Experten behaupten, dass Deutschland ein rauer Winter 2021/22 erwarte. Möglicherweise werde dies gar der kälteste Winter aller Zeiten, meint das Internetportal www.maennersache.de. Die Temperaturen würden in einigen Regionen bis an die 30 Grad Celsius unter Null fallen können. Und dies sei das, womit die Deutschen dieses Mal konfrontiert werden würden. Die praktische Frage besteht unter diesen Bedingungen in der garantierten Stromversorgung. Bei der offenkundig unzureichenden Stromerzeugung mit Hilfe solcher alternativen Quellen wie die Sonne und die Windkraft rücken jedoch solche Energieträger wie Gas in den Vordergrund.
Es sei daran erinnert, dass Deutschland seinerzeit den Ausstieg aus der Kernenergie erklärt hatte und fast vollständig beendet hat (laut offiziellen Angaben sind derzeit noch sechs AKW am Netz – Anmerkung der Redaktion). Und geplant ist eine rasche Stilllegung aller Kraftwerke, die auf der Basis von Kohle arbeiten (im Idealfall bis zum Jahr 2030). Derzeit führt dies aber zu steigenden Preisen für Erdgas und zwingt daher die Verbraucher, dessen Einsatz einzuschränken. In ganz Europa klettern die Tarife für die Endverbraucher in die Höhe, werden Produktionsstätten für die Herstellung von Stickstoffdünger stillgelegt, die Gas als Rohstoff verwendeten, und es werden die Bauernhöfe aufgrund des Mangels an Düngemitteln leiden. Das heißt, dass sich ein Mangel an einzelnen Waren ergibt. „Irgendwer muss für all dies die Verantwortung übernehmen. Die Europäische Kommission muss den Menschen erklären, wer daran Schuld hat“, meint Igor Juschkow, Experte der in Moskau ansässigen Stiftung für nationale Energiesicherheit und der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation. Es ist bekannt, dass Russland im vergangenen Jahr über Pipelines 168 Milliarden Kubikmeter seines Gases nach Europa lieferte. Auf Deutschland entfielen laut Gazprom-Angaben knapp 46 Milliarden Kubikmeter des russischen Erdgases. Das deutsche Internetportal www.statista.de wies dagegen 56,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland aus. Außerdem erhielt Europa 22 Millionen Tonnen russischen verflüssigten Erdgases (LNG), zwei Millionen Tonnen mehr als aus den USA. Über die Hälfte aller Lieferungen von Pipelinegas für Deutschland kamen aus Russland. Das übrige Gas bekam es aus Norwegen und den Niederlanden. Insgesamt hängte die deutsche Stromversorgung zu mehr als 90 Prozent von Gasimporten ab. Gegenwärtig gibt es laut Angaben unterschiedlicher Quellen nicht ein einziges Terminal für den Import von verflüssigtem Erdgas in Deutschland. Daher bleiben die Hauptoptionen für die russischen Gaslieferungen nach Deutschland die Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „Jamal – Europa“ sowie die auf eine Inbetriebnahme wartende „Nord Stream 2“.
Aber allem nach zu urteilen, wird „Nord Stream 2“ nicht sehr bald in Betrieb genommen. Jüngst schloss die Nachrichtenagentur Bloomberg nicht aus, dass der Start der Lieferungen durch diese Leitung bis zum 8. Mai 2022 hinausgezögert werden könne, wobei so etwas technisch wirklich möglich gewesen wäre. Gerade so viel Zeit hatten die BRD und die EU das Recht, für eine Prüfung der Dokumente zur Gaspipeline zu nutzen. Gemäß den formellen Regeln sollte die deutsche Aufsichtsbehörde – die Bundesnetzagentur – bis zum 8. Januar 2022 eine Entscheidung zu der Gasleitung fällen. Danach hätte sie diese zur Prüfung an die Europäische Kommission gesandt, die dieses Dokument aus der Sicht der Übereinstimmung mit den Energieregeln der Union abgeklopft. Dabei trägt die Entscheidung der Europäischen Kommission einen empfehlenden Charakter. Deutschland kann auch die Ratschläge Brüssels ignorieren, beispielsweise solche wie, die neue russische Gaspipeline nicht in Betrieb zu nehmen. Und auch Brüssel kann leicht das Fällen einer Entscheidung hinauszögern. Dafür hat sie zwei Monate plus die Möglichkeit, die Erörterung um weitere zwei Monate zu verlängern, zum Beispiel um einen Protest seitens irgendeines EU-Mitglieds anzuhören. Von daher ergab sich lt. Bloomberg als spätester Termin der 8. Mai. Doch diese Prognose wurde am Freitag über den Haufen geworfen, da die Moskauer Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf den Chef der Bundesnetzagentur Jochen Hohmann meldete, dass in der ersten Hälfte des kommenden Jahres kein Abschluss des Zertifizierungsprozesses für die Pipeline zu erwarten sei. Es gibt aber auch einen Interessenten, der den Betriebsbeginn der Leitung verzögern, wenn gar nicht verhindern will. Dies ist Polen, dass mit seinen an den Haaren herbeigezogenen Klagen bereits mehrfach Knüppel in das Räderwerk des russischen Projekts geworfen hat.
Die Verzögerungen hängen damit zusammen, dass die Bundesnetzagentur (BNA) die Zertifizierung der Gaspipeline ausgesetzt hat, obwohl bis dahin Peter Altmaier (CDU), der seinerzeit Deutschlands Ministerium für Wirtschaft und Energie geleitet hatte, nie auch nur ein Wort über die Notwendigkeit einer Aussetzung des Zertifizierungsprozesses für „Nord Stream 2“ fallen ließ. Mehr noch, am 26. Oktober sandte das von ihm noch geleitete Ministerium sein Gutachten zur Zertifizierung des Projekts an die BNA, in dem es heißt, dass dieses Projekt keine Gefahr für die Gasversorgung darstellen werde. Wortwörtlich heißt es in dem Papier: „Das Bundeswirtschaftsministerium kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet“. Das Bundeswirtschaftsministerium habe die Untersuchung dieser Frage abgeschlossen und setze den Zertifizierungsprozess der Gaspipeline fort. Betont wird, dass sich das Ressortministerium mit EU-Nachbarstaaten im Zuge der Erstellung der Versorgungssicherheitsanalyse konsultiert habe. Aufmerksamkeit erregt, dass die Entscheidung über die Unterbrechung des Zertifizierungsprozesses gerade durch die BNA getroffen worden war, die zum Bundeswirtschaftsministerium gehört.
Es ist bekannt, dass der Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Hohmann der FDP nahesteht, die gegen die Inbetriebnahme der Ferngasleitung eintritt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass hinter den Handlungen der Agentur bezüglich „Nord Stream 2“ gerade Hohmann steht.
Welche Faktoren können zugunsten der beabsichtigten Handlungen der Bundesnetzagentur, die nicht mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgestimmt worden sind, sprechen? Dies ist vor allem die offenkundige Verwirrung sowohl in der Führungsspitze des Ministeriums (das seit dem 8. Dezember von Dr. Robert Habeck von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geleitet wird – Anmerkung der Redaktion) als auch in der schweizerischen Nord Stream 2 AG, die auch ursprünglich den Antrag auf eine Zertifizierung der russischen Gaspipeline gestellt hatte. Im Wirtschaftsministerium hat man sich beeilt, die Entscheidung des Hauses als eine „ausschließlich regulatorische“ zu bezeichnen.
Und in einer Antwort, die die „NG“ vom Pressedienst der Nord Stream 2 AG erhielt, heißt es: „Das Unternehmen Nord Stream 2 unternimmt alle erforderlichen Anstrengungen, um die Übereinstimmung mit den anzuwendenden Regeln und normativen Anforderungen zu sichern. Dies gilt unter anderem auch hinsichtlich des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), das die Bestimmungen der EU-Gasdirektive in die deutsche Gesetzgebung implementiert. Unser Ziel ist es, dem Markt zusätzliche zuverlässige Gastransportkapazitäten so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen“.
Es sei daran erinnert, dass hinsichtlich der Frage der aktualisierten EU-Gasdirektive schon lange gestritten wird und die Streitigkeiten bisher ungelöste bleiben. Diese Direktive ist am 23. Mai 2019 in Kraft getreten. Ihre Normen sehen vor, dass eine nach dem ausgewiesenen Datum verlegte Leitung entweder teilweise durch einen alternativen Lieferanten befüllt werden könne oder ihr Abschnitt auf dem Territorium der EU einem anderen Unternehmen gehören müsse, das heißt nicht dem, der das Gas liefert. Die Aufsichtsbehörde und ein Gericht in Deutschland haben entschieden, dass „Nord Stream 2“ unter die Geltung des Dokuments falle.
Russland ist dies nicht recht, da – wie man in Moskau betonte – man sich nicht auf technische Argumente, sondern auf wirtschaftliche Tatsachen stützen müsse. Zum Zeitpunkt der Aktualisierung der Direktive hatte man bereits Milliarden Euro unter Berücksichtigung der früheren Rechtssituation investiert. Und außerdem war die Verzögerung durch die Androhungen der USA ausgelöst worden, Sanktionen gegen die Firmen zu verhängen, die am Bau der Gaspipeline teilnehmen. Dies nötigte sie, aus dem Projekt auszusteigen. Und die Suche nach neuen Firmen nahm praktisch bis zu einem Jahr in Anspruch.
Bekanntlich hat die Betreibergesellschaft von „Nord Stream 2“, die Nord Stream 2 AG, sowohl vor dem Bundesgericht Deutschlands als auch vor dem EU-Gericht die negative Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zum „Fall einer Freistellung von den Normen der EU-Gasdirektive“ angefochten. Die Nord Stream 2 AG ist der Auffassung, dass sie einer widerrechtlichen Diskriminierung unter Berücksichtigung dessen ausgesetzt werde, dass alle anderen Gaspipelines für den Import von Gas in die EU, in die bis zum Inkrafttreten der neuen Regeln Investitionen vorgenommen worden waren, ein Recht auf solch eine Ausnahme im Zusammenhang mit der Vornahme der Änderungen an der Gasdirektive hätten. Die Ablehnung des Antrags für „Nord Stream 2“ über eine Freistellung demonstriere den diskriminierenden Einfluss der Veränderungen in der EU-Gasdirektive, hatte zuvor die Betreibergesellschaft des Projekts kommentiert. Das schweizerische Unternehmen Nord Stream 2 AG wurde, obgleich sie zwar eine „Tochter“ von „Gazprom“ ist, formal in Europa registriert, freilich aber nicht in der EU-Zone. Und da fordert die bundesdeutsche Aufsichtsbehörde BNA bereits die Bildung einer deutschen und keiner europäischen Firma für die Leitung des Betriebs der Gaspipeline auf dem Territorium der Europäischen Union. Anders gesagt: Die deutschen Bürokraten übertreiben es offensichtlich.
Allem nach zu urteilen, war die Entscheidung der deutschen Aufsichtsbehörde vor allem für „Gazprom“ eine überraschende. Wie Igor Juschkow in einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal Rambler betonte, sei es schwer zu sagen, ob „Gazprom“ Informationen darüber besessen hatte, dass in Deutschland eine entsprechende Firma zu etablieren sei. Allem Anschein nach habe der Konzern anfangs nicht vermutet und gedacht, dass auch die schweizerische Jurisdiktion ausreichend sei. Freilich nimmt Juschkow an, dass die Möglichkeit einer Neuanmeldung der schweizerischen „Tochter“ von „Gazprom“ in Deutschland anstelle der Suche nach einem von „Gazprom“ unabhängigen Betreiber in gewisser Weise eine positive Nachricht sei. Denn anfangs bestand ja die Intrige darin: Kann die Nord Stream 2 AG überhaupt eine Betreibergesellschaft für diese Gaspipeline sein? Und die Gegner des Projekts – Polen und die Ukraine – kritisierten es auf jegliche Art und Weise und erklärten, dass entsprechend der Kartellgesetzgebung der EU die Funktion des Lieferanten von der Funktion des Betreibers der Gaspipeline getrennt sein müsse. Das heißt, dass die Tochterfirma von „Gazprom“ nicht die Leitung betreiben könne, über die „Gazprom“-Gas fließe. Tatsächlich aber gebe es in der europäischen Gesetzgebung einen Punkt, wie Juschkow meint, dementsprechend ein Unternehmen der Betreiber sein könne, wenn es nachweist, dass es sich vollkommen unabhängig vom Stammunternehmen, das heißt von „Gazprom“, verhält. Und die gegenwärtige Entscheidung der deutschen Aufsichtsbehörde belege gerade, dass die Nord Stream 2 AG tatsächlich das Betreiberunternehmen sein könne und es vom Wesen her sein werde, wenn es „die Forderungen“ der Deutschen erfüllt. „Aber man muss sich in Deutschland registrieren lassen. Wozu brauchen sie dies? Ich denke, dass die deutsche Aufsichtsbehörde bereits vollkommen und offen die gesamte Tätigkeit des Unternehmens, all seine Handlungen gesehen und sich davon überzeugt hat, dass es sich wirklich unabhängig von der Stammstruktur, von der eigentlichen PAO „Gazprom“, verhält“, vermutet Juschkow.
Zur gleichen Zeit ist natürlich auch die Tatsache nicht auszuschließen, dass die Beamten der BNA angenommen hatten, dass man in Brüssel (denn das endgültige, wenn auch empfehlende Wort in diesem Zertifizierungsprozess spricht die EU) die Erteilung eines Zertifikats für die Gaspipeline gerade aufgrund der Gasdirektiven sabotieren könnte, und zogen es vor, der EU-Kommission zuvorzukommen. Obgleich die Forderung gerade nach einer deutschen Registrierung eines Betreiberunternehmens und nach einer Übergabe der mit der Gaspipeline verbundenen Aktiva auf deutschem Boden an sie anstelle einer europäischen Registrierung haarspalterisch zu sein scheint.
Es ist klar, dass die Verschiebung der Zertifizierung im Lager der Gegner des Projekts ein positives Echo ausgelöst hat, zu denen in Europa vor allem Polen und die Ukraine gehören, die, wie die „Financial Times“ betont, ein Recht auf eine Beteiligung an den Anhörungen während des Zertifizierungsprozesses hätten. Das Blatt zitiert die Meinung von Paweł Majewski, des Präsidenten des polnischen staatlichen Energiekonzerns PGNiG. Er ist der Auffassung, dass es entsprechend den Regeln der EU unmöglich sei, die geplante „Tochter“ des schweizerischen Unternehmens Nord Stream 2 AG als einen selbständigen Betreiber zu zertifizieren. Und es sei gleichfalls unmöglich, einen Betreiber der Gaspipeline nur für die Territorialgewässer Deutschlands zu gründen. Die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit der Zuspitzung der Lage an der Demarkationslinie zwischen der Ukraine und den nicht anerkannten, aber von Moskau unterstützten „Republiken“ im Donbass (die „Donezker Volksrepublik“ und die „Lugansker Volksrepublik“) können jedoch auch weitreichende Folgen für „Nord Stream 2“ haben. Die Sache ist die, dass in den USA und in Europa Stimmen laut werden, die überhaupt ein Verbot für die Nutzung der Gaspipeline im Falle eines „Einmarschs russischer Truppen auf das Territorium der Ukraine“ verlangen. In diesem Fall muss Russland die Inbetriebnahme der Gasleitung in die Esse schreiben.
Es lohnt nicht sich zu wundern, dass nach der Bekanntgabe des Aufschubs der Zertifizierung der Anstieg der Gaspreise in Europa andauerte. Die „Berliner Zeitung“ behauptet, dass die Preise gleich um zwölf Prozent in die Höhe geschnellt seien. Hinsichtlich des Ansteigens der Preise für Gas in Europa gibt es unterschiedliche Meinungen. Als eine Ursache nennt man die relativ geringen Gasmengen in den Speicheranlagen bei der gleichzeitigen Zunahme der Nachfrage nach Gas auf dem internationalen Markt. Aber auch die künstliche Schaffung eines Mangels durch „Gazprom“, um die Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“ zu beschleunigen.
Die größten Untergrundgasspeicher (UGS) von „Gazprom“ in Europa – Rehden, Jemgum und „Katharina“ in Deutschland sowie Haidach in Österreich – begannen, Gas bereitzustellen, und sind immer noch nicht richtig zum Modus eines intensiven Einspeicherns (Auffüllens) übergegangen. Derzeit befinden sich die dortigen Vorräte auf einem kritisch geringen Stand. Laut Angaben des Internetportals https://agsi.gie.eu für den 16. Dezember dieses Jahres lag der Füllstand im UGS Rehden bei 6,35 Prozent, für den Speicher in Jemgum wurden 71,15 Prozent gemeldet. Wenig erfreulich sah auch der Wert für den österreichischen Speicher Haidach aus – 39,76 Prozent. Die beiden letztgenannten Anlagen arbeiteten in den vergangenen Tagen nur im Ausspeicherungsregime. Noch ein Untergrundspeicher – der niederländische Speicher Bergermer – meldete für den vergangenen Donnerstag einen Füllstand von 23,46 Prozent vor dem Hintergrund dessen, dass kein Gas ein-, sondern nur ausgespeichert wird. In „Gazprom“ erklärte man, dass die Werte für das Netto-Ausspeichern oder -Einspeichern nicht objektiv seien, da in den UGS nicht nur der russische Konzern Gas speichere. Zur gleichen Zeit macht der Füllstand der eigenen Speicheranlagen des Unternehmens in Europa ein Drittel vom EU-weiten Durchschnittswert aus.
Somit ist ein Aufholen des Rückstands im laufenden Jahr bereits unmöglich. Der Analytiker von Fitch Dmitrij Marintschenko unterstrich, dass man dafür mindestens fünf Millionen Kubikmeter Gas täglich einspeichern müsse. Unter Berücksichtigung der gesamten maximalen projektierten Leistung von Rehden, Jemgum, Haidach und Bergermer für ein Einspeichern von rund 80 Millionen Kubikmeter am Tag muss der russische Monopolist auf maximale Weise die Leistung der Gaspipeline Jamal-Europa bis zum Jahresende nutzen. Ende November waren sie jedoch auf einem minimalen Stand ausgebucht worden. Im Dezember wurde die Praxis einer minimalen Nutzung der Transitkapazitäten Polens fortgesetzt. Bekanntlich werden die Leistungen des ukrainischen Gastransportsystem ebenfalls auf einem geringen Stand ausgenutzt.
Von daher ergibt sich auch die „These“ bzw. die „Theorie“ von vorsätzlichen Handlungen durch „Gazprom“, um die Europäer zur Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“ zu nötigen. Sie ist in den Kreisen populär, die der Europäischen Kommission nahestehen. Die EU-Kommission möchte von der Russischen Föderation noch mehr Hilfe im Kampf gegen die drohende Energiekrise neben der begonnenen Aufstockung der Gaslieferungen erreichen. Für die EU ist solch eine Hilfe durch „Gazprom“ unzureichend. Und da Brüssel mehr will, ist es bereit, die „mächtigste politische Waffe“ einzusetzen. Die Europäische Kommission plane eine Antikartell-Untersuchung gegen „Gazprom“, behauptet die amerikanische Zeitung „Politico“. Die Euro-Kommissarin für Energiefragen Kadri Simson erklärte, dass die Antimonopolverwaltung der Europäischen Kommission bereits begonnen hätte, Materialien über einen möglichen Einfluss des russischen Konzerns auf den Anstieg der Gaspreise in der EU zu sammeln. Wenn es Brüssel schafft, eine Schuld von „Gazprom“ am Manipulieren der Preise zu beweisen, droht dem russischen Unternehmen eine Strafe im Umfang von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes oder rund sieben Billionen Rubel. Oder Brüssel kann noch größere Bonusse für das russische Erdgas für die europäischen Kunden erzielen.
Diese Pläne werden durch die Administration des US-Präsidenten unterstützt, betonte die Zeitung „Politico“. Brüssel sei gezwungen, eine Antimonopoluntersuchung gegen „Gazprom“ zu beginnen, um den Konzern als Schuldigen für die hohen Gaspreise hinzustellen. Europa selbst bezeichnet die Situation als eine Krise. Und es muss irgendwie darauf reagieren. Zur gleichen Zeit muss die Europäische Kommission die Verdachtsmomente von sich und ihrer Gaspolitik fernhalten. „Russland hat klar deutlich gemacht, unter anderem auf der Ebene des Präsidenten, dass die Europäer selbst an der Krise schuld seien, denn sie haben zu schnell begonnen, die Kohle und das Gas aus der Energiebilanz im Rahmen der Energiewende zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft zu verdrängen, und keine ausreichenden Gasmengen in die Untergrundspeicher eingespeichert usw. Die Euro-Beamten wollen sich der Verantwortung entziehen und einen alternativen Schuldigen präsentieren“, meint der Gesprächspartner des Blattes. Und für diese Rolle eigne sich am besten „Gazprom“.
Es gibt aber auch andere Meinung. Die Situation auf den Märkten für Erdgas, LNG und Kohle, die eine Zeit maximaler Preise erleben, sei durch unzureichende Investitionen in diesen Sektoren und durch das Ausbleiben einer Regulierung nach dem Vorbild von OPEC+ ausgelöst worden. Solch eine Position äußerte Saudi-Arabiens Energieminister, Prinz Abdulasis bin Salman al-Saud, bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Russischen Energiewoche. Nach Aussagen von bin Salman „darf die Kohlenwasserstoff-Neutralität kein Selbstzweck sein“, da derartige Ambitionen die Stabilität auf den Energiemärkten zerstören würden. „Wir sehen bereits einen Anstieg der Gaspreise um 500 Prozent, sehr hohe Preise für Kohle und eine Zunahme der Preise für LNG um 200 Prozent. Wenn diese Märkte ein genau solches Maß an Aufmerksamkeit bekommen würden, wie wir dem Ölmarkt schenken, wie OPEC+, so wäre die Situation dort derzeit zweifellos weitaus besser“, behauptet er. „Wenn wir uns den Gas- und Kohlemarkt anschauen, so sehen wir, dass sie solch einen Regulator brauchen. Möglicherweise müssen sie einfach ein „Copy and Paste“ (Kopieren und Einfügen, eigentlich ein zweistufiges Prinzip der Übertragung von Daten zwischen Software-Anwendungen – Anmerkung der Redaktion) vornehmen und das wiederholen, was wir auf dem Ölmarkt tun“, schlug der saudische Prinz vor.
Mit der Position des saudischen Energieministers ist der russische Präsident Wladimir Putin einverstanden. Man dürfe nicht seine Probleme auf andere abwälzen, erklärte er am 13. Oktober während der Plenartagung der Russischen Energiewoche, wobei er die Ursachen für die Energiekrise in Europa zu erklären versuchte. „Das gesamte letzte Jahrzehnt sind Schritt für Schritt Systemmängel in die europäische Energiewirtschaft eingebracht worden. Und gerade sie haben zu der großen Marktkrise in Europa geführt“, betonte er. Nach Meinung Putins sei die Zunahme der Gaspreise zu einer Folge des Mangels an Elektroenergie geworden. Und nicht umgekehrt. Verringert habe sich die Stromerzeugung durch die Windkraftanlagen, deren Anteil an der Energiebilanz Europas in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen hatte. Nach Aussagen des Staatsoberhauptes hätten sich auch nach dem vergangenen langen Winter, der die europäischen Gasspeicher geleert hatte, viele Akteure des europäischen Gasmarktes nicht mit dem Einspeichern beeilt, wobei sie auf den Spotmarkt gehofft hätten, „auf die unsichtbare Hand des Marktes“, was dem Preisanstieg einen zusätzlichen Impuls unter den Bedingungen der großen Nachfrage verlieh.
Natürlich muss man verstehen, dass auch die große Gasnachfrage in Asien in Vielem mit den Versuchen Chinas zusammenhängt, die nationalen ökologischen Standards zu verschärfen. China begann, den Verbrauch von Kohle zu reduzieren und den Umfang der Gaseinkäufe zu erhöhen. Die amerikanischen LNG-Lieferungen gehen nicht nach Europa, sondern nach Asien, als sich dort die entsprechende preisliche Konjunktur ergab, betonte Putin beim Energieforum. „Von dem insgesamt weggefallenen Umfang der LNG-Lieferungen für den europäischen Markt, und dieser macht umgerechnet über 14 Milliarden Kubikmeter Gas aus, ist etwa die Hälfte nicht durch die Unternehmen der USA geliefert worden“. Dem Präsidenten Russlands pflichtete der Vorstandsvorsitzende der französischen Total-Unternehmensgruppe Patrick Pouyanné bei. Er betonte, dass alle Gasmärkte miteinander verbunden seien. „Man darf nicht nur daran denken, was es für eine Nachfrage in Europa gibt. Die Gesamtnachfrage nach Gas nimmt zu, darunter für LNG“, sagte Pouyanné.
Derzeit kann Europa nirgendwoher zusätzliche Gasmengen bekommen. Und die Verzögerung der Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“, ausgelöst durch bürokratische und wahrscheinlich vor allem durch politische, verschlimmert nur die Situation rund um die Stromversorgung der Europäischen Union. Vor diesem Hintergrund habe am Freitag die Prozedur des Befüllens des zweitens Strangs der Pipeline begonnen, meldete die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG. Wie auch im Fall mit dem ersten Strang werde der zweite schrittweise mit Gas befüllt, um den erforderlichen Füllstand und Druck zu erreichen. Ob dies das Zertifizierungsverfahren durch die BNA beeinflusst? Wohl kaum.