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Die Anti-Einwanderungsrhetorik widerspricht der Nostalgie nach dem sowjetischen Imperium


Die Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) unterstützt den vom Innenministerium vorgelegten Gesetzentwurf, der das Verzeichnis der Rechtsverletzungen erweitert, für die eine Ausweisung von Migranten aus Russland vorgesehen wird. Dies erklärte noch vor der Abstimmung der Chef des Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin (Kremlpartei „Einiges Russland“). Vorgeschlagen wird, Änderungen an zwanzig Paragrafen des Ordnungsrechts vorzunehmen. Durch das entsprechende Zuspielen durch den Vorsitzenden des Untersuchungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, hat man begonnen, derartige Gesetze, die die Einwanderer und Einwanderung kontrollieren sollen, als gute zu bezeichnen. Zuvor hatte die Staatsduma bereits in erster Lesung ein Paket von Gesetzesvorlagen für eine Verstärkung der Kontrolle der Ankömmlingen durch die Polizei gebilligt.

Vom Wesen her machen die vorgeschlagenen und anzunehmenden Gesetzesänderungen die Ankömmlinge zu einer separaten Kategorie von Straftätern. Im Erläuterungsschreiben zu diesem Paket, dass man in der Duma zu behandeln und zu unterstützen versprach, wird eine Statistik von Rechtsverletzungen durch Ausländer in den Jahren 2020-2023 angeführt und heißt es, dass die Zahlen nicht zurückgehen würden. Dort wurde gleichfalls betont, dass sich die „widerrechtlichen Aktivitäten der ausländischen Bürger“ in den letzten Jahren verstärkt hätten. „Oft werden sie von gewaltsamen Handlungen, die eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der Bürger schaffen, durch eine Anwendung von Gewalt gegen Vertreter der Behörden, aber auch durch ein Behindern des normalen Funktionierens von Objekten zur Absicherung des Lebens, der Transport- oder sozialen Infrastruktur begleitet“. Ausländische Bürger würden, wie in dem Begleitschreiben erklärt wird, „in einzelnen Fällen offen ihre Missachtung gegenüber den allgemeinen russischen Werten bekunden und zwischennationale Zwietracht schürende Aussagen zulassen“.

Das Hervorheben „einzelner Fälle“ in solch einem bedeutsamen Dokument verwandelt sie in eine Tendenz. In dieser Hinsicht (ja, und auch in vielen anderen Fällen) entsprechen die Änderungen der Wahrheit des politischen Moments. Nach dem Terrorakt im Konzertsaal „Crocus City Hall“ (vom 22. März dieses Jahres – Anmerkung der Redaktion) hat die Aufmerksamkeit für die Frage der Einwanderung zugenommen. Razzien an Wohnorten der Einwanderer, die verstärkten Überprüfungen und Fälle einer Ausweisung sind zu einer Alltäglichkeit geworden. Die Anti-Migrationsrhetorik, die in den letzten Jahren fast vergessen wurde, kehrte in den politischen Diskurs zurück. Mehr noch, während sie früher vor allem für Nationalisten unterschiedlichen Grades an Mäßigkeit und Politiker des Systems, die versucht hatten, mit ihnen zu kokettieren, charakteristisch gewesen war, wird heutzutage das Gerede über Verbrechen von Migranten und die Notwendigkeit, die russischen Werte zu achten, zum Mainstream.

Dies kann man als eine zulässige Zuspitzung der Innenpolitik ansehen. Im Land wird das Mehrparteiensystem beibehalten. Dabei spüren und begreifen die Parteien, dass sie sich in einer Zeit ernsthafter diskursiver Restriktionen wiedergefunden haben. Die Anti-Einwanderungsrhetorik erlaubt, Dampf abzulassen, eine Diskussion zu beginnen, zumindest in irgendeinem Bereich mit anderen Politikern und Parteien uneins zu sein und verschiedene Positionen einzunehmen sowie einen Unterschied zu demonstrieren.

Jedoch wirkt auch hier eine Trägheit, die dem russischen politischen System eigen ist. Im Land existieren natürlich einflussreiche Kräfte, die an der Arbeit der Einwanderer interessiert sind. Dies kann sowohl das Big Business als auch die jeweilige regionale Führung sein. Sie werden aber wohl kaum anfangen, ihr Interesse in einer politischen Diskussion zu verteidigen. Denn jegliche von oben zugelassene Rhetorik, darunter auch eine gegen die Migranten gerichtete, wird als ein neuer Kurs wahrgenommen, als eine Generallinie. Und ihr zu widersprechen, kann teuer zu stehen kommen.

Wenn dies aber wirklich ein neuer Kurs ist, so wie soll man da mit der Nostalgie nach dem multinationalen sowjetischen Imperium umgehen? Man muss da diese Idee durch ein „Sammeln der Russen“ ersetzen. Und es wird nicht ganz angebracht sein, an die jahrhundertelangen Bande mit Zentralasien zu erinnern. Und der Wunsch der Staaten in dieser Region, sich andere strategische Partner zu suchen, wird da beinahe als ein Verrat aufgefasst. Wenn Moskau aber das Anziehungszentrum für das einstige Imperium ist, so ergibt sich, dass auch die Migration eine natürliche ist.