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Die Implementierung der Verfassungsänderungen begann mit dem Versprechen von Haftstrafen


Senator Andrej Klischas und Staatsduma-Abgeordneter Pawel Krascheninnikow haben einen ersten Gesetzentwurf zur Realisierung der Bestimmungen der „Verfassung vom 4. Juli“ (an dem Tag ist die neue russische Verfassung nach dem entsprechenden Plebiszit am 1. Juli 2020 in Kraft getreten – Anmerkung der Redaktion) eingebracht. Der Extremismus-Begriff wird mit der Verfassungsänderung über die Unzulässigkeit einer Veräußerung von Territorium der Russischen Föderation und der Aufrufe dazu in Übereinstimmung gebracht. Es geht nicht nur um eine technische Korrektur des Gesetzes, sondern auch um einen neuen Artikel des Strafgesetzbuches (StGB) mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren, wobei nicht ganz klar ist – für was. Das heißt, das Vertrauen, das gerade den Regierenden erwiesen wurde, wollen sie nun aus irgendeinem Grunde für eine Auffüllung des Arsenals an Repressalien nutzen.

Wjatscheslaw Wolodin, Vorsitzender der Staatsduma, teilte mit, dass der Klischas-Krascheninnikow-Gesetzentwurf vorrangig behandelt werde. Die erste Lesung ist bereits für den 14. Juli anberaumt worden. Eigentlich hätte man dies auch früher tun können. Die erste „Verfassungs-“ Gesetzesvorlage stellt eine technische Übertragung des Wortlautes der Verfassungsänderung in das Gesetz „Über die Bekämpfung extremistischer Tätigkeit“ dar.

Gegenwärtig steht dort geschrieben, dass solch eine unter anderem „eine gewaltsame Veränderung der Grundlagen der Verfassungsordnung und die Verletzung der Integrität der Russischen Föderation“ darstelle. Nun wird dieser Satz nach dem Bindewort „und“ erweitert: „und (oder) die Verletzung der territorialen Integrität der Russischen Föderation (darunter die Veräußerung eines Teils des Territoriums der Russischen Föderation) mit Ausnahme einer Abgrenzung, Demarkation und Neudemarkation der Staatsgrenze der Russischen Föderation mit angrenzenden Staaten“. Das heißt, die Kongruenz mit der Verfassungsnorm wird eine buchstäbliche, deren Sinn völlig unverständlich ist. Die Bestimmungen der Verfassung besitzen scheinbar eine direkte Wirkung. Und in den Gesetzen erfolgt deren Auflösung bzw. Erläuterung, die es in diesem Falle nicht gibt. 

Dafür gibt es aber zusätzliche Gesetzesentwürfe aus dem gleichen Paket, und zwar: einen neuen Artikel für den Kodex der administrativen Rechtsverletzungen (KoAR — Gesetzbuch über die Ordnungswidrigkeiten), eine Aktualisierung des geltenden Artikels 280.1 des StGB und einen neuen Artikel 280.2. Nach Aussagen von Krascheninnikow ist im StGB „bereits eine Haftung für öffentliche Aufrufe zur Vornahme von Handlungen, die auf eine Verletzung der territorialen Integrität der Russischen Föderation abzielen“ vorgesehen, es wird aber vorgeschlagen, die Bedingungen für eine strafrechtliche Verfolgung zu verändern, insbesondere ein administratives Präjudiz einzuführen. Dies bedeutet, dass man zuerst den Rechtsverletzer gemäß dem KoAR bestraft – mit einer 30.000 bis 60.000 Rubel (umgerechnet etwa 373 bis 746 Euro) hohen Geldstrafe für Einzelpersonen – und dann bereits entsprechend dem Artikel des Strafgesetzbuches zur Verantwortung zieht, in dem es auch Strafen gibt – 200.000 bis 400.000 Rubel Geldstrafen (umgerechnet etwa 2487 bis 4974 Euro) und ein Freiheitsentzug von bis zu vier Jahren. Übrigens, der Artikel 280.1 wurde auf Vorschlag unter anderem auch des Führers der KPRF, Gennadij Sjuganow, eingeführt. 

Entsprechend dem neuen Artikel 280.2 erfolgen die Haftstrafen bereits für eine Dauer von sechs bis zehn Jahren. Aus den Erläuterungen von Pawel Krascheninnikow wurde jedoch nicht ganz klar – für was konkret. Die Rede ist von einer gewissen Verletzung eben jener Integrität Russlands. Es ist aber unklar, wie man dies ohne den Einsatz bewaffneter Gewalt oder zumindest einem Aufstand tun kann. Und aus dem folgt, dass gemäß diesem Artikel die notorischsten Feinde des Landes, die augenscheinlich zu irgendetwas Derartigem aufrufen, verantwortlich gemacht werden. Es ist klar, dass im Weiteren die Interpretierung dieses gewissen Verbrechens bis zur Unendlichkeit ausgedehnt werden kann. 

Derzeit befinden sich die für den KoAR und das StGB vorgeschlagenen Neuerungen zur Behandlung in der Regierung und im Obersten Gericht. Es gibt jedoch wenig Zweifel, dass sie dort aufgehalten werden können. Und dies bedeutet, dass zu den ersten Gesetzesakten, die sich aus der erneuerten „Verfassung des 4. Juli“ ergeben, gerade diese repressiven Initiativen werden. Mit welchem Ziel die Herrschenden, die soeben einen nicht geringen Vertrauenskredit vom Volke erhalten haben, ihn gerade so nutzen – dies ist eine rhetorische Frage, obgleich die Antwort darauf denjenigen bekannt ist, die von Zeit zu Zeit vor dem Fernseher sitzen. Hätte man aber nicht zumindest im Interesse eines Popularitätsgewinns in erster Linie mit etwas von jenen sozialen oder humanitären Verfassungsänderungen anfangen können, die auch für das Plebiszit propagiert wurden? Aber offensichtlich nicht, denn – allem nach zu urteilen – erhebt das Gesetz über die Senatoren auf Lebenszeit – die einstigen Präsidenten — Anspruch auf den zweiten Platz, teilte Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates, mit.