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Die gefangengenommenen Ukrainer von „Asowstahl“ – zwischen einem Austausch und der Todesstrafe


In Mariupol ergeben sich weiterhin Reste der ukrainischen kapitulierenden Garnison, die auf dem Territorium des Kombinats „Asowstahl“ seit Wochen blockiert wurde. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation sind mit Stand von den Morgenstunden des Donnerstags seit dem 16. Mai 1730 Männer und Frauen von dort herausgekommen, unter anderem 80 Verwundete, die man mit Bussen in Krankenhäuser und U-Haftanstalten der Donbass-Republik DVR und Russlands brachte. In der Ukraine bezeichnet man das Geschehen als „Evakuierung für einen weiteren Austausch“. In der Russischen Föderation dauert derweil die Diskussion darüber an, was weiter mit den Gefangenen tun. Eine Kompromissvariante wäre, einen Teil gegen von Kiew festgehaltenen russischen Militärs auszutauschen, einen anderen Teil für Schauprozesse mit der Perspektive einer Todesstrafe vor Gericht zu stellen.

Laut früher vorgenommenen Berechnungen des russischen Verteidigungsministeriums habe die Zahl der sich auf dem Territorium von „Asowstahl“ verschanzten Gruppierung rund 2.000 Menschen ausgemacht, unter denen Militärs der in Russland verbotenen nationalistischen Einheit „Asow“ waren (diese Zahl nannte auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin am 21. April im Kreml – Anmerkung der Redaktion). Somit hätte sich innerhalb von drei Tagen mehr als die Hälfte der Ukrainer von „Asowstahl“ freiwillig ergeben.

Laut gegenwärtig vorliegenden Informationen sind unter denjenigen, die die Waffen niederlegten und die weiße Flagge einer Kapitulation demonstrierten, bisher nicht der Kommandeur des Regimes „Asow“ Dmitrij Prokopenko und sein Stellvertreter Swjatoslaw Palamar (Tarnname „Kalina“) gewesen, die dank spektakulärer Erklärungen in den sozialen Netzwerken in den Medien einen großen Bekanntheitsgrad erlangten. Es kursieren die Gerüchte, dass sie angeblich versuchen würden, von Kiew dafür Garantien zu bekommen, dass man sie in der Donezker Volksrepublik nicht hinrichtet. Folglich werden sie wahrscheinlich als letzte das Betriebsgelände verlassen werden, wie es sich für Kommandeure gehört (wenn sie keine radikaleren Entscheidungen für sich treffen).

Das Auftauchen solcher Gerüchte ist aber bezeichnend. In Russland wird diskutiert, wie man weiter mit den Gefangenen umgehen sollte – sie vor Gericht stellen oder austauschen. Diesbezüglich gibt es zwei extreme Meinungen, die auf ihre Art und Weise begründete sind. Laut dem einen Standpunkt werde ein Austausch Kiew erlauben, wie ein Gewinner auszusehen, der „heldenhafte Verteidiger von Mariupol“ rettete, die sich – ergibt sich – ganz und gar nicht ergeben hätten, sondern „evakuiert worden sind“. Dies entwerte aber die Wirkung des militärischen Erfolgs, hebe den Kampfgeist der ukrainischen Armee an und demoralisiere die russische (und damit obendrein die „Partei des Krieges“ in der russischen Gesellschaft. Und man dürfe aus zweifachem Grunde nicht offenkundige Neonazis und Kriegsverbrecher von einer Bestrafung befreien. Außerdem würden die an Kiew übergebenen Ukrainer erneut zu den Waffen greifen und gegen die Bürger Russlands kämpfen.

Aus anderer Sicht sei die Freiheit der russischen und Donbass-Kriegsgefangenen wichtiger als Erwägungen solcher Art. Im Falle eines Austauschs würden sich eventuell die Ukrainer an anderen Frontabschnitten eher ergeben, im Wissen darum, dass man sie austauschen werde. Und Kiew würde das Gesicht wahren, was möglicherweise politisch wichtig ist, wenn man mit ihm irgendwann wieder einmal Friedensverhandlungen führen muss.

Einen Kompromiss- und pragmatischen Vorschlag unterbreitete etwas überraschend das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien Ramsan Kadyrow, der recht radikale Positionen hinsichtlich der Formen für die Durchführung der Sonderoperation vertreten hatte. Er unterstrich, dass „man ideelle Bandera-Leute auf keinen Fall austauschen darf. Sie müssen entsprechend dem Gesetz bestraft werden“. Er formulierte aber den Vorbehalt: „Militärs kann man austauschen“. Und das Oberhaupt der seit 2014 zu Russland gehörenden Halbinsel Krim Sergej Aksjonow unterstrich, dass man die „Nazi-Verbrecher“ verurteilen müsse. Wobei man alle Kapitulierenden zu dieser Kategorie rechnet oder umgekehrt sie aus der Gesamtmasse herausnimmt und sich über die übrigen in Schweigen hüllt. Mit anderen Worten ergibt sich da das folgende Bild: Es gibt da sozusagen gewisse ukrainische Soldaten mit reinen Händen, die für einen Austausch gegen „unsere Jungs“ genutzt werden. Und es gibt die Henker aus „Asow“, die eine verdiente Bestrafung erhalten werden.

Möglicherweise wird gerade solch eine Variante derzeit von den Offiziellen untersucht. Man kann hinzufügen, dass Kiew allem nach zu urteilen keine ausreichende Zahl russischer Kriegsgefangener hat, um alle, die sich in „Asowstahl“ ergeben haben, im Verhältnis von eins zu eins auszutauschen, wie früher die Austausche erfolgten (laut Angaben des ukrainischen Generalstabes gebe es derzeit etwa 1000 russische Kriegsgefangene, was jedoch von offizieller Seite in Moskau nicht kommentiert und bestätigt wird – Anmerkung der Redaktion). Und unter Berücksichtigung der angreifbaren Lage der Ukraine, die durch den Mythos über die „Verteidiger von Mariupol“ in eine Falle geraten ist, kann Moskau die Parameter für einen Gefangenenaustausch verschärfen und zusätzliche Bedingungen für ihn stellen.

Derweil unterstreichen die Verfechter eines Schauprozesses gegen Gefangengenommene die Notwendigkeit, ihn in der Donbass-Republik DVR durchzuführen, wobei sie andeuten, dass in der Republik die Todesstrafe gelte. Dies erklärte unter anderem auch jener Sergej Aksjonow (der vor dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation lange Jahre im ukrainischen Staatsdienst aktiv gewesen war – Anmerkung der Redaktion). Und dessen Meinung untermauerte durch seine Äußerung das politische Schwergewicht unter den russischen Gesetzgebern, der Senator Andrej Klischas (von der Kremlpartei „Einiges Russland“). In der Tat, schwere Verbrechen, wenn sie nachgewiesen werden, sind in den Volksrepubliken begangen worden, wo für sie die Todesstrafe vorgesehen ist. Eine andere Frage ist, wie man in Kiew auf solch eine Perspektive reagiert, genauer gesagt: wie sie sich auf die Lage der russischen Kriegsgefangenen auswirken wird. Eine Alternative hat das DVR-Oberhaupt Denis Puschilin vorgeschlagen. Nach seiner Meinung müssten die ukrainischen Militärs viele Jahre lang beim Wiederaufbau von Mariupol arbeiten. Überdies plädierte Puschilin kategorisch gegen jegliche Austausche und unterbreitete den Vorschlag, ein internationales Tribunal gegen die sich ergebenen Kriegsverbrecher durchzuführen.

Insgesamt gestaltet sich die Entwicklung der Situation rund um Mariupol bisher gerade für Russland als eine günstige. Daher hatte die Staatsduma möglicherweise auch nicht angefangen, Eile mit der Annahme eines speziellen Beschlusses über die Unzulässigkeit eines Austauschs von Kriegsverbrechern aus den Reihen der ukrainischen Militärs an den Tag zu legen. Ursprünglich war die Abstimmung zu solch einem Dokument für den 18. Mai geplant gewesen. Jedoch war es letztlich nicht einmal im Entwurf für die Tagesordnung der Mittwochssitzung des russischen Unterhauses gewesen.