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Die Importsubstitution hat sich als eine kompliziertere ergeben als angenommen wurde


Die ständigen Differenzen der offiziellen Pläne mit der Realität sind zu einem unangenehmen Merkmal der heutigen russischen Wirklichkeit geworden. Auf einer Bühne hinfallende Roboter, nicht gebaute Flugzeuge, nicht hergestellte Prozessoren, schadensanfällige superteure einheimische Autos – all dies verursacht in der Gesellschaft einen ganz und gar unnötigen negativen Background. Die schwierige Wirtschaftslage innerhalb des Landes und der Sanktionskrieg des Westens erschweren tatsächlich die Arbeit der einheimischen Unternehmen. Und unter diesen Bedingungen wird jeder Erfolg zu einem zweifach wertvollen. Aber der Hurra-Optimismus oder die häufigen Versprechungen hinsichtlich irrealer künftiger Erfolge haben sich bereits zu einem eigenständigen Problem verwandelt. Müssen wir denn nicht mit Ressourcen abgesicherte Entwicklungsprogramme verkünden oder ein hohes technologisches Niveau von Erzeugnissen ohne dafür hinreichende Grundlagen imitieren? Das Erreichen einer technologischen Souveränität ist ein schwieriger, Jahrzehnte langer Weg, der keine PR-Aktionen verlangt, sondern eine durchdachte und beharrliche Staatspolitik.

Der bei einer Präsentation am Dienstag hingefallene erste russische anthropomorphe Roboter mit einer künstlichen Intelligenz, dessen Video durch das ganze Internet ging, wurde zu einem gewissen Symbol für die unbegründeten PR-Aktionen der russischen Industrie. Der auf den ersten Blick bei der Vorstellung in Moskau zusammengebrochene „erste russische anthropomorphe Roboter“ ist lediglich ein Einzelfall. Ja, und hat er die Bürger überrascht, die mit der einheimischen Industrie vertraut sind und bereits eine an einer Mauer zerschellte Transportdrohne der „Post Russlands“ oder „Armata“-Panzer, zu denen es keine analogen Muster in der Welt gibt, sowie die Weltraumsonde „Luna-25“ oder den Kosmosroboter Fjodor gesehen haben? Es scheint aber, dass die Schwemme wenig beeindruckender Industrie-Nachrichten bereits zu qualitativen Veränderungen in der Haltung der Bürger zu den offiziellen PR-Aktionen oder zu den offiziellen Versprechungen geführt hat.

Vor drei Jahren hatte die Regierung der Russischen Föderation ein komplexes Entwicklungsprogramm für die Luftfahrtindustrie bestätigt, dem gemäß unsere Industrie bis zum Jahr 2030 eintausend einheimische Flugzeuge bauen sollte. „Unter Berücksichtigung einer erfolgreichen Realisierung der Programme zur Importsubstitution in den Jahren 2022-2030 sind die Lieferungen von 1036 Flugzeugen für die Bedürfnisse der zivilen Luftfahrt vorgesehen, darunter 142 SSJ-NEW-Jets, 270 Flugzeuge vom Typ MS-21-300, 70 Il-114-300-Flugzeuge, 70 Tu-214-Jets, zwölf Il-96-300-Flugzeuge, 140 „Ladoga“-Flugzeuge, 178 L-410-Flugzeuge sowie 154 „Baikal“-Flugzeuge“. Solch ein Text ist auf der offiziellen Regierungsinternetseite zu finden. Obgleich schon zum Zeitpunkt der Bestätigung das ambitiösen Programms viele Spezialisten darauf verwiesen hatten, dass es weder mit finanziellen, noch mit technologischen und Personalressourcen untersetzt worden war.

Entsprechend diesem Programm sollten die Fluggesellschaften bereits bis zum Ende des laufenden Jahres schon 18 neue, Importe ersetzende Mittelstreckenjets vom Typ MS-21 oder beinahe drei Dutzend „Baikal“-Flugzeuge für ein Ersetzen der An-2-Flugzeuge auf regionalen Routen erhalten. Jedoch hören die Bürger heute, dass diese Flugzeuge noch nicht in die Serienfertigung gekommen sind, und ihre realen Eigenschaften entsprechen nicht den Ausgangsforderungen.

Sie wissen, dass bei uns Arbeiten zur Entwicklung des Kleinflugzeuges „Baikal“ vorgenommen wurden. Die sind zum heutigen Tag in eine Sackgasse geraten. Das heißt, wir erwarten kein „Baikal“-Flugzeug“, hatte im Mai dieses Jahres der Vizepremier und bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten der Russischen Föderation im Föderalen Fernost-Bezirk, Jurij Trutnjew, mitgeteilt. Es stellte sich heraus, dass das neue Flugzeug nicht nur um das 2fache teurer geworden war, sondern auch noch zweimal längere Startbahnen braucht, die es auf vielen Flugplätzen einfach gar nicht gibt. Die für das Programm des „Baikal“-Flugzeuges verantwortlichen Beamten aus dem Ministerium für Industrie und Handel erklärten natürlich, dass die „Effektivität der überarbeiteten Versionen des leichten „Baikal“-Flugzeuges bestätigt wurde“, die Versuchs- und Konstruktionsarbeiten dafür fortgesetzt werden würden, da sie schon aus dem Staatsetat bezahlt worden seien.

Ähnliche Differenzen von Versprechen mit der Realität können heute auch hinsichtlich des Flugzeuges MS-21 auftreten. Die Vereinigte Flugzeugbau-Korporation aktualisierte die offiziellen Angaben über die technischen Charakteristika des Flugzeuges MS-21, das man heute im Irkutsker Flugzeugvaubetrieb montiert. Unter anderem beträgt die Reichweite für die Version MS-21-300 mit zwei Klassen für insgesamt 175 Passagiere nun 3830 Kilometer anstelle der bisherigen 5100 Kilometer. Dies hatten zu Wochenbeginn russische Zeitungen mitgeteilt.

Die neue Flugreichweite des MS-21-Jets decke „in erheblichem Maße“ den Bedarf der einheimischen Airlines, da 80 Prozent des Passagieraufkommens in Russland auf Flugrouten mit einer Länge von bis zu 3000 Kilometern entfallen würden, hatte man der staatlichen russischen Nachrichtenagentur im Pressedienst des Staatskonzerns „Rostech“ mitgeteilt.

In dem Staatskonzern betonte man, dass hinsichtlich der Flugreichweite das Flugzeug der ursprünglichen technischen Aufgabenstellung des russischen Industrie- und Handelsministeriums aus dem Jahr 2009 entspreche – 3500 Kilometer und 180 Passagiere. Dabei würde jegliches Flugzeug, dass von Null an geschaffen wird, im Prozess des Einsatzes und der Überarbeitungen evolvieren würde.

Gegenwärtig dauern die Erprobungen der Version des Flugzeuges mit Importe ersetzenden einheimischen Bauteilen an. So erlebte das zweite Importe ersetzende Muster des russischen Flugzeuges MS-21 Ende Oktober dieses Jahres seinen Jungfernflug. An Bord des Jets wurde die Arbeit neuer einheimischer Systeme und der PD-14-Triebwerke getestet. In dem Flugzeug seien die meisten importierten Bauteile durch einheimische ersetzt worden, teilten die Entwickler mit.

Die Staatsbeamten, Industriellen und einfachen Bürger begreifen scheinbar jetzt, dass es nicht sehr einfach ist, schnell zu beginnen, in unserem Land analoge Erzeugnisse zu den besten westlichen Industriemustern herzustellen. Dieses Begreifen belegt wahrscheinlich auch die Veränderung der Haltung der Offiziellen zu den Losungen über eine Importsubstitution.

Durch einen Beschluss der Regierung Russlands ist in dieser Woche die Regierungskommission für Importsubstitution in eine Regierungskommission für Industrie umgewandelt worden. Der von Premierminister Michail Mischustin unterschriebene Beschluss wurde am Montag auf der offiziellen Internetseite für Rechtsinformationen veröffentlicht.

Offiziell versprochen wurde auch eine vollständige Revision des gesamten Programms für die Zivilluftfahrt. Das aktualisierte komplexe Programm für die Entwicklung der Luftfahrtindustrie werde näher zum Ende dieses Jahres erwartet, erklärte im September Industrie- und Handelsminister Anton Alichanow. „Dementsprechend werden die Produktionspläne die verabschiedeten Korrekturen berücksichtigen“, erläuterte vielsagend der Minister.