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Die Armenier von Bergkarabach müssen erneut die Heimat verlassen


Die Ortschaften Berdzor, Achavno und Sus des Verwaltungskreises Latschin von Bergkarabach sollen bis zum 25. August an Aserbaidschan übergeben werden. Die Übergabe der Orte, die entlang dem Latschin-Korridor gelegen sind, der Bergkarabach mit Armenien verbindet, erfolgt im Rahmen von Vereinbarungen zwischen Jerewan und Baku über den Bau einer neuen alternativen Route anstelle der erwähnten. Die Einwohner dieser Dörfer bereiten sich auf eine Ausreise vor.

Die aus Berdzor, Achavno und Sus eintreffenden Informationen sind widersprüchlich. Laut den einen Angaben würden die Einwohner ihre Sachen packen, und mehrere hätten bereits ihre Häuser verlassen. Eine Reihe von Internet-Medien veröffentlichten berührende Fotoreportagen über das Abschiednehmen einheimischer Kinder voneinander. Laut anderen Angaben jedoch würden die Armenier nirgendwohin gehen und seien bereit, bis zum Letzten zu kämpfen, und würden auf Hilfe sowohl von Landsleuten als auch von den russischen Friedenstruppen warten.

Allerdings scheint das Schicksal der erwähnten Ortschaften ein vorentschiedenes zu sein. Zur Tragik kommt für die armenische Seite auch jener schwere Umstand hinzu, dass einige Einwohner von Achavno und Berdzor nicht das erste Mal gezwungen sind, die angestammten Orte zu verlassen. Ende der 1980er Jahre waren sie bereits aus Baku und Sumgait geflohen.

Das Medium „Aravot“ (deutsch: „Der Morgen“) verbreitete Informationen, wonach dieser Tage Vitalij Balasanjan, der Sekretär des Sicherheitsrates von Arzach (der armenische Eigenname von Bergkarabach), das Dorf Berdzor besucht hätte. Ihn hätten … aserbaidschanische offizielle Vertreter, größtenteils Militärs, begleitet. Sie hätten sich die Häuser angesehen… Laut der Meldung des Mediums hätten sich Dorfbewohner auf Balasanjan mit Vorwürfen und Fragen gestürzt, doch der Held des ersten Karabach-Krieges hätte in keiner Weise reagiert, sich mit den Begleitern in ein Auto gesetzt und sei davongefahren.

Die Offiziellen Armeniens haben in diesen Tagen zahlreiche Vorwürfe hinsichtlich eines Verkaufs und eines Verrats der Heimat einstecken müssen. So erklärte der erste Außenminister des unabhängigen Armeniens, der Anführer der Partei „Das Erbe“, Raffi Owannisjan, dass, wenn man Berdzor und Achavno wirklich Aserbaidschan überlassen werde, sich Berkkarabach in einem Kessel befinden werde. „Dieser Tage erklärten offizielle Vertreter, dass es keinerlei Pläne für eine Übergabe von Berdzor gebe. Es ergibt sich, dass nach dieser Erklärung ein Mann beschlossen hat, Territorien abzutreten, die nicht einmal in der trilateralen Erklärung (der Spitzenvertreter Russlands, Aserbaidschans und Armeniens vom 9. November 2020 – „NG“) erwähnt worden waren. Jetzt wird klar, was das Herabsetzen der politischen Planke für Bergkarabach bedeutet (Erklärung von Premierminister Nikol Paschinjan – „NG“), unterstrich Owannisjan. Er ist der Auffassung, dass eine Aufgabe von Territorien ohne Berücksichtigung der Meinungen des armenischen Volkes ein Verrat sei. Und „Nikol Paschinjan hat den Verfassungseid hinsichtlich der Gewährleistung der territorialen Integrität, Souveränität, des Lebens und der Sicherheit der Bürger gebrochen“. Owannisjan hat die gesamte Verantwortung für die schweren Folgen Armeniens Premierminister zugewiesen.

Mit einer scharfen Erklärung ist der Oppositionsblock „Armenien“ aufgetreten, der erklärte, dass die Staatsbeamten den „türkisch-aserbaidschanischen Interessen“ dienen würden. Und im Ergebnis der „Verliererlinie der Offiziellen Armeniens sind die Armenier erneut mit der Gefahr einer Vertreibung aus ihren Häusern konfrontiert worden“. Der Block „Armenien“ ist der Meinung, dass Aserbaidschan einen Punkt der trilateralen Erklärung vom 9. November 2020 verletze. Das Dokument sehe keine Übergabe von Ortschaften aufgrund eines Straßenbaus vor. „Wir haben es erneut mit Vereinbarungen zu tun, die hinter dem Rücken des Volkes erreicht worden sind“, wird in dem Dokument unterstrichen.

Derweil übt Baku weiterhin entsprechend den Möglichkeiten Druck auf Jerewan in Bezug auf verschiedene Fragen aus. So hat Aserbaidschans Außenminister Jeyhun Bayramov Armenien vorgeworfen, dass es den Prozess der Freigabe der Verbindungswege im Südkaukasus ausbremse. „Unsere Positionen decken sich in bestimmter Weise. Wenn aber Armenien eine aufrichtige Absicht hätte, so wäre die Frage schon längst gelöst worden“, erklärte Bayramov in einem Interview für türkische Medien, wobei er unterstrich, dass Aserbaidschan unter anderem seinen Anteil der Arbeiten für den Bau einer neuen Straße vorzeitig erfüllt hätte, während Armenien, dessen Arbeitsumfang geringer sei, gerade erst die Absicht habe, eine Ausschreibung zu verkünden. Bayramov richtete die Aufmerksamkeit besonders auf die Verzögerungen, die mit dem Sangesur-Korridor – einer Route zwischen Aserbaidschan und der Autonomie Nachitschewan über das Territorium Armeniens – zusammenhängen. Den Unmut von Baku löst auch dies aus, dass die armenische Seite angeblich den Vertrag über den Abzug der Streitkräfte Armeniens vom Territorium Bergkarabachs nicht erfülle. „Aserbaidschan wird keine Präsenz ungesetzlicher armenischer bewaffneter Formationen auf seinem souveränen Territorium zulassen… Die armenische Seite muss sich dem ernsthaft gegenüber verhalten“, fügte Bayramov hinzu.

Übrigens, Jerewan hatte mehrfach unterstrichen, dass es in Bergkarabach keine Wehrpflichtigen und Militärs aus dem eigentlichen Armenien gebe. Und die einheimischen Streitkräfte seien ausschließlich aus Bergkarabach-Bewohnern gebildet worden. Als wesentliche werden in Jerewan gleichfalls die Differenzen hinsichtlich des sogenannten Sangesur-Korridors angesehen. Auf jeden Fall bezeichnet Jerewan jene Bedingungen, die heute Baku stellt, als nichtlegitime. In der trilateralen Erklärung der Spitzenvertreter Russlands, Aserbaidschans und Armeniens gebe es so etwas nicht.

Jeyhun Bayramov erklärte in dem gleichen und bereits erwähnten Interview für türkische Medien, dass Aserbaidschan eine Alternative für die Verbindungen Nachitschewans über den Iran und unter Umgehung von Armeniens habe. Er teilte mit, dass entsprechend einem Abkommen mit Teheran bereits die Errichtung einer Brücke über den Grenzfluss Araks begonnen worden sei. „Dieses Projekt wird ganz bestimmt unabhängig vom Wunsch Armeniens realisiert werden. Es muss aber wissen, dass es für das Land eine Chance ist, nicht noch einmal abseits von regionalen Entwicklungsobjekten zu bleiben. Wenn Jerewan keine richtige Entscheidung trifft, wird es sich selbst einen ernsthaften Schaden zufügen“, meint Bayramov.