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Die Absage-Kultur hat auch den Papst erfasst


Papst Franziskus hat am Freitag, dem 22. April mitgeteilt, dass sein Treffen mit dem Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill, das in Jerusalem im Juni stattfinden sollte, nicht erfolgen werde. „Unsere Diplomaten sind zu dem Schluss gelangt, dass unsere Begegnung in dieser Zeit zu großer Verwirrung führen kann“, sagte der Pontifex in einem Interview für die argentinische Tageszeitung „La Nácion“ (https://www.lanacion.com.ar/el-mundo/el-papa-francisco-con-la-nacion-de-que-serviria-que-fuera-a-kiev-si-la-guerra-continuara-al-dia-nid21042022/) Dabei charakterisierte er seine Beziehungen mit dem Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche als sehr gute. „Ich bin stets für einen interreligiösen Dialog eingetreten. Als ich Erzbischof von Buenos Aires gewesen war, bahnte ich einen fruchtbaren Dialog zwischen Christen, Juden und Moslems an. Dies war eine der Initiativen, auf die ich am meisten stolz bin. Solch eine Politik habe ich auch im Vatikan verfolgt. Wie Sie bereits viele Male von mir gehört haben, ist für mich die Eintracht wichtiger als der Konflikt“, sagte der Papst.

Die Worte von Franziskus kommentierte operativ der Vorsitzende der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen der Russischen orthodoxen Kirche Metropolit Hilarion (Alfejew). „Die Vereinbarung über die Abhaltung eines Treffens im Jahr 2022 war bereits im Herbst vergangenen Jahres erzielt worden“, sagte der Chefdiplomat der Russischen orthodoxen Kirche gegenüber Journalisten. „Als eine der Möglichkeiten war die Durchführung des Treffens im Nahen Osten, konkreter gesagt – in Jerusalem, eventuell im Juni erörtert worden. Ein Datum und ein Ort sind jedoch nicht bekanntgegeben worden. Mehr noch, wir hatten nicht einmal begonnen, sowohl die Logistik der Begegnung als auch deren inhaltliche Seite durchzuarbeiten. Die Ereignisse der beiden letzten Monate haben aber veranlasst, Korrekturen an den Plänen vorzunehmen und das Treffen aufzuschieben. Es hätten sich gerade jetzt zu viele Schwierigkeiten bei dessen Vorbereitung ergeben. Dies betrifft sowohl die Sicherheit als auch die Logistik und die Berichterstattung über die Begegnung im öffentlichen Raum“. „Wir werden auf eine günstigere Zeit für dieses Ereignis warten“, versprach der knapp 56jährige Hilarion. „Die kürzlichen Kontakte des Papstes und Patriarchen mit Hilfe von Fernmeldemitteln waren sehr warme und herzliche. Sie haben geholfen, brisanteste Fragen zu erörtern. Die übrigen aber belassen wir für die Zukunft“, fügte der Metropolit hinzu.

Derweil setzt Papst Franziskus die diplomatischen Kontakte fort, wobei nicht immer mit jenen politischen Vertretern, die den Mainstream des Westens reflektieren. Am 21. April empfing der Pontifex Ungarns Premierminister Viktor Orban, der jüngst ein weiteres Mal bei den Wahlen in seinem Land siegte. Der Papst und der Premier tauschten Geschenke aus, die einen Background besitzen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche schenkte Orban ein Bronzemedaillon mit der Darstellung des Heiligen Martin von Tours, der aus Pannonien, wie in antiken Zeiten der Westteil des heutigen Ungarns hieß, stammte. Der Heilige ist zusammen mit einem Armen dargestellt worden, der durch einen Teil seines Gewands verdeckt wird. „Ich habe für dies für Sie ausgewählt, weil der Heilige Martin ein Ungar ist. Und ich habe gedacht, dass Sie, die Ungarn, in dieser Zeit zahlreiche Flüchtlinge aufnehmen“, sagte der 85jährige Papst. Da ist eine recht klare Anspielung zu vernehmen: Ungarn nimmt unter allen europäischen Ländern mit größtem Unwillen die zahlreichen Flüchtlingswellen auf, beginnend seit der Zeit, als aus dem Nahen Osten fliehende Moslems in der EU einzutreffen begannen. Da widerspricht Ungarns Politik dem Aufruf des Heiligen Stuhls.

Zur gleichen Zeit bewahrt Orban beinahe die engsten Kontakte mit Russlands Führung, während das übrige Europa in Bezug auf Moskau eine Kampagne der Absagen, des Cancelns verfolgt. Damit zeigt Papst Franziskus, dass er bereit ist, jene Kräfte auf dem Kontinent zu ünerstützen, die imstande sind, eine Aussöhnung Russlands und der Ukraine zu befördern. Orban, daran sei erinnert, hatte mehrfach Putin und Selenskij zu Verhandlungen nach Budapest eingeladen. Ungarns Führung hat es gleichfalls abgelehnt, Waffen für die Ukraine über sein Territorium zu lassen, wobei sie dies damit motiviert, dass zusätzliche Waffen für Kiew den Konflikt verlängern und verschlimmern würden. Etwa genau solche Argumente haben auch der Papst und sein Umfeld angeführt, als sie die Pläne des Westens kommentierten, an die Ukraine schwere Waffen zu liefern.

Zur gleichen Zeit hat der Papst seinen Vertreter in die Ukraine entsandt, den polnischen Kardinal Konrad Krajewski. Zusammen mit dem Nuntius in der Ukraine hat der Kardinal einen Ostergottesdienst am vergangenen Sonntag zelebriert. In der Predigt rief der Abgesandte des Papstes die Ukrainer auf, die Tragödie zu überwinden und das Streben nach Frieden zu bewahren. „Man darf nicht im Schmerz bleiben, der uns veranlasst, in Schrecken zu geraten“, sagte Krajewski. „Der Herr musste auferstehen“, versuchte der Kardinal zu überzeugen, wobei er sich auf den österlichen Kontext stützte. „Andernfalls wären wir beim Karfreitag stehengeblieben, wobei wir nur im Leiden und in Sünde verblieben wären. Aus menschlicher Sicht gibt es keinen Ausweg aus der Situation“.

Derweil ist ein interessanter Beleg von der ukrainischen Seite aufgetaucht, warum sie wegen derartiger Handlungen des Vatikans gekränkt sind, der versucht, ein Gleichgewicht zwischen den sich bekämpfenden Seiten zu bewahren. „Wir beweisen hartnäckig, dass man mit uns zählen muss und dass wir ein Subjekt und kein Objekt der internationalen Politik, der Diplomatie sind“, heißt es in einer Veröffentlichung der Zeitschrift „Tishden“ („Die Woche“) vom 16. April. „Und wir sind ebenfalls ein Subjekt in den Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl. Für die Vatikan-Beamten ist dies genauso ungewöhnlich wie auch für die politischen Führungskräfte vieler Länder des Westens, die uns unterstützen, sich aber nicht die Mühen machen, sich Klarheit über die wahren Ursachen dieses blutigen Dramas zu verschaffen, und es vorziehen, „alle auszusöhnen“.

Somit ist, wenn die Zeitschrift genau die Haltung der ukrainischen Gläubigen wiedergibt, denen die Rolle des katholischen geistlichen Zentrums gerade als ein Schiedsrichter in der internationalen Situation nicht recht. Sie würde ein „Kreuzzug“ des Vatikans gegen Russland passen, einer, der dem ähnelt, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Pius XII. verkündet worden war.

 

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Am Sonntagvormittag wurde bekannt, dass Papst Franziskus den Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill zum Osterfest, zur lichten Auferstehung von Jesus Christus, gratulierte. „Wahrhaftig, der Tod Christ wurde zum Beginn für ein neues Leben und eine Befreiung aus den Fesseln der Sünde sowie zu einem Anlass für unsere Osterfreude, indem vor allen Menschen der Weg aus dem Schatten der Finsternis zum Licht von Gottes Reich eröffnet wurde“, heißt es im Glückwunschschreiben des Pontifex, das auf der Internetseite des Moskauer Patriarchats veröffentlicht wurde. Papst Franziskus rief den Patriarchen auf, füreinander zu beten, um „das Vertrauen verdienende Zeugnis von der evangelischen Kunde über die Auferstehung Christi zu verbreiten“.