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Die Europäische Union will endgültig auf russischen Stahl verzichten


Die Hilfe des Westens für die Ukraine und dementsprechend die Maßnahmen gegen Russland erlangen einen prinzipiell neuen Charakter. Bei den Treffen „Ramstein-3“ und der NATO-Verteidigungsminister war die Rede von der Notwendigkeit, den Umfang der Militärhilfe für das Land drastisch zu erweitern. Außerdem beginne die Ukraine laut Medien-Angaben Gespräche mit den USA über großangelegte Einkäufe verflüssigten Erdgases anstelle von russischem Erdgas. Vor diesem Hintergrund endet ab dem 17. Juni die Wirkung von Ausnahmen aus den Sanktionen in Bezug auf den Import von Stahl aus Russland in die Europäische Union. Dies wird die erste ernsthafte Sanktionsmaßnahme gegen eine ganze Branche der russischen Wirtschaft, die in vollem Umfang in Kraft treten wird.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Europäische Union, der größte Handelspartner der Russischen Föderation, eine ganze Reihe von branchenbezogenen Sanktionen gegen Russland verhängt.

In Kraft gesetzt wurden Restriktionen für den Erwerb von russischem Stahl, von Kohle und Erdöl aus Russland. All diese Sanktionen sind jedoch derzeit im Prozess einer Umsetzung. Für mehrere Länder sind zeitliche Aufschübe eingeräumt worden. Außerdem ist Zeit für eine Lösung von Verträgen und für eine Realisierung geltender Verträge, die vor Verhängung der Sanktionen abgeschlossen wurden, gewährt worden. Dies schwächt in gewisser Weise den Schlag gegen die russische Wirtschaft ab.

Zum ersten Industriezweig, der mit den Konsequenzen der Sanktionen im vollen Umfang konfrontiert wird, wird die Stahl-Industrie. Durch das vierte EU-Sanktionspaket, das am 15. März verabschiedet wurde, ist ein Verbot für den Import von Stahl-Erzeugnissen verhängt worden. Eine Ausnahme war für die Umsetzung der Pflichten gemäß Verträgen, die bis zum 16. März abgeschlossen wurden, gemacht worden. Und nur für einen Zeitraum bis zum 17. Juni. Somit soll ab dem 17. Juni der Import von russischen Eisen, Eisenlegierungen und Stahl in Länder der Europäischen Union eingestellt werden. In einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission ist der Schaden für die Russische Föderation durch diese Maßnahmen auf drei Milliarden Euro geschätzt worden. Es muss betont werden, dass im Jahr 2021 der Umfang des Exports russischen Stahls stabil zugenommen hatte, und dies mit einem sehr guten Tempo. Laut Angaben des Föderalen Zolldienstes war allein Stahlwalzgut über eine Summe von 7,36 Milliarden Dollar aus dem Land ausgeführt worden. Das heißt zweimal mehr als im Jahr 2020.

Um ein mögliches Umgehen der Sanktionen zu vermeiden, hat die Europäische Kommission am 13. Juni Erläuterungen veröffentlicht. Laut diesen darf man weder vor der Verhängung der antirussischen Restriktionen abgeschlossene Verträge prolongieren noch früher abgeschlossene Rahmenabkommen als Verträge ansehen. Verschwunden ist das Schlupfloch, das – wie in der westlichen Presse berichtet wurde – für ein Umgehen der bereits 2014 verhängten Sanktionen aktiv ausgenutzt wurde. Nunmehr werden die EU-Verbote endgültig zu den bestimmten Daten wirksam. Beispielsweise werden russischer Kaviar und Wodka nach dem 10. Juli nicht mehr in die Länder der Europäischen Union gelangen. Dann wird auch die Lieferungen von Holz aus der Russischen Föderation eingestellt. Ab dem 10. August stellt die EU den Import russischer Kohle ein – noch ein russisches Exportgut, dessen Absatz in Europa das gesamte vergangene Jahr aktiv gesteigert wurde. Ebenso werden zu diesen Terminen die Lieferungen europäischer Waren eingestellt. Beispielsweise wird endgültig kein Papier mehr gemäß Verträgen, die bis zum 9. April abgeschlossen wurden (am 8. April war das fünfte EU-Sanktionspaket verabschiedet worden), bereits am 10. Juli aus den Ländern der EU eintreffen.

Auf Erdöllieferungen aus der Russischen Föderation werden die EU-Länder bekanntlich nicht alle zusammen verzichten. Vorgesehen sind bestimmte Zeiträume für Ausnahmen für mehrere Länder – für Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Die gewisse Verringerung der Stärke des Sanktionsschlages soll das siebte EU-Sanktionspaket kompensieren. Es wird wahrscheinlich den russischen Erdölsektor tangieren, darunter Tankerlieferungen für Drittländer.

All dies wird mit einer drastischen Erweiterung der Hilfe für die Ukraine verbunden. Bekannt ist unter anderem, dass im Rahmen des „Ramstein-3“-Treffens auch ein fünftes US-amerikanisches Paket militärischer Unterstützung für dieses Land erörtert wurde. Laut Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg belaufe sich dessen Umfang auf 650 Millionen Dollar. Die Ukraine werden unter anderem „Harpoon“-Schiffsabwehrraketen erhalten. Das heißt, die USA räumen eine Variante ein, bei der das Land (die Ukraine – „NG“) mit Waffengewalt ungehinderte Lieferungen seines Weizens auf dem Seeweg gewährleisten muss. Dennoch spricht Washington vorerst lediglich davon, dass es den Ukrainern bei der Ausfuhr von Weizen per Bahn Hilfe leisten werde. Die Ukraine an sich versuche aber laut Informationen des Magazins „Foreign Policy“ die USA davon zu überzeugen, noch weiter zu gehen und die Unabhängigkeit des Landes von russischen Gaslieferungen zu sichern. Unter Berufung auf eigene Quellen behauptet das Magazin, dass der Chef des ukrainischen Staatsunternehmens „Naftogaz“, Jurij Vitrenko, vorgeschlagen habe, seinem Land rund sechs Milliarden Kubikmeter Gas im Rahmen eines amerikanischen Lend-Lease-Gesetzes zu liefern. Da ergibt sich, dass sich die Ukraine anschickt, sich jenen Ländern anzuschließen, die ohne russisches Erdgas auskommen wollen. Derzeit sind des einige, darunter das gesamte Baltikum.

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Wie wirken sich aber die EU-Sanktionen konkret in Russland aus? Beim 25. Internationalen Petersburger Wirtschaftsforum war dies natürlich gleichfalls ein Thema. Interessante Zahlen nannten da hochrangige Vertreter aus der Wirtschaft und des russischen Staates. GAZPROM-Chef Alexej Miller erklärte am Mittwoch, dass der Konzern in den ersten fünf Monaten dieses Jahres die Förderung um 6,4 Prozent bis auf 226 Milliarden Kubikmeter Gas drosselte. Der Export ins sogenannte ferne Ausland brach im genannten Zeitraum um 28,9 Prozent bis auf 65,6 Milliarden Kubikmeter ein. In Sachen Erdöl sehen die Perspektiven gleichfalls nicht rosig aus, obgleich Vizepremier Alexander Novak Hoffnungen in die Preisentwicklung zu setzen scheint. Er schloss am Donnerstag nicht aus, dass ein Barrel bis zum Jahresende 150 Dollar kosten werde und die Preisnachlässe für Exporte zurückgehen würden. Weniger Geld wird auch der Strom-Export in die russische Staatskasse bringen. Energieminister Nikolaj Schulginow prognostizierte am Rande des Petersburger Wirtschaftsforums, dass der Export in diesem Jahr etwa 18 Milliarden Kilowatt/Stunden erreichen könnte. Im Vergleich zum Vorjahr vier Milliarden Kilowatt/Stunden weniger. Welche Konsequenzen sich für die Erzeuger ergeben, kann man sich unschwer vorstellen, denn neue Märkte zu erschließen, ist keine Sache von heute auf morgen. Ganz zu schweigen von den damit verbundenen logistischen Herausforderungen.