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Die Bürger Russlands im Donbass bleiben in der elektoralen Reserve der Offiziellen


Urteilt man über die Aktivierung des Themas über eine mögliche Teilnahme der Bürger Russlands aus der Zahl der Einwohner der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik an den Wahlen zur Staatsduma, kann in der nächsten Zeit hinsichtlich dieses Problems durch die Offiziellen der Russischen Föderation irgendeine politische Entscheidung gefällt werden. Wie die „NG“ bereits geschrieben hat, bleiben, obwohl dort rund 600.000 Menschen Inhaber russischer Pässe geworden sind, diese sozusagen Staatsbürger zweiter Sorte. Sie können beispielsweise praktisch nicht das wichtige politische Recht frei realisieren – Vertreter in die Staatsorgane sozusagen ihres Landes wählen. Laut Informationen der „NG“ wird man doch keine Wahlbezirke und gar Sonderwahllokale für die neuen Wähler der künftigen Staatsduma einrichten. Nicht von ungefähr hat der Co-Vorsitzende der Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ Sachar Prilepin das Gerede von Plänen, im Verwaltungsgebiet Rostow zu kandidieren, zurückgewiesen. Experten sind der Meinung, dass die Offiziellen der Russischen Föderation den Donbass als eine gewisse elektorale Reserve für die Abstimmung entsprechend von Parteilisten ansehen würden.

Die Bewohner des Donbass mit russischen Pässen können die Gelegenheit erhalten, bei den Wahlen zur Staatsduma im September in Wahllokalen im Verwaltungsgebiet Rostow oder digital abzustimmen, teilte der russischen Nachrichtenagentur INTERFAX eine informierte Quelle in Moskau mit. Es macht Sinn zu betonen, dass die Meldung bereits in der Nacht zum 30. März gesendet und später bereits am Morgen mehrfach wiederholt wurde. Und danach wurde diese Nachricht schon in großem Maße aufgegriffen.

Das Wesen der Verbreitung dieser Information besteht darin, dass angeblich „die Möglichkeit der Erstellung von Listen durch territoriale Wahlkommissionen im Verwaltungsgebiet Rostow aus Wählern aus der Zahl der Bürger Russlands, die ständig auf den Territorien des Donezker und des Lugansker Verwaltungsgebietes der Ukraine leben, aber keine ständige Anmeldung auf dem Territorium der Russischen Föderation besitzen, geprüft wird“. Das heißt, „es wird die Möglichkeit erörtert, solchen Bürgern die Möglichkeit zu gewähren, ihr Wahlrecht auf dem Territorium der Grenzregion der Russischen Föderation zu realisieren“.

Allerdings hat diese gleiche Quelle von INTERFAX auch daran erinnert, dass entsprechend einem ähnlichen Schema die Teilnahme von Bürgern der Russischen Föderation aus der Donezker und der Lugansker Volksrepublik (DVR und LVR, die offiziell in Kiew als Separatistengebiete angesehen werden – „NG“) am Verfassungsreferendum im letzten Sommer organisiert worden war. Wie die „NG“ früher hingewiesen hat, besteht das Problem darin, dass es damals nicht so viele solcher „auswärtigen“ Bürger im Donbass gegeben hatte. Die Realisierung der April-Erlasse des russischen Präsidenten über die vereinfachte Ausstellung von Pässen hatte gerade erst begonnen. Jetzt aber lösen mehrfache massenhafte Grenzübertritte in die eine und die andere Richtung nicht nur einfach Schwierigkeiten mit der Logistik aus. Sie schaffen vor allem den Boden für einen spektakulären internationalen Skandal.

Anfang März hatte die „NG“ ebenfalls darauf verwiesen, dass es gleichfalls nicht einfach werde, die Wählerstimmen aus der DVR und der LVR für irgendein digitales Abstimmungsformat abzuspeichern bzw. zu erfassen, da die „neugebackenen“ Bürger Russlands keine solchen Identifikatoren wie eine individuelle Versicherungsnummer und eine Steuerzahler-ID besitzen. Und ihre Telefonnummern sind nicht von russischen Mobilnetzbetreibern. Somit sieht eine Nutzung des Internetportals „Gosuslugi“ („Staatliche Leistungen“) schwierig aus. Und dies wiederum, weil eine Reihe von Business-Strukturen aus Russland dem Westen keinen Anlass für neue Sanktionen geben wollen. Dennoch besteht die Quelle von INTERFAX darauf, dass „vor dem Hintergrund der epidemiologischen Lage unter Berücksichtigung des Saisonfaktors zuerst die Möglichkeit einer Teilnahme der Wähler, die sich lange auf dem Territorium des Lugansker und des Donezker Verwaltungsgebietes der Ukraine befinden, an einer elektronischen Fernabstimmung untersucht wird“. Aber natürlich müssen sie dafür einen bestätigten Eintrag auf dem Portal „Gosuslugi“ haben, dessen Angaben mit den Angaben des Wählerregisters des SAS (Staatlichen automatischen Systems) „Wybory“ („Wahlen“) vergleichbar sind. Gleichfalls muss man einen Antrag auf eine Teilnahme an der elektronischen Fernabstimmung eben über dieses Portal einreichen. Es macht Sinn zu betonen, wie demonstrativ die informierte Quelle der Nachrichtenagentur auf eine Verwendung der Abkürzungen DVR und LVR verzichtet.

Dabei hatte bereits am 17. März die Zentrale Wahlkommission Russlands gerade über dieses Schema einer Organisierung der Wahlen für die Einwohner der nichtanerkannten Republiken gesprochen, freilich unter Ausschluss deren Teilnahme an einer Internet-Abstimmung. Tatsächlich wird, wie die „NG“ schrieb, die Situation im Apparat des Sicherheitsrates der Russischen Föderation und in der Administration des Präsidenten schon mehrere Monate untersucht. Zusammengetragen wurden unterschiedliche Expertengutachten und Dossiers zur Geschichte der Frage. Der 1. Stellvertreter des Duma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, Konstantin Satulin, erinnerte beispielsweise an seine Initiative für einen gesonderten Wahlbezirk für die Wähler im Ausland. In einem Interview der Nachrichtenagentur „Regnum“ bestätigte er dieser Tage die Informationen über Kontakte mit der Administration des Präsidenten. Mehr noch, Satulin lenkte das Augenmerk auf die gewaltige Differenz zwischen den offiziellen Daten der Russischen Föderation über die Anzahl der Wähler im Ausland – 1,9 Millionen Menschen mit Stand des Jahres 2016 – und den Zahlen der UNO von 11 Millionen russischen Staatsbürgern, die ständig im Ausland leben. Es muss angenommen werden, dass der Abgeordnete dieses Thema auch der Kreml-Administration präsentierte.

Bezeichnend aber ist, dass es nach wie vor keine bestimmte politische Entscheidung hinsichtlich der Wähler des Donbass gibt. Mehr noch, es scheint, dass immer noch unterschiedliche Varianten abgeklopft werden. Andernfalls hätte es nicht die Geschichte mit der angeblichen Nominierung Prilepins für die Staatsduma in einem der Direktwahlbezirke des Verwaltungsgebietes Rostow gegeben, dem man scheinbar einen Teil des Elektorats aus der DVR hätte zuschreiben können. Der Co-Vorsitzende von „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“ hat dieses Gerücht bereits dementiert. Möglicherweise hing dies nicht so sehr mit dem Wahlbezirk zusammen als vielmehr mit der ersten Position Prilepins in der Parteiliste für diese Region. Jedoch werden ohne eine Genehmigung des Kremls solche Aktionen nicht unternommen. Und die Entscheidung wird vertagt. Mehr noch, es bestehen große Zweifel, dass die Offiziellen die Donbass-Stimmen – möglicherweise auch nicht vollkommen loyalen, aber ganz bestimmt leicht zu administrierenden — für eine freie Nutzung hergeben wollen. Die Experten der „NG“ neigen dazu, dass die halbe Million Stimmen als Reserve beiseitegelegt wird, als eine elektorale Reserve vor allem für die Bedürfnisse von „Einiges Russland“.

Arkadij Ljubarew, Ratsmitglied der Bewegung „Golos“ („Die Stimme“), erläuterte der „NG“, dass vom Prinzip her beide Varianten, die gegenwärtig für eine Organisierung der Abstimmung unterbreitet werden, realisierbar seien. „Sicherlich wird man ihnen Transportmittel bereitstellen. Und die Probleme der Fernabstimmung bei den Wahlen wird man irgendwie lösen. Das Hauptproblem aus der Sicht des Rechts ist, dass es keine Agitation für eine bestimmte Kraft gibt, die das Herankarren organisiert. Aber so ist klar, dass die Bewohner des Donbass macht- bzw. herrschaftstreu eingestellt sind“, sagte er. Der Experte betonte, dass diese Bürger derzeit natürlich in den Wahlrechten eingeschränkt seien. Sie werde offenkundig nicht die ganze Agitation erreichen. Und auch nicht alle Kandidaten. Aber diese Probleme haben alle im Ausland lebenden Landsleute. Sie alle sind im Übrigen faktisch auch der Rechte beraubt, gewählt zu werden.

Mit den Bürgern der Russischen Föderation aus der DVR und der LVR, die durch Russland doch nicht anerkannt worden sind, ergibt sich gleichfalls das Problem deren Zuordnung zu irgendwelchen Direktwahlbezirken. Aber die Offiziellen würden jetzt da nichts zu klären anfangen, nimmt Ljubarew an. Gemäß der geografischen Aufteilung der Wahlbezirke vom Jahr 2015, die für zehn Jahre vorgenommen wird, ist die Ukraine zwei Regionen zugeteilt worden – dem Swerdlowsker Verwaltungsgebiet und dem Autonomen Bezirk der Jamal-Nenzen. „das bedeutet, wenn die Einwohner des Donbass dort oder in Rostow abstimmen werden, so nur für Listen, für Kandidaten nach Wahlbezirken aber können sie dies nicht tun. Insgesamt lösen die Staaten in solchen diplomatischen Situationen die Rechtsprobleme so, wie sie wollen“, merkte der Experte an. Seiner Meinung nach werde das Internetportal „Gosuslugi“ sicher einen Zugang zur Fernabstimmung organisieren, da dies sowohl für die Offiziellen als auch für die Einwohner bequem sei. Vielleicht werde man für die geringste Ebene der Registrierung auf dem Portal die Möglichkeiten vereinfachen. „Es ist klar, dass man ihnen auch die Staatsbürgerschaft im Vielen dafür gegeben hat, damit sie abstimmen können. Ja, aber mit dem passiven Wahlrecht ist es weitaus komplizierter, da sie keine Aufenthaltserlaubnis haben. Ja, und die Offiziellen sind auch nicht besonders interessiert daran“, erläuterte Ljubarew. Was aber die Suche nach dem gesamten Massiv der Landsleute angehe, so ist er der Meinung, dass sich, da in den einen Staaten sie bei den russischen Wahlen für die Herrschenden und in anderen für die Opposition stimmen würden, für die Offiziellen keine besonderen Stimuli für diese Sache ergeben würden und es keinen politischen Vorteil gebe.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow betonte gegenüber der „NG“: „Es ist klar, für wen die Einwohner der selbstproklamierten Republiken abstimmen. Wobei es unwichtig ist, persönlich oder digital. Für „Einiges Russland“. Dafür hatte man die Pässe auch ausgegeben. Deshalb organisiert man auch das Herbeischaffen mit Bussen und sichert einen Zugang zum Portal „Gosuslugi“. Es ist aber verständlich, dass bei der Abstimmung die administrative Ressource eine Rolle spielen wird“. Was das Portal „Gosuslugi“ angehe, so ist sich der Experte sicher, dass man den neuen Staatsbürgern einen erleichterten Zugang ohne individuelle Versicherungsnummern erlauben oder schnell die nötigen Dokumente ausgeben werde. Er erläuterte, dass, wenn man doch Menschen aus dem Donbass in das Verwaltungsgebiet Rostow bringen werde, es keinen besonderen Bedarf seitens der Offiziellen hinsichtlich ihrer Stimmabgabe in den dortigen Wahllokalen gebe, da dies eine elektoral steuerbare Region sei. „Aber hinsichtlich der Listen wird „Einiges Russland“ durch die neuen Landsleute Zugewinne erzielen. Ein passives Wahlrecht aber können jene nur bei einer Anmeldung in Russland erhalten. Heutzutage hat man sich vor den Wahlen zur Staatsduma gerade deshalb der neuen Staatsbürger erinnert, weil dies eine elektorale Reserve für die Herrschenden ist. Dies ist aber auch PR: Wir haben doch ein Bevölkerungswachstum dank der slawischen Völker und potenzielle Arbeitskräfte. Insgesamt aber handeln die Offiziellen pragmatisch. Die Rechte der neuen Landsleute werden jetzt in jenem Teil realisiert, der ihnen zum Nutzen gereicht. Wenn dies unvorteilhaft ist, vergisst man sie“, erklärte Kalatschjow. Er zweifelt gleichfalls, dass die russischen Offiziellen alle zehn Millionen Bürger der Russischen Föderation, die im Ausland leben, gerade aufgrund der Vielfalt ihrer politischen Orientierung suchen würden.