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Die Falle für russisches Erdöl wird sich als eine leere erweisen


Die G-7-Länder versuchen, einen Teil der Exportgewinne Russlands einzuziehen, aber auch die internationalen Preise für Erdöl bis zu den Herbstwahlen in den USA, wo der Benzinpreis bereits zu einer politischen Frage geworden ist, zu drücken. Der Ausverkauf staatlicher Öl-Reserven durch Verbraucher-Länder zwecks Verringerung der Weltmarktpreise hatte bisher eine sehr bescheidene Wirkung. Und die Erschwerung der Lieferungen russischen schwarzen Goldes kann die internationale Preise erneut nicht drücken, sondern in die Höhe treiben. Der neue Plan der westlichen Koalition zur Kontrolle der Versicherung und des Transports von Erdöl aus der Russischen Föderation sieht bisher als ein nicht zu realisierender aus, meinen Experten.

Die G-7-Länder seien der Entscheidung „sehr nahe“, eine Einschränkung der Preise für russisches Erdöl auf globaler Ebene – einen sogenannten „Öl-Preis-Deckel“ – zu erreichen, meldete am Montag die japanische Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf einen US-amerikanischen Beamten. Pläne für eine Einschränkung der Ölpreise beim G-7-Gipfel hatten zuvor die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, angekündigt. Für die Realisierung solch eines Schrittes müsse aber eine Koalition gebildet werden, die nicht nur die EU und die USA, sondern auch andere Verbraucher einschließe, erläuterte Michel. Zum Instrument für eine Begrenzung der Exportpreise könne ein Mechanismus werden, bei dem die Russische Föderation Verträge über eine Versicherung und den Transport ihres Erdöls nur unter der Bedingung abschließen könne, dass sein Preis nicht höher als ein vorgegebenes Maximum liege, hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg erfahren. Die Probleme bei der Realisierung dieses Plans bestehen darin, dass die Russische Föderation ihm nicht zustimmen kann. Ja, und die Käuferländer werden nicht unbedingt sich den westlichen antirussischen Sanktionen anschließen wollen, umso mehr zum eigenen Schaden. Außerdem sehen die bestehenden Verträge für die russischen Erdöllieferungen kein Eingreifen einer dritten Seite in sie vor. Dabei versprechen die russischen Offiziellen, schon im Juli die Förderung und den Export von Erdöl aus der Russischen Föderation zu forcieren.

In Elmau ist letztlich keine Entscheidung zum sogenannten Öl-Preis-Deckel getroffen worden, die Verhandlungen dazu sollen fortgesetzt werden. Und Kremlsprecher Dmitrij Peskow deutete bei seinem täglichen Telefon-Briefing am Dienstag an, dass dieses Thema sozusagen Verhandlungsmasse sei.

Das bereits von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten verhängte Embargo für den Erwerb russischen Erdöls hat zu einem drastischen Preisanstieg geführt, was der Russischen Föderation erlaubte, große Mengen des Rohstoffs auf andere Märkte, in erster Linie nach Asien – nach Indien und China -, umzulenken. Dadurch hat Russland, auch wenn es selbst geringere Ölmengen mit einem Bonus verkauft, seine Einnahmen im Ergebnis der westlichen Sanktionen erhöht, während die EU und die Vereinigten Staaten Reinverluste erleiden. Inklusive einer sekundären Wirkung in Gestalt der Inflation.

„Damit die Maßnahme eine wirksame ist, ist eine Teilnahme aller EU-Länder nötig, aber auch Chinas und Indiens, die sich wohl dieser Initiative kaum anschließen werden. Andernfalls wird die Maßnahme zur Begrenzung der Preise eine formale sein, da die G-7-Länder schon fast kein Erdöl mehr aus Russland kaufen“, erläutert Igor Galaktionow, Experte der Investitionsfirma „BKS – Welt der Investitionen. Nach Aussagen des Experten werde es auch schwer werden, einen Konsens in der EU zu erreichen, da sich für die Länder die Risiken verstärken würden, die von den Pipeline-Importen abhängen würden. Ungarn bekomme per Pipeline aus Russland 86 Prozent des gesamten Erdöls, Tschechien – 97 Prozent, die Slowakei – fast 100 Prozent. „Wenn Russland nicht zustimmt, Erdöl zu einem speziell herabgesetzten Preis zu liefern, riskieren diese Länder, gänzlich ohne Rohstoffe zu bleiben. Sie werden wohl kaum für eine Entscheidung stimmen, die ihre Energiesicherheit bedroht“, prognostiziert Galaktionow.

„Den eigentlichen Mechanismus für eine selektive Beschränkung der Preise werden sicherlich selbst die Autoren dieser Initiative schwer erklären können. Wenn irgendwer sagen wird, dass wir Ihr Erdöl für maximal 80 Dollar bei 115 auf dem Markt kaufen werden, wird Russland einfach solche Bedingungen ablehnen und den Brenn- und Rohstoff auf anderen Märkten verkaufen, nun nicht um weitaus mehr, aber teurer. Und Europa wird gezwungen sein, den Brennstoff bereits nicht zum Marktpreis zu kaufen, sondern um einen etwas höheren Preis. Und im Endergebnis kann dieses ganze Karussell die Ölpreise im besten Fall bis zum erneuten Erreichen der historischen Spitzenwerte bringen“, sagte Gleb Finkelstein, Spezialist des Departments für strategische Forschungen des Unternehmens Total Research. Im schlimmsten Fall könnten nach seinen Worten die Preise real in den Bereich von 300 Dollar je Barrel hochschnellen. „Wobei sich dies nur auf Europa auswirken wird, denn eben jene BRICS-Länder werden ruhig das Erdöl und Erdölprodukte in Russland zu adäquaten Preisen kaufen, besonders wenn die Lieferverträge langfristige sind“, erwartet der Experte.

„Möglich ist auch ein anderes Szenario: Zu Marktpreisen wird das russische Erdöl eingekauft werden, doch durch ein Vermischen wird es sich in estnisches oder lettisches verwandeln. Und nach Europa wird beispielsweise über die Türkei gelangen, die es offen abgelehnt hat, sich den Sanktionen gegen die Russische Föderation anzuschließen. Daher scheint es schon jetzt, dass sich die G-7 nur selbst alles aufgrund eines politischen Spielens um gewisse Prinzipien ohne Berücksichtigung der Bevölkerungsinteressen verschlechtert“, urteilt Finkelstein.

Gegenwärtig demonstriert Russland eine Stabilität seiner Förderung. Nach der allgemeinen Panik im April hatte sich die durchschnittliche Tagesförderung an Erdöl um 8,8 Prozent im Vergleich zum März verringert. Im Mai ist es aber zu einer Wiederbelebung übergegangen. Und bereits im Juni sei es nach Aussagen von Vizepremier Alexander Novak praktisch zu den Februar-Werten zurückgekehrt. Derzeit habe Russland die Ölförderung stabilisiert, sagte Novak, und bis Ende des Jahres 2022 werde sie den Stand von vor der Krise erreichen.

US-Präsident Joseph Biden erklärte Ende März, dass er im Durchschnitt jeweils eine Million Barrel Erdöl am Tag im Verlauf der nächsten sechs Monate aus den strategischen Reserven der Vereinigten Staaten auf den Markt bringen werde. Der Initiative der USA zum Ausverkauf strategischer Reserven haben sich noch drei dutzenden Import-Länder angeschlossen. Freilich, seitdem haben sich die Ölpreise lediglich von 120 bis auf 110 Dollar je Barrel Erdöl der Marke Brent verringert.

Die Initiative eines Öl-Preis-Deckels für russisches Erdöl könne sich in der Praxis als eine nicht umzusetzende erweisen, meint Alexander Potawin, leitender Analytiker des Investitionsunternehmens „Finam“. Russland leite bereits die Lieferungen seines Erdöls auf die asiatischen Märkte um. Die Fragen hinsichtlich der Sicherheitszertifikate und der Versicherung der Tanker, die russisches Erdöl transportieren, werden schrittweise geklärt. Das teilweise aufgeschobene Embargo für russisches Öl und russische Ölprodukte hatte die Europäische Union mehr als zwei Monate lang abgestimmt. „Die Einführung neuer Mechanismen für Restriktionen bei russischen Öllieferungen verlangt eine erneute Erörterung der verhängten Sanktionen und deren Revision. Schließlich ist unklar, wie andere Öllieferanten der Idee über maximale Ölpreise gegenüberstehen, denn diese Maßnahme wird derzeit nur hinsichtlich der russischen Lieferungen diskutiert. Es ist möglich, dass die Staats- und Regierungschefs der G-7 dann die Möglichkeit der Festlegung eines weltweiten Ölpreis-Deckels diskutieren müssen. Das Kartell OPEC+ wird von dieser Idee nicht begeistert sein“, nimmt Potawin an.