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Die Beschleunigung der Inflation verstärkt eine schleichende Denominierung


Die hohe Inflationsrate im heutigen Russland veranlasst zu einer regelmäßigen Denominierung des Bargeldes. Das letzte Mal ist eine offizielle Abwertung des Rubels am Vorabend des Defaults von 1998 vorgenommen worden, als die russischen Offiziellen sehr stolz auf die Wiedergeburt der Kopeken gewesen waren. Seitdem sind in der Russischen Föderation faktisch nicht nur die Kopeken verschwunden, sondern auch größere Münzen. In der Struktur des Bargeldes nimmt rasant der Anteil der 5.000-Rubelscheine zu. Und Banknoten mit dem Nennwert von zehn oder 50 Rubel werden zu einer Rarität. An der Reihe sind eine Neubewertung von 100-Rubelscheinen und deren Zuordnung zu den kleinen Münzen sowie das Auftauchen von Geldscheinen mit dem Nennwert von 10.000 Rubeln und mehr. Zum heutigen Zeitpunkt übersteigt der Anteil der 5.000-Rubelscheine bereits 80 Prozent des gesamten russischen Bargeldes.

In diesem Jahr ist Russland in eine neue Ära einer zweistelligen Inflationsrates geraten, in der das Jahreswachstumstempo der Preise nicht mit einstelligen, sondern zweistelligen Prozentzahlen gemessen wird.

Die Ursache für Beschleunigung des Anstiegs der Preise liegt nicht nur in der Ukraine-Krise, sondern auch im Einfluss der globalen Inflation, die zu einer Folge des Vollpumpens der Volkswirtschaften der Welt mit Geld während der Pandemie geworden ist. In der Woche vom 12 bis einschließlich 18. März 2022 hat sich in Russland die Jahresinflationsrate bis auf 14,5 Prozent erhöht, teilte man im von Maxim Reschetnikow geleiteten Wirtschaftsministerium mit. Das letzte Mal war solch ein hohes Tempo des Ansteigens der Preise nur im Jahr 2002 beobachtet worden. Freilich wuchs damals die russische Wirtschaft etwa um fünf Prozent im Jahr. Und in diesem Jahr wird sie laut unterschiedlichen Schätzungen um acht bis 20 Prozent schrumpfen.

Die ständige Zunahme der Preise und Tarife führt dazu, dass die Preise für die billigsten Waren und Dienstleistungen in ganzen Rubeln und gar aufgerundet in 10, 20, 30 usw. Rubeln ausgewiesen werden. Daher verschwindet der Bedarf an kleinen Münzen und Geldscheinen. Und die größten werden zu den gefragtesten. Solch ein Verschwinden von Rubeln und Kopeken aus dem Geldumlauf kann man durchaus als eine schleichende Abwertung bezeichnen, die sich in der Veränderung der Struktur des Bargeldes im Land offenbart.

Zu Beginn dieses Jahres machte die gesamte Bargeldmasse im Umlauf mehr als 14 Billionen Rubel aus. Dabei entfielen nur ganze 118 Milliarden auf Münzen, und mehr als 13,9 Billionen also auf Geldscheine. Nimmt man die Stückzahlen so sind dies fast 70,3 Milliarden Geldmünzen und über 6,8 Milliarden Geldscheine. Zum Vergleich sei ausgewiesen: Vor zehn Jahren war der Bargeldumlauf nur halb so groß. So machte die gesamte Bargeldmasse ca. 6,8 Billionen Rubel aus, von denen 6,35 Billionen auf Geldscheine und 48 Milliarden auf Geldmünzen entfielen.

In den letzten zehn Jahren verlagert sich der „Gebrauch“ von Bargeld immer mehr zu Banknoten mit einem hohen Nominalwert, wobei faktisch die Geldscheine mit einem kleinen Nennwert verdrängt werden. Die Geldmünzen sind zur gleichen Zeit auch praktisch aus dem Umlauf verschwunden. So entfielen Anfang des Jahres 2021 91 Prozent des Bargeldes auf Banknoten mit dem Nennwert von 1000 und 5000 Rubel. Von der Stückzahl her entfielen auf sie auch knapp 50 Prozent der sich im Umlauf befindlichen Geldscheine. Und in diesem Jahr haben bereits 97 Prozent der Geldmasse im Umlauf 1000-, 2000- und 5000-Rubelscheine ausgemacht. Und von der Stückzahl ist ihr Anteil bis auf 60 Prozent angestiegen.

Es sei angemerkt, dass sich innerhalb von zehn Jahren der Anteil der Geldscheine mit dem Nennwert von 5000 Rubeln an der Bargeldmasse von 57 Prozent im Jahr 2012 bis auf 82 Prozent in diesem Jahr erhöhte. Jede dritte Banknote in der Russischen Föderation ist ein 5000-Rubel-Schein, während vor zehn Jahren ihr Umfang nur ganze zwölf Prozent ausgemacht hatte. Der Anteil der Banknoten mit dem Nominalwert von 500 Rubel und weniger ist innerhalb eines Jahrzehntes um zwei Drittel zurückgegangen – von neun bis auf drei Prozent. Und der Anteil der Geldmünze im Umlauf hat sich halbiert.

Der Bedarf an großen Banknoten ist nicht nur mit dem Steigen der Preise zu erklären, sondern auch mit dem Versuch eines Teils der Bevölkerung, Ersparnisse in Bargeld anzulegen. Das heißt: Die Gesamtmasse des Bargeldes hat in Russland zugenommen, doch die Anzahl der Transaktionen unter Verwendung von Bargeld hat sich verringert, konstatierten Experten des Gaidar-Instituts. Ungeachtet der Entwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs hat sich die Nachfrage nach großen Geldscheinen praktisch nicht verringert. Ca. 30 Prozent der Bevölkerung geben dem Bargeld bei den Zahlungen den Vorrang und betrachten es als eine bequeme Form für Ersparnisse, betonen die Wirtschaftsexperten.

Am Vorabend des Defaults von 1998 waren im Rahmen einer Geldreform in der Russischen Föderation Banknoten mit den Nominalwerten fünf, zehn, 50, 100 und 500 Rubel eingeführt worden. Und als Geldmünzen kursierten Münzen mit den Nominalwerten ein, fünf, zehn und 50 Kopeken sowie ein, zwei und fünf Rubel. Im Vergleich zu dem vorangegangenen Geld war der neue Nominalwert um das 1000fache verringert worden. Jetzt aber ist fast die Hälfte dieser Münzen beinahe aus dem Umlauf verschwunden. Das heißt: Wir haben es mit einer verdeckten oder schleichenden Abwertung zu tun, bei der die geringen Nominalwerte durch größere verdrängt werden. Es sei daran erinnert, dass 1998 ein Kilogramm Rindfleisch etwa 300 Rubel kostete, heute aber bereits 20mal mehr. Von 1998 bis heute ist Weißkohl fast um das 19fache teurer geworden – von damaligen 4,80 Rubel bis auf 90 und mehr Rubel je Kilogramm.

Die rasante Zunahme der Preise erfolgt auch bei den tagtäglichen Dienstleistungen. 1998 kostete eine Metrofahrt 2,20 Rubel. Und heute ist sie fast um das 30fache teurer.

Die Experten der „NG“ sind der Auffassung, dass in der nächsten Zeit die kleinen Geldmünzen und Geldscheine wohl kaum verschwinden würden. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Anteile der 100- und 50-Rubelscheine an der Gesamtzahl der Banknoten praktisch nicht verändert. Erst waren es 18 und zehn Prozent gewesen, und jetzt sind es 17 bzw. neun Prozent geworden, unterstrich Igor Safonow, Experte des Zentrums für Entwicklung der in Moskau ansässigen Hochschule für Wirtschaftswissenschaften. „Dabei hat die Menge des Bargeldes am Umlauf in diesen Jahren um mehr als das 2fache zugenommen. Und dies bedeutet, dass die Zentralbank neue Banknoten dieser Nominalwerte zur Beibehaltung ihres Anteils am Geldumlauf eingeführt hat“, erläutert Safonow.

„Der Verzicht auf kleine Geldscheine und die Münzen hat auch eine politische Bedeutung. Heutzutage ist die Inflation für die Bevölkerung eine sehr schmerzhafte Frage, besonders die Inflation bei den Lebensmittelpreisen. Ein Verschwinden der kleinen Münzen wird den Grad der Beunruhigung bei den Bürgern Russlands erhöhen“, urteilt Andrej Wernikow aus der Investitionsfirma „Univer Capital“. Nach seinen Worten würde sich die Frage im Zusammenhang mit den kleinen Geldmünzen und Banknoten bald von selbst lösen. „Die Sanktionen des Westens beschleunigen die Einführung des digitalen Rubels. Während früher seine vollwertige Einführung zum Jahr 2030 erwartet wurde, so wird es nun früher erfolgen. Die Rubel werden als bargeldlose bleiben und die Kosten für die Inkasso-Operationen sowie für die Herstellung von Banknoten und Münzen werden verschwinden. Russland geht entsprechend der schwedischen Variante vor. In diesem Land ist bereits seit einigen Jahren eine Bezahlung in bar praktisch unmöglich geworden, und der Anteil an Banknoten am Umlauf ist geringer als ein Prozent“, urteilt der Experte.

Große Banknoten werden nicht nur für Bezahlungen verwendet, sondern auch für das Aufbewahren von Ersparnissen in Form von Bargeld, erinnert Dozent Maxim Markow von der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Der erneute Anstieg der Inflationsrate wird jedoch kaum ein Verschwinden von Münzen und Banknoten geringer Nominalwerte aus dem Umlauf fördern, sagt der Experte.

Heutzutage werden die meisten Geldmünzen mit den Nennwerten ein, zwei, fünf und zehn Rubel im realen Zahlungsverkehr genutzt. Doch vor kurzem sind fast die Kopeken aus dem Umlauf verschwunden. Wenn man jetzt aber die Münzen mit den Nominalwerten ein, zwei und fünf Rubel aus dem Verkehr zieht, werden alle Preise bis auf zehn Rubel aufgerundet. Daher kann man derzeit wohl kaum so etwas voraussagen, meint der Gründer von Video Inside, Alexander Mamitschew.

Die Inflation und neue Bedürfnisse verändern die Struktur des Geldumlaufs, stimmt TeleTrade-Chefanalytiker Mark Goichman zu. „Die Münzen und Banknoten der größeren Nominalwerte werden zu bevorzugteren. Diejenigen aber, die geringer sind, werden weniger gefragt sein. Insgesamt wird das Metallgeld im Bargeldumlauf die Positionen gegenüber den Banknoten verlieren, wenn auch recht langsam. Anfang des Jahres 2020 machte der Anteil der Geldmünzen in der Summe 1,01 Prozent der Geldmasse in Russland aus. Mit Stand vom Januar 2020 aber lag der Wert bei 0,84 Prozent“, erinnert er. „Für ein völliges Verschwinden der Münzen mit den gegenwärtigen Nominalwerten aus dem Umlauf können etwa zehn, elf Jahren nötig sein“, urteilt der Wirtschaftsexperte. Obgleich in der Realität die Zeiträume auch andere sein könnten. „Ohne Münzen kann man sich schwer einen Geldumlauf vorstellen, bei dem Preise, Restbestände auf Konten nicht unbedingt „runde“ sind und die nur mit Geldscheinen bedient werden können“, konstatiert er.