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Die Emigration zerstört die außerparlamentarische Opposition


Die Widersprüche unter den Vertretern der außerparlamentarischen Opposition erreichen nach und nach einen Siedepunkt. Es erfolgt ein Aufsplitten zwischen „zu Hause gebliebenen“ und „ins Ausland gegangenen“ Oppositionellen. Die Partei „Jabloko“ beispielsweise erinnert in den aufgekommenen Streitigkeiten die Politemigranten an all ihre vergangenen Sünden, besonders hart aber – an die heutigen Fehler. Die in Russland Gebliebenen werfen den Ausgereisten vor, dass jene von der Stilistik her den Herrschenden ähnlich geworden seien, und als Retourkutsche erhalten diese die Anschuldigungen, dass sie vor dem Kreml kapituliert hätten.

Wie die „NG“ erfahren hat, hat sich das sattsam bekannte Forum für ein freies Russland endlich mit der Tagesordnung für die nächste Veranstaltung in Vilnius festgelegt. Dort findet vom 30. November bis einschließlich 1. Dezember bereits eine dritte pazifistische Konferenz unter Beteiligung sowohl russischer Politemigranten als auch einzelner europäischer Politiker statt. In den Plänen der Veranstaltung dominieren durch und durch Überlegungen über die Zukunft Russlands, das vom gegenwärtigen Regime unweigerlich befreit werde, sowie Ideen für neue politische Aktionen, die für die Offiziellen der Russischen Föderation unangenehm sind. Es gibt aber nicht eine Richtung, die mit irgendwelchen Anstrengungen zur Konsolidierung der umfangreichen Gruppen der Nichteinverstandenen zusammenhängt.

Es sei daran erinnert, dass dabei das Forum für ein freies Russland immer härter mit allen übrigen oppositionellen Kreisen der Politemigranten konkurriert. Aus dem eigenen Land erreicht sie aber Kritik, die keinen Unterschied hinsichtlich der Nuancen unter ihnen macht. Beispielsweise hat der Abgeordnete der Gesetzgebenden Versammlung von Petersburg (das Parlament der Newa-Metropole – Anmerkung der Redaktion) Boris Wischnewskij von der „Jabloko“-Partei jene bloßgestellt, teilweise lächerlich gemacht und zurechtgewiesen, die vor einem wahren Kampf geflohen seien. Er bezeichnete alle Emigranten-Veranstaltungen als politische Online-Aktionen. Denn aus seiner Sicht seien „Opposition“ und „Emigration“ prinzipiell unterschiedlicher Begriffe. Sich mit Politik befassen, das heißt: Um die Macht und Einfluss zu kämpfen, wobei die Interessen der Bürger vertreten werden, könne man nur im eigenen Land.

Derweil ist Wischnewskij darüber ungehalten, dass viele der Politemigranten nur sich und gleichartige als eine reale Opposition ansehen, „im Unterschied zu den in Russland Gebliebenen, die, wenn sie nicht im Gefängnis sitzen, entweder zu „Komplizen“ oder „Mitstreitern“ des Regimes erklärt werden, oder zu „Mitläufern“ oder Schuldigen dessen, dass sie bisher zumindest nicht hinter Gittern sind“. Besonders empörte den Oppositionspolitiker, dass beispielsweise „Jabloko“ nach Auffassung der Emigranten zu den „Komplizen des Regimes“ gehöre. Und Wischnewskij konstatierte, dass ein Teil der ins Ausland Gegangenen durch die Rhetorik an die russischen Herrschenden erinnere, wobei die Opponenten zu solchen Menschen erklärt werden, die entweder entsprechend der Anweisungen von irgendwem oder aus eigennützigen Erwägungen handeln. „Nur in einem Fall sind dies „Agenten des Kremls“ und im anderen „Agenten des State Departments““, scherzte der Vertreter der „Jabloko“-Partei. Und er erinnerte daran, dass sicherlich jene, die Russland verlassen haben, berechtigt seien, den im Land Verbliebenen jegliche Ratschläge zu geben, obgleich ja die einstigen politischen Häftlinge diesbezüglich eine andere Meinung hatten – „aus der Freiheit gibt man keine Ratschläge“. „In der Praxis vernehmen wir keine Ratschläge, sondern Bewertungen, Vorwürfe, Belehrungen oder Anweisungen wie man kämpfen muss, worauf ich gewöhnlich antworte: „Kommt zurück und demonstriert ein Beispiel!“. Und dies erklingt von Menschen, die sich im Unterschied zu den Verbliebenen in völliger Sicherheit befinden“, unterstrich Wischnewskij. Und solch eine Situation sei nach seiner Meinung für die gesamte Opposition schädlich, da die Staatspropaganda sich nicht einmal etwas ausdenken müsse, um die Opponenten des Regimes in einem unvorteilhaften Licht darzustellen.

Derweil ist, obgleich auch die Vorwürfe Wischnewskijs nicht wie unbegründete aussehen, nicht sehr klar, weshalb die Oppositionellen überhaupt beginnen mussten, sich erneut gegenseitig mit Dreck zu bewerfen, was zu ihrer Annihilation führt. Der Leiter der Politischen Expertengruppe, Konstantin Kalatschjow, erläuterte der „NG“: „Obwohl die gegenseitigen Anschuldigungen der Oppositionellen nicht sehr schön aussehen, gibt es hier keinerlei listigen Plan und keine Sonderoperation der Offiziellen, um die Opposition gegeneinander aufzuhetzen. Dies ist ein traditioneller interner Kampf, der bekanntlich ein noch härterer sein kann als der zwischen verschiedenen Arten. Gegenwärtig hat sich ein großer Bruch abgezeichnet. Die politische Situation im Land hat sich verhärtet. Und es ergibt sich, dass jene, die ausgereist sind und sich in komfortablen Bedingungen befinden, über ein wunderbares Russland der Zukunft Überlegungen anstellen und die Verbliebenen belehren, wie man richtig den politischen Kampf zu führen hat. Und die zurückgebliebenen Oppositionellen denken zur gleichen Zeit auch an ein Überleben: Wird man sie einsperren oder nicht einsperren, untersagt man eine Partei oder untersagt man sie nicht, werden ihre Vertreter wiedergewählt oder nicht? Es ist logisch, dass unter solchen Bedingungen die Empörung und Verärgerung über die Position der ausgereisten zunimmt“. Der Experte verwies auf zwei verschiedene Lebensformen: Während die einen darüber nachdenken, wie man kostenlose staatliche Zuschüsse verdienen kann, und planen, das Land anzuführen, wenn „das Regime zusammenbricht“, denken die anderen darüber nach, wie man in Russland unter den gegenwärtigen Bedingungen arbeiten kann. Nach Meinung von Kalatschjow sei die Empörung Wischnewskijs gesetzmäßig. Augenscheinlich seien die Vertreter der „Jabloko“-Partei bereits an den Punkt „ich kann nicht schweigen“ angelangt. Solch ein Konter-Positionieren verschaffe jedoch den im Land gebliebenen Nichteinverstandenen zusätzliches Vertrauen. „Die Menschen sind objektiv nicht bereit, den Ausgereisten zu glauben. Daher ertastet „Jabloko“ einen politischen Punkt für ein Zusammengehen mit Blick auf die Perspektive. Und darauf, dass sich bei uns die Geschichte stets überraschend ändert. Das heißt: „Jabloko“ führt einen politischen Kampf mit Blick auf die Zukunft“.