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Die humanitären Korridore führen Bürger der Ukraine in eine bürokratische Sackgasse


Wie die „NG“ erfuhr, wird man in der nächsten Zeit Präsident Wladimir Putin über die Notwendigkeit kurzfristiger Maßnahmen zur Vereinfachung der Legalisierung ukrainischer Bürger in der Russischen Föderation informieren. Dies gilt beispielsweise für jene Menschen, die aus dem Bereich der militärischen Sonderoperation evakuiert werden. Gleichfalls werde es darum gehen, jene zu amnestieren, die sich – bereits in Russland aufhaltend – formal zu Verletzern der Einwanderungsgesetze geworden sind. Wenn keine solchen Entscheidungen getroffen werden, werden die humanitären Korridore aus den ukrainischen Städten nach Russland deren Einwohner vom Wesen her in eine Sackgasse führen, was das ohnehin angeschlagene internationale Ansehen des Landes weiter verschlechtern wird. Da die staatliche Bürokratie der unteren Ebene in Russland keine Initiative an den Tag legt, muss das Problem traditionsgemäß durch direkte Anweisungen oder konkrete Erlasse Putins gelöst werden.

Etwa zwei Millionen Menschen aus der Ukraine hätten sich mit einer Bitte um Evakuierung nach Russland gemeldet, erklärte das russische Außenministerium. Ins Land gekommen sind bereits mehr als 204.000 Menschen, vor allem aus dem Donbass, wobei viele von ihnen bereits einen russischen Pass besitzen. Laut Informationen der „NG“ werden viele bereits mit unterschiedlichen bürokratischen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie ähneln jenen, die oft gewöhnliche Umsiedler oder Migranten erleben, die eine Naturalisierung anstreben. Die kurzfristig über die Flüchtlingskorridore auf Initiative der russischen Seite herauszubringenden Ukrainer müsste theoretische diese Situation nicht betreffen. Was auch der Präsident der Russischen Föderation bei einem kürzlichen Treffen mit der Bevollmächtigten für Kinderrechte in Russland, Maria Lwowa-Belowa, versicherte, als es um die Waisenkinder ging, die aus dem Donbass nach Russland geschafft worden waren. Ihre Anzahl belaufe sich bereits auf mehr als eintausend. Und in Russland haben sich auch Familien gefunden, die bereit zu einer Adoptioon sind. Sie aber sind gerade auch in die gesetzgeberischen Sackgassen geraten. Als Antwort erklärte Putin der Kinder-Beauftragten, dass es so etwas nicht geben dürfe, wobei er ihr antrug, entsprechende Vorschläge vorzulegen.

Wie die „NG“ herausfand, werden überhaupt viele Ukrainer in der Russischen Föderation mit Problemen nicht das erste Jahr konfrontiert. Derzeit ist das Misstrauen seitens der Behörden ihnen gegenüber massiv stärker geworden und äußert sich unter anderem in mitunter unangenehmen Überprüfungen und Gesprächen, die an Verhöre erinnern. Andererseits haben Menschenrechtler mehrfach den Behörden über die „erbärmliche Lage von Einwohnern der Lugansker Volksrepublik, der Donezker Volksrepublik sowie Bürgern aus Kiew“ berichtet, die es nach den Ereignissen von 2014 nach Russland verschlagen hatte und die unwillkürlich zu Illegalen geworden sind, da sie es nicht geschafft haben, ihren Status zu bestätigen oder ihn gerade aufgrund der Widersprüchlichkeiten der russischen Einwanderungsgesetzgebung zu verlängern. Jetzt aber hat laut Informationen der „NG“ einen entsprechenden Appell auch der 1. Stellvertreter des Staatsduma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, die eurasische Integration und Verbindungen mit den Landsleuten, Konstantin Satulin (Kremlpartei „Einiges Russland“), an den Präsidenten gesandt.

Er hat vorgeschlagen, die Lösung des Problems der Flüchtlinge aus dem Nachbarland mit jenen anzufangen, die bereits hier sind. Es sollten die Ukrainer amnestiert werden, die die zulässige Aufenthaltsdauer auf dem Territorium der Russischen Föderation überschritten haben. Unter anderem geht es darum, die Gerichts- oder Ordnungsrechtsentscheidungen über eine Ausweisung der Personen aufzuheben, die keine ernsthafte Rechtsverletzungen oder Straftaten begangen haben. Und es sollten auch jene legalisiert werden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Status besitzen und ihn nicht ausfertigen können, beispielsweise aufgrund fehlender Dokumente oder des Verstreichens der entsprechenden Fristen. In dem Appell an Putin heißt es, dass „sich die vor dem Hintergrund der Migrationskrise in der Ukraine akut ergebene“ Frage eine unverzügliche Lösung verlange. Zumindest weil derzeit viele Ukrainer, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, sich nicht für Russland entscheiden würden. Und dies hänge nach Satulins Meinung, die freilich einige andere objektive Gründe einfach unter den Tisch fallen lässt, vor allem damit zusammen, dass die vorangegangenen entsprechenden Präsidentenerlasse vor Ort sabotiert werden würden.

Faktisch würden Bürger der Ukrainer zu Verletzern der russischen Einwanderungsgesetzgebung in Bezug auf die Einhaltung der Aufenthaltsdauer werden. „Seit 2016 fingen ungeachtet der Entscheidung des Präsidenten über eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer für diese Kategorie von Menschen Mitteilungen über eine Ablehnung einer Verlängerung einzutreffen, wobei selbst für jene, die unmittelbar aus der Zone der Kampfhandlungen gekommen waren“, erläutert Satulin. Die Anträge und Gesuche hinsichtlich solcher Fälle bringen keine Ergebnisse. In eine erbärmliche Lage waren nicht nur Donbass-Flüchtlinge geraten, sondern auch Einwohner anderer Regionen der Ukraine, die beschlossen hatten, Zuflucht in Russland zu suchen und die aus Furcht vor Verfolgungen nicht zurückkehren können. „Der Massencharakter der Anträge veranlasst, nach einer Lösung zu suchen, die erlaubt, tausende Flüchtlinge aus der illegalen Lage herauszuführen“, weist der Abgeordnete in dem Schreiben an das Staatsoberhaupt aus. Zusammen mit einer Gruppe von Staatsduma-Kollegen hatte er bereits 2018 den Versuch unternommen, das Problem über eine Veränderung der Gesetzgebung zu lösen, doch die Regierung hatte solche Änderungen nicht unterstützt.

Die Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Legalisierung der Bürger der Ukraine, die sich in der Russischen Föderation aufhalten, bestätigte gegenüber der „NG“ Alexandra Dokutschajewa, stellvertretende Leiterin des Instituts für die GUS-Länder. Nach ihren Worten würden zum gegenwärtigen Zeitpunkt zehntausende Menschen, nicht nur aus der DVR und der LVR, sondern auch aus anderen Regionen, in Russland einen ungeklärten Rechtsstatus und keine Möglichkeit besitzen, sich „aufgrund der zugelassenen Verstöße gegen die Regel „180-90“ (erlaubte Aufenthaltsdauer von 180 plus 90 Tage – Anmerkung der Redaktion)“ legalisieren zu lassen. Aber die Schuld der Menschen an sich bestehe nicht darin. Sie hätten es einfach nicht riskiert, aufgrund der Angst vor Repressalien (die unter anderem auch durch die russischen Staatsmedien massiv geschürt wurde – Anmerkung der Redaktion), unter anderem auch wegen ihrer prorussischen Haltung oder aufgrund des Unwillens, in der Armee zu dienen, in die Heimat zurückzukehren.

In den Jahren des Aufenthalts in der Russischen Föderation seien, betonte Dokutschajewa, bei zehntausenden Ukrainern die Pässe abgelaufen. Oder sie hätten sie auch ganz und gar nicht erhalten bzw. beantragt – zum Beispiel die erwachsen gewordenen Kinder. Zu notgedrungenen Illegalen sind auch jene geworden, denen man eine Verlängerung des früher gewährten Status verwehrte oder die unerhebliche Rechtsverletzungen begingen (zum Beispiel das Überqueren einer Straße an einer nicht markierten Stelle), weshalb man ihnen den gewährten Status aberkannte.

„Gebraucht werden kurzfristige Maßnahmen zur Regelung der Rechtslage der Bürger der Ukraine. Doch für die Annahme neuer Gesetze gibt es keine Zeit, so dass man jetzt vom Präsidenten entsprechende Erlasse erwartet. In erster Linie über die Vornahme einer Amnestie in Bezug auf die Bürger der Ukraine, die keine Rechtsverletzungen außer ordnungsrechtliche im Bereich der Einwanderungsgesetzgebung begangen haben“, unterstrich Dokutschajewa vom Institut für die Länder der GUS, deren Direktor im Übrigen der bereits erwähnte Konstantin Satulin ist. Nach ihrer Meinung müsse man solchen amnestierten Ukrainern in kürzester Frist erlauben, einmal angenommen innerhalb von drei Tagen, wie dies 2014 der Fall gewesen war, eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage jeglicher Dokumente, die vorhanden sind, zu bekommen. Und danach müsse man ihnen das Recht einräumen, eine Aufenthaltsgenehmigung und die Staatsbürgerschaft in einem vereinfachten Verfahren zu beantragen. Auch sei es wichtig, die Restriktionen auf diesem Wege gleichfalls für die Bürgerwehrkräfte der LVR und der DVR und die Teilnehmer von Antimaidan-Aktionen von 2014, die von den ukrainischen Behörden verurteilt wurden oder verfolgt werden, aufzuheben. Derzeit lehnt man buchstäblich allen eine Behandlung der Anträge auf die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation ab. Dies tut man aber in völliger Übereinstimmung mit den Förderungen der geltenden Gesetzgebung, in der gesagt wird, dass der Antragsteller nicht vorbestraft sein und gegen ihn kein Untersuchungsverfahren laufen darf.

Unter eine Amnestie könnten laut Aussagen von Galina Ragosina, Expertin des Forums für Aussiedlerorganisationen, die Bürger des Donbass und der Ukraine kommen, die beispielsweise schon lange in Russland arbeiteten, aber aufgrund der Pandemie aus den einen oder anderen Gründen keine Genehmigungsdokumente erhalten konnten. Oder jene, die für einen langen Aufenthalt ins Land gekommen seien, es aber nicht geschafft hätten, ihren Status zu regeln, und ein Einreiseverbot erhalten hätten. Jedoch würden auch die gerade angekommenen Einwohner des Donbass und der Ukraine riskieren, mit Problemen bei der Ausstellung der Papiere konfrontiert zu werden, da einige keine vollständigen Dokumente hätten. Bei anderen könne man dort Fehler finden, die aber nur die ukrainischen Behörden korrigieren können. Mehr noch, beispielsweise hat sich bereits eine Frage mit der Registrierung jener Flüchtlinge ergeben, die nach dem Verlassen der Donbass-Republiken nicht in die Auffanglager gekommen sind, sondern es vorgezogen haben, in der Russischen Föderation bei Verwandten oder Bekannten unterzukommen. Dabei bedeutet die Ausfertigung jeglichen Status, besonders für eine ganze Familie, ernsthafte Ausgaben. Die meisten haben aber fast kein Bargeld. Und ihre Bankkarten funktionieren in Russland nicht. „Natürlich, die Fragen nach dem Rechtsstatus der Ukrainer werden immer mehr, besonders in der gegenwärtigen schwierigen Situation. Daher ist auch ein ernsthaftes Paket von Lösungen und Entscheidungen nötig, das die Möglichkeit einer Regelung der Situation sowohl für die ankommenden Ukrainer als auch für jene, die sich eine lange Zeit in der Russischen Föderation befinden, erleichtert“, unterstrich Ragosina. Sie teilte mit, dass das Forum ebenfalls eine Reihe von Vorschlägen vorbereitet hätte. Unter ihnen – die Gewährung der Möglichkeit für Bürger der Ukraine, ein Arbeitspatent für die Zeit der Ausfertigung des zeitweiligen Aufenthalts zu erwerben oder überhaupt ihnen als eine Ausnahme zu erlauben, sich für drei Monate ohne die notwendigen Dokumente einen Job zu beschaffen. Außerdem sind unter Berücksichtigung des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen mit Kiew die Ukrainer in eine schwierige Lage geraten, die ihre Pässe verloren haben oder keine gültigen Dokumente besitzen. Ihnen könnte man zeitweilige Ausweisdokumente nach Ermittlung und Erfassung der erforderlichen Personendaten ausstellen oder von ihnen keine Bescheide über die Staatsbürgerschaft verlangen.