Russland zeichnet sich nicht durch eine große Mobilität der Bevölkerung insgesamt und der Arbeitskräfte in Sonderheit aus. Bei Weitem nicht alle Einwohner unseres Landes sind bereit, den Wohnort im Interesse eines neuen Jobs und eines Studiums zu wechseln. Dabei machen den spürbarsten Inlandsmigrationsstrom die jungen Bürger Russlands aus, die für den Erhalt einer Ausbildung und nachfolgenden Arbeit in einer Megapolis in Großstädte gehen. Der Rückgang der Bevölkerungszahl auf dem Lande und in den Kleinstädten verringert die Chancen für eine Überwindung der Entvölkerung Russlands. Schließlich wird der größte natürliche Bevölkerungsrückgang – selbst laut offiziellen Prognosen – in den Hauptstädten und den anderen Großstädten erwartet. Die jungen Bürger Russlands bleiben häufiger als andere in jenen Städten, in die sie für eine Fortsetzung der Ausbildung umgezogen sind, hat das staatliche Meinungsforschungszentrum VTsIOM ermittelt.
Fast jeder vierte Bürger Russlands (24 Prozent) denkt heute über einen Umzug in eine andere Region, in eine andere Ortschaft oder gar in ein anderes Land nach, informierte das VTsIOM. Der Anteil derjenigen, die zu einem Umziehen bereit sind, hat sich in den letzten Jahren fast nicht verändert. Obgleich der Anteil derjenigen, die über eine Emigration nachdenken, sehr deutlich zurückgegangen ist – wahrscheinlich durch den Exodus der sogenannten Auswanderer aus dem Land nach dem Jahr 2022. Rund 25 Prozent der Einwohner Russlands wollen in eine andere Stadt umziehen, hatte das VTsIOM im Jahr 2019 ermittelt. Dabei ist der Anteil der potenziellen Emigranten beinahe um knapp die Hälfte zurückgegangen – von 17 Prozent im Jahr 2019 bis auf zehn Prozent im Jahr des Beginns der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine.
In diesem Jahr sind die attraktivsten Orte für einen Umzug der Bürger Russlands Moskau und das Moskauer Verwaltungsgebiet (10 Prozent), Krasnodar (acht Prozent) und Sankt Petersburg (sechs Prozent) geblieben. In den Klammern ist der prozentuale Anteil derjenigen ausgewiesen worden, die einen Ortswechsel planen. Vor fünf Jahren sah die Liste der attraktiven Städte für einen Umzug etwas anders aus. Die populärsten Städte, in die unsere Landsleute im Jahr 2019 umziehen wollten, waren Sankt Petersburg (15 Prozent), Moskau (acht Prozent) und Krasnodar (sechs Prozent).
Nirgendwohin umziehen wollen 74 Prozent unserer Mitbürger. Der Wert ändert sich in Abhängigkeit vom aktuellen Wohnort praktisch in keiner Weise. Das größte Migrationspotenzial ist unter den jungen Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren (42-47 Prozent), den aktiven Internet-Nutzern (36 Prozent) sowie den Einwohnern der Föderalen Bezirke Ural und Ferner Osten (38 bzw. 33 Prozent) auszumachen.
Die Lust zu einem Ortswechsel kann vom aktuellen Arbeitsformat abhängen. Die Bürger Russlands, die im sogenannten Home-Office und in einem Hybrid-Format arbeiten, haben ihre Umzugspläne in 35 Prozent der Fälle bekundet. Und unter denen, die direkt in Büros oder in einem Betrieb tätig sind, sprachen 28 Prozent der Befragten von Umzugsplänen.
Die geringe branchenbedingte und regionale Mobilität, die mitunter mit einer sozialen Stabilität in einzelnen Regionen und Städten motiviert wird, führt dazu, dass sich der Prozess eines Wechsels von Arbeitskräften aus „stagnierenden“ Branchen in jene, deren Bedarf an Mitarbeitern zunimmt, äußerst langsam vollzieht, betonte man in der russischen Zentralbank. In jenen Sektoren, in denen sich ein neuer Bedarf an Beschäftigten ergibt, nimmt die Konkurrenz um Personal zu, die durch das geringe Potenzial für eine zusätzliche Gewinnung der Bevölkerung für den Arbeitsmarkt verstärkt wird.
Die Neigung zu einem Umzug im Interesse einer Fortsetzung der Ausbildung hängt direkt mit dem Wohnort zusammen. Je kleiner die Ortschaft, desto größer die Neigung in Bezug auf einen Ortswechsel. Einwohner von Dörfern und Städten mit einer Bevölkerung von bis zu 100.000 Einwohnern ziehen häufiger als andere in einen anderen Ort innerhalb ihrer Region für den Erhalt einer Berufsausbildung um. Einwohner beider Hauptstädte (Moskau und Sankt Petersburg) und von Millionen-Städten setzen dagegen in 54 Prozent der Fälle die Ausbildung in dem Ort fort, wo sie die Schulausbildung abgeschlossen haben. Somit sind die Großstädte eine gewisse Art von Magnet oder Staubsauger, der einen Exodus junger Menschen aus den kleinen Orten verursacht. Und das Problem dabei ist, dass das Umziehen in eine Großstadt üblicherweise das reproduktive Verhalten, die Wunschzahl an Kindern und überhaupt die Größe der Familie beeinflusst.
Ende vergangenen Jahres veröffentlichte das russische Statistikamt Rosstat eine recht besorgniserregende regionale Prognose für den natürlichen Bevölkerungsrückgang bis zum Jahr 2045. Beginnend ab diesem Jahr wird in Moskau ein alljährlicher natürlicher Bevölkerungsrückgang (ohne Berücksichtigung der Migrationsströme) mit einem Tempo von 20.000 bis 37.000 pro Jahr registriert werden. Ein ungefähr ähnlicher natürlicher Bevölkerungsrückgang wird sich auch im Moskauer Verwaltungsgebiet vollziehen (ebenfalls mit einem Tempo von 21.000 bis 31.000 Menschen im Jahr). In der Verwaltungsregion Krasnodar wird der natürliche Bevölkerungsrückgang 15.000 bis 26.000 Menschen im Jahr ausmachen. In Sankt Petersburg – 19.000 bis 22.000 Menschen im Jahr.
Eine natürliche Bevölkerungszunahme wird man in Jakutien, Burjatien, auf Tschukotka, in den Republiken Altai und Tywa (Tuwa) sowie in den Verwaltungsbezirken Chanty-Mansijsk und der Jamal-Nenzen beobachten können. Eine stabile natürliche Zunahme der Bevölkerungszahl wird man gleichfalls in den Regionen des Nordkaukasus – in Dagestan, in Kabardino-Balkarien und Karatschajewo-Tscherkession – registrieren können.
VTsIOM-Umfragen zeigen jedoch, dass ein Ortswechsel der jungen Menschen für ein Studium keine umgekehrte bzw. entgegengesetzte Migration der Bevölkerung ausschließen. Ein Umzug in einen anderen Ort zwecks Studiums in einem Technikum oder in einer Hochschule ist keine Garantie dafür, dass er zu einem neuen Zuhause wird. Mehr als die Hälfte der Befragten, die eine Berufsausbildung erhielten, arbeiten und leben nach Abschluss des Technikums oder einer Hochschule in der Region, in der sie die Schulausbildung abgeschlossen hatten. Lediglich 16 Prozent der Befragten teilten mit, dass sie in einem anderen Ort der gleichen Region zum Arbeiten geblieben sind. Jeder siebente Befragte (15 Prozent) antwortete, dass er nach Erhalt des Diploms in eine für sich neue Region zum Leben und Arbeiten gegangen ist.
Insgesamt ist das VTsIOM der Auffassung, dass die Bildungsperspektiven Russlands Bürger eher nicht zu überzeugen vermögen, ihre Region zu verlassen. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen wie beispielsweise das Nichtbestehen der Bereitschaft, ein eigenständiges Leben fern von zu Hause zu beginnen, finanzielle Schwierigkeiten, das Zufriedensein mit der Qualität der Ausbildung im Heimatort… Dabei verstärkt der Verzicht auf eine Mobilität im Interesse des Berufs im jungen Alter nur die Sesshaftigkeit der Bevölkerung. Russlands Bürger lassen sich vom Prinzip „ein Mönch ist nirgends besser als in einem Kloster aufgehoben“ leiten und leben und arbeiten weiterhin dort, wo sie die Schulausbildung abschlossen.