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Die Aufklärung hatte die Bombe vor der Haustür Russlands vorausgesehen


Im Diskurs um die siegreiche Rückkehr der terroristischen Taliban-Bewegung nach Kabul (die in der Russischen Föderation verboten ist) überwiegt heute die Meinung von der gescheiterten 20jährigen Mission der USA in Afghanistan und von einer panischen Flucht der Amerikaner, die Militärtechnik und Ausrüstungen zurückgelassen haben, nach Hause. Aber nicht alles ist so eindeutig…

Wer sind die Führungskräfte der zurückgekehrten Taliban-Bewegung? Alte Bekannte – Gefangene des berüchtigten US-Gefängnis in Guantanamo auf Kuba, die aus irgendeinem Grunde gnädig von den USA freigelassen worden waren. Oder Spitzenkräfte der Bewegung, die mit der Protektion der Vereinigten Staaten in anderen Ländern freigelassen wurden. Dies ist beispielsweise Mullah Abdul Ghani Baradar – ein ehemaliger Feldkommandeur und Anführer des politischen Flügels der Taliban-Bewegung, heute stellvertretender Vorsitzender der neuen provisorischen Regierung Afghanistans, der im Februar des vergangenen Jahres an der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den USA teilgenommen hatte. Im Jahr 2018 hatte gerade der CIA bei den pakistanischen Behörden um seine Freilassung ersucht. Ja, und da beschleichen einen die ersten Zweifel an der Spontanität des Einzugs der Taliban in Kabul.

Zum Nachdenken veranlasst auch die Geschwindigkeit des erfolgreichen Vormarschs der Taliban. Im Mai hatte der Abzug der USA aus Afghanistan begonnen. Und im Juli meldete die Taliban-Bewegung, dass sie 40 Prozent des Territoriums und 90 Prozent der Grenzen dieses Landes kontrollieren würden. Wie ist denn den ungebildeten Mudschaheddin-Kämpfern der „Blitzkrieg“ gegen die von den NATO-Kräften ausgebildeten und gut ausgerüsteten afghanischen Militär-Profis gelungen? War es vielleicht auch so durch das Hauptquartier in Langley konzipiert worden?

Neugierig mach auch Anderes. Wozu hat das Pentagon den Mudschaheddin die amerikanischen Stützpunkte mit Munition, Eigentum der afghanischen Armee inkl. moderner gepanzerter Technik, Drohnen, Hubschrauber und leichter Kampfjets, aber auch eine solide Menge von Artilleriegeschossen unterschiedlicher Kaliber und Schusswaffen zurückgelassen? Wer wird diese modernen Waffen warten? Afghanische Spezialisten, die bei NATO-Ausbildern ein Praktikum absolvierten? Es sind Informationen aufgetaucht, dass die Taliban-Bewegung eine Spezialtruppe für Diversionseinsätze außerhalb von Afghanistan aufstelle. Dies braucht sie wohl kaum. Wer ist da also der Interessierte? Verwenden die USA die Taliban-Bewegung als Waffe eines Hybrid-Krieges gegen die Russische Föderation und die Volksrepublik China?

Beim Suchen nach Antworten auf diese Fragen kam unwillkürlich ein Interview mit Leonid Schebarschin, dem letzten Chef der Auslandsaufklärung der UdSSR (1989-1991), dem amtierenden KGB-Vorsitzenden der UdSSR (vom 22. bis 23. August 1991) sowie einem professionellen Orientalisten und tiefgründigen Kenner Pakistans, Indiens, Irans und Afghanistans in den Sinn. Zum Thema unseres Gesprächs im März 2005 waren der internationale Terrorismus, „Al-Qaida“ (die in Russland verboten ist), ihr Führer Osama bin Laden, aber auch das Wesen des Interesses der USA für Afghanistan geworden.

„Ein handliches Ding ist der internationale Terrorismus!“, hatte der legendäre Aufklärer zu Beginn der Unterhaltung spöttisch angemerkt. Und erläutert: „Der Terrorismus ist genauso alt wie auch die Geschichte der Menschheit. Der Begriff „internationale Terrorismus“ ist doch wie auch der Mythos von bin Laden in den USA aus der Taufe gehoben worden. Übrigens lange vor den Ereignissen vom 11. September (2001 – „NG“). Unter dem Vorwand eines Kampfes gegen den internationalen Terrorismus okkupierten die Amerikaner Afghanistan, den Irak, werden ihre demokratische Ordnung im „Großen Nahen Osten“ schaffen. Die USA haben sich das Recht angeeignet, Schläge gegen jeglichen Punkt des Erdballs unter dem Vorwand der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu führen“. „Das Gerede von einer Entstehung einer Demokratie und Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist der übliche verbale Nebelschleier für den sich zuspitzenden großen Kampf um das internationale Erdöl. Andere Interessen haben die Amerikaner in der Region nicht“, resümierte der Generalleutnant im Ruhestand.

Die Analyse der Manipulationen der US-Geheimdienste mit der Bewegung „Al-Qaida“ und Osama bin Laden durch den einstigen Aufklärer ist heute besonders aktuell, da hier Parallelen zu unserer Zeit auszumachen sind. „In einem Gespräch mit einem Experten der RAND Corporation (ein US-amerikanischer Think Tank – „NG“), der sich mit „Al-Qaida“ beschäftigte, kamen wir zu dem Schluss, dass dies keine Organisation sei, sondern eine „notion“ – eine Idee. Und der Kampf gegen diesen mächtigen, alles durchdringenden und geheimnisvollen Mythos, der mit dem Islam verbunden ist, ist für die Amerikaner sehr von Vorteil, denn er ist auf die ölreichen moslemischen Regionen orientiert. Und bin Laden charakterisierte ein Agent der USA, der mit ihm in Pakistan in der Zeit unserer Afghanistan-Kampagne gearbeitet hatte: „Sich über die Fähigkeit von bin Laden zu irgendwelchen großen Aktionen Gedanken zu machen, ist ein Verspotten des gesunden Menschenverstands der Amerikaner“.

Schebarschin, der auf meine Bitte hin das Interesse der Vereinigten Staaten an Afghanistan, das weit vom Erdöl entfernt ist, präzisierte, akzentuierte die Aufmerksamkeit auf Folgendes: „Indem die USA dort ein Aufmarschgebiet haben und Stützpunkte in Usbekistan und Kirgisien erlangen, kontrollieren sie die Region um das Kaspische Meer, eines der größten Erdölreservoirs“.

Unter Berücksichtigung der Erfahrungen der sowjetischen Afghanistan-Kampagne interessierte ich mich, ob nicht die Amerikaner und deren Verbündete aus dem Nordatlantikpakt nicht für lange Zeit in Afghanistan stecken bleiben würden. „Dies ist nicht der Irak. Doch sie werden irgendwelche Verluste erleiden. Die NATO hat dort kein Interesse. Dies sind die Amerikaner, die sie da reingezogen haben. Die USA brauchen doch nur Stützpunkte in der Region. Eine Kontrolle über das gesamte Afghanistan ist aber unmöglich. Ja, und sie braucht auch keiner. Durch das Land verläuft eine strategische Pipeline Turkmenien – Küste des Arabischen Meeres. Für seine Sicherheit reicht es, entweder die Anführer der Stämme, die entlang dieser leben, oder irgendwelche zahlenmäßig geringen bewaffneten Kräfte aus Afghanen an sich zu „kaufen““, antwortete Schebarschin, ohne zu zögern.

Warum haben sich da also die Amerikaner zwanzig Jahre lang dort aufgehalten? Erfolgte möglicherweise ein langer Prozess der Vorbereitung eines Brückenkopfs für einen Hybridkrieg zwecks Kontrolle der Region und optimaler Auswahl von Vollstreckern der strategischen Vorgaben aus Washington? Gesetzt hat man letztlich auf die Taliban-Bewegung. Die Entscheidung ist aber nicht leicht gefallen. Erforderlich war ein sorgfältiges Feilen an den Nuancen der Operation.

Und noch etwas. Schon damals, im Jahr 2005, hat Schebarschin auf den antichinesischen Aspekt der Afghanistan-Kampagne der USA hingewiesen: „Die Volksrepublik China wird für die Amerikaner zu einem globalen Konkurrenten. Übrigens, als die USA in Afghanistan einrückten, hatte einer der angesehenen amerikanischen Experten auf einer Konferenz zu Problemen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ausgeplaudert: „Afghanistan, das sind Peanuts. Unser Hauptproblem ist China“. Und hier muss Russland eine unabhängige Rolle spielen, wobei es weder ein Bündnis mit den USA noch mit China eingeht“, resümierte der Analytiker.

Ja, und da sind die möglichen Ziele für die Diversionsspezialeinheit der Taliban-Bewegung deutlich geworden. Vor der Haustür Russlands und der Volksrepublik China aus geopolitischer Sicht, die von Washington zu strategischen Rivalen erklärt worden sind, wird eine „Zeitzünder-Bombe“ gelegt.