderte bleiben: Russland hält den Konflikt im Donbass für ein inneres Problem der Ukraine, für einen Bürgerkrieg. Die USA teilen die Haltung der Ukraine, wonach der Konflikt im Donbass die Folge einer „russischen bewaffneten Aggression“ sei. Der Diplomat und frühere stellvertretende Leiter der Administration von Präsident Petro Poroschenko, Konstantin Jelisejew, schrieb in seinem Blog, dass die Verhandlungen von Biden und Putin „lediglich zum ersten Schritt zu einer Deeskalation wurden. Sie haben aber nicht mehr Stabilität und Vorhersehbarkeit gebracht“. Er betonte: „Die Partie ist für eine strategische Pause unterbrochen worden. Die ist Zeit für die Seiten, um alles zu begreifen, um den Preis abzuschätzen, der für die potenzielle Entscheidung gezahlt werden wird“. Jelisejew unterstrich, dass die ukrainischen Offiziellen jetzt eine aktivere Position einnehmen und ihre Varianten für eine Lösung der Probleme vorschlagen müssten, da „die Zukunft der Ukraine bei ihrer unmittelbaren Beteiligung und mit Unterstützung der internationalen Partner geklärt werden muss“.

Eine Teilnahme der Ukraine ist heute nur in einem Format möglich – im Normandie-Format. Mit dessen Wiederbelebung wird sich möglicherweise das neuen deutschen Regierungsteam befassen. Daher plant Deutschlands neue Außenministerin einen der ersten Auslandsbesuche in diesem Amt nach Kiew und in den Donbass. Der Politologe Viktor Sawinok betonte in einem Interview des Rundfunksenders „Radio NW“, dass nach diesem Besuch die Verhandlungen nicht sofort wiederaufgenommen werden würden. „Es ist wohl kaum bis Mitte kommenden Jahres ein Fortschritt im Rahmen des Normandie-Formats zu erwarten, wenn klar wird, wie die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Frankreich aussehen werden und ob Emmanuel Macron sein Amt behält oder irgendwer anders ihn ablösen wird…“. Erst danach könne die Vierer-Gruppe theoretisch zusammenkommen und ein Gespräch zum Wesen der Sache beginnen, meint der Experte.

Die ukrainische Opposition tritt derweil mit unterschiedlichen und sogar widersprüchlichen Forderungen gegenüber dem Selenskij-Team in Bezug auf solch ein Gespräch auf.