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„Giftige“ Politik der Offiziellen Kirgisiens


Die Abgeordneten des kirgisischen Parlaments haben am 19. April dem Gesundheitsminister der Republik Alymkadyr Beischenalijew aufgrund des Vorschlags, COVID-19-Kranke mit einer Infusion aus einer giftigen Wurzelpflanze vom Issyk-Kul zu heilen, das Misstrauen ausgesprochen. Experten schließen nicht aus, dass hinter der Informationskampagne der Wunsch der Offiziellen steht, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft von den aktuellen Problemen abzulenken, die sie rein in ihren eigenen Interessen zu lösen beschlossen haben. Es geht um die jüngsten Wahlen zu den örtlichen Machtorganen, die Fälschung der Ergebnisse des Verfassungsreferendums und die Erklärung von Präsident Sadyr Dschaparow über die Untersuchung der Osch-Ereignisse von 2010.

Der Minister für Gesundheitswesen und soziale Entwicklung, Alymkadyr Beischenalijew hatte dieser Tage erklärt, dass man in Kirgisien überall eine Wurzelpflanze vom Issyk-Kul zur Heilung vom Coronavirus verwenden und hatte deren industrielle Verarbeitung angeschoben. Die Flüssigkeit von trüber Farbe wird in Literflaschen in einem der Räume der staatlichen Residenz Ala-Artscha auf Initiative von Präsident Sadyr Dschaparow abgefüllt. Dem neuen Trank schreibt man wunderbare Eigenschaften zu – er heile nicht nur von der Coronavirus-Infektion, sondern auch von Magenkrebs. Den Trank müsse man aufgewärmt trinken, denn der Genuss der Infusion im gekühlten Zustand führt zu einem letalen Ausgang.

Der gebildetere Teil der Bevölkerung ist entsetzt. Die Wurzelpflanze vom Issyk-Kul oder Dschungar-Eisenhut bzw. Dschungar-Aconitum (lateinisch: Aconítum soongáricum) ist eine mehrjährige Pflanze aus der Familie der Hahnenfußgewächse und überaus giftig. Es wird die Auffassung vertreten, dass ihre Verwendung in der Medizin selbst bei der traditionellen äußeren Anwendung lebensgefährlich ist. Zum Eisenhut gibt es kein Gegengift. Mehr noch, das Präparat hat keine klinischen Tests durchlaufen. Daher kann das Hausmittel aus dem Volke nicht für eine Verwendung durch die Bevölkerung empfohlen werden, erklärte man in der WHO.

Die kirgisischen Abgeordneten hatten bei ihrer Tagung vom 19. April dem Minister das Misstrauen bekundet und ein Schreiben an die Regierung übergeben, die über das weitere Schicksal von Beischenalijew entscheiden solle. „Der Minister unterstützt Quacksalberei, propagiert eine Heilbehandlung mit einer Wurzelpflanze vom Issyk-Kul. Haben wir etwa keine Ärzte? Die kirgisische Medizin besitzt Gewicht in der internationalen Gemeinschaft. Aber dank den nunmehrigen Handlungen des Ministers ist das Image zunichte gemacht worden. Es erfolgt eine Propaganda von Quacksalberei“, erklärte der Abgeordnete Shanar Akajew (aus der Oppositionspartei Ata-Meken).

Die Kampagne für die Verwendung der Issyk-Kul-Wurzelpflanze hat eine skandalöse Wende genommen. Mediziner, Juristen und Bürger-Aktivisten fordern von Sadyr Dschaparow, aufzuhören Versuche mit Kranken vorzunehmen. Sadyr Dschaparow, der mit der Kritik konfrontiert wurde, entfernte aus den sozialen Netzwerken seine Posts über die angebliche effektive Behandlung von Coronavirus-Erkrankungen mit Hausmitteln aus dem Volke. Es sei daran erinnert, dass das Rezept zur Zubereitung einer Tinktur aus dem Eisenhut vom Issyk-Kul das Staatsoberhaupt von seinem Vater geerbt hat und diese bereits mehrfach in der Praxis angewandt hat.

Nach Meinung des kirgisischen Politologen Mars Sarijew schade dieser undurchdachte und leichtfertige Vorschlag dem Image von Sadyr Dschaparow. Er habe den Opponenten einen Anlass gegeben, ihn mit dem turkmenischen Amtskollegen (Gurbanguly Berdimuchamedow) zu vergleichen, der sich bekanntlich in alle Lebensbereiche des Landes und der Menschen einmischt und dafür zweideutige Wertungen erhält. „Solch ein Image hat man auch für Dschaparow zu schaffen begonnen“, sagte Mars Sarijew der „NG“.

Allerdings hat Dschaparow eines erreicht: Die Gesellschaft diskutiert nicht so sehr die skandalösen Wahlen zu den örtlichen Keneshs (Sowjets) als vielmehr die „wundersamen Eigenschaften der Issyk-Kul-Wurzelpflanze“. Derweil siegten bei den Wahlen entweder die Partei der Herrschenden oder die Parteien der „Oligarchen und Geldsäcke“. Vertreter von acht politischen Parteien, die nicht mit den Wahlergebnissen einverstanden sind, haben drei Tage lang am Gebäude der Zentralen Wahlkommission Kundgebungen veranstaltet, dann noch zwei Tage gehungert und sind danach auseinandergegangen, nachdem sie den Zusagen des Chefs der Zentralen Wahlkommission hinsichtlich einer gründlichen Überprüfung aller Daten Glauben geschenkt hatten.

Nicht bemerkt hat man in der Gesellschaft auch die Freilassung des anrüchigen Raim Matraimow, des ehemaligen Vizechefs des Zolls mit dem allseitig bekannten Ruf eines korrupten Beamten, aus der U-Haftanstalt des Staatskomitees für nationale Sicherheit und die Aufhebung aller Anklagen gegen ihn. Übrigens, die „Arbeit“ von Matraimow ist weit über die Grenzen der Republik hinaus bekannt. Er wurde auf die Magnitskij-Liste des Außenministeriums und des Finanzministeriums der USA gesetzt (Global Magnitsky Act, der die US-Regierung ermächtigt, weltweit alle Menschenrechtsverletzer persönlich zu bestrafen, deren Vermögen einzufrieren und ihnen die Einreise in die USA zu verweigern – Anmerkung der Redaktion).

Ohne die nötige Beachtung ist auch die Erklärung von Sadyr Dschaparow über die Wiederaufnahme der Untersuchungen der Ereignisse der Osch-Tragödie im Juni 2010 geblieben. Nach Meinung von Mars Sarijew hätten die Politiker Kirgisiens ein Spiel mit der „Büchse der Pandora“ begonnen, deren Öffnung zu einer Konfrontation in der Gesellschaft führe. Der Experte ist unter anderem der Auffassung, dass die internationale Staatengemeinschaft die Schlussfolgerungen der Kommission von Kimmo Kiljunen zu den Ereignissen im Süden des Landes anerkenne, in denen von einem Genozid der Usbeken Kirgisiens die Rede ist. „Wir werden in einem sehr unschönen Licht erscheinen. Man wird uns auch noch eines Genozids bezichtigen, obgleich es Schuldige – die provisorische Regierung – gibt“, unterstrich Sarijew.

Die allgemeine Situation wird durch Wirtschaftsprobleme verschlimmert. Die neuen Herrschenden bereiten sich darauf vor, das Abkommen mit dem kanadischen Unternehmen Centerra Gold Inc., das die Golderzlagerstätte Kumtor erschließt, einer Revision zu unterziehen. „Im Falle eines Weggangs der Kanadier wird der Haushalt Kirgisiens über 12 Prozent des BIP verlieren. Die Wirtschaft wird einbrechen, wie übrigens auch die Investitionsattraktivität. Und wenn man dazu den Wunsch Moskaus hinzufügt, aus Russland über 100.000 illegale kirgisische Arbeitsmigranten (Gastarbeiter) aus Russland abzuschieben; so werden auch in Kirgisien schwere Prozesse beginnen“, sagte Sarijew.