Der „Wagner“-Aufstand hat nicht nur in Russland Verwirrung ausgelöst, sondern auch im Westen. Die Kommentare, die zu den Ereignissen vom 23. und 24. Juni in Washington und in europäischen Hauptstädten abgegeben wurden, hinterließen den Eindruck, dass die Beamten der USA und der Europäischen Union einfach nichts zu sagen hatten – so sehr hatte sie der unerwartete „Marsch der Gerechtigkeit“ von Jewgenij Prigoschin gen Moskau überrascht. Wen unterstützen, wen nicht unterstützen, sich darüber freuen, dass laut Worten eines europäischen Funktionärs das „politische System Russland einen Riss bekommen hat“, oder im Gegenteil sich Sorgen machen. Und das Wichtigste: Was für praktische Schritte sind in dieser Situation nötig? All diese Fragen erwiesen sich für sie als unbeantwortete. Zu einem Symbol der Verwirrtheit des Westens wurde das Montagtreffen der Außenminister der EU-Länder. Dort entschieden die Minister nach langen Debatten, keine Bewertung zum russischen Putschversuch abzugeben. Der Chef der europäischen Diplomatie, Josep Borrell, beschränkte sich lediglich auf ein Konstatieren der für die USA und deren Verbündeten traurigen Tatsache, dass der Westen keinerlei Strategie für den Fall einer Instabilität in Russland habe.
Tage sind aber ins Land gegangen, und den Platz der Verwirrung in den Kommentaren über den Putschversuch hat Selbstsicherheit eingenommen. Die Regierung der USA, die Sanktionen gegen die Söldnerfirma „Wagner“ zurückgezogen hatte, verhängte neue. Der britische Premier Rishi Sunak versprach, mit den westlichen Partnern „für eine Zügelung des verderblichen Einflusses“ von Russland auf die internationalen Angelegenheiten „über seine Proxys“, d. h. über „Wagner“, „eng zusammenzuarbeiten“. Als eine rote Linie verläuft jetzt durch die Erklärungen von Politikern und der Presse eine Idee: Wie immer auch die langfristigen Konsequenzen des Aufstands aussehen mögen, Russland habe sich jetzt ein Bein gestellt bzw. bloßgestellt. Und dies deshalb:
Die russische offizielle Bewertung für die Aktivitäten der „Wagner“-Vertreter an verschiedenen Orten des Planeten hatte sich lange Jahre auf die Behauptung gegründet: „Wagner“ sei eine private Firma, wenn auch mit umfangreichen Interessen, mit der der Kreml nichts zu tun habe. Ergo müsse auch für die „Musiker“ (in der russischen Presse inzwischen ein Synonym für die Prigoschin-Kämpfer in Anspielung auf den Komponistennamen – Anmerkung der Redaktion) und alles, was ihnen im Westen angekreidet wird, der Staat nicht mehr Verantwortung tragen wie auch nicht für die Taten eines jeglichen Bürgers der Russischen Föderation, der sich mit einem privaten Geschäft befasst. Wie hatte doch im vergangenen November der russische Außenminister Sergej Lawrow gesagt: „Was vom Prinzip her das Phänomen der privaten Militärunternehmen angeht, so haben wir nichts mit der Tätigkeit irgendwelcher solcher Strukturen, die durch Bürger Russlands geschaffen wurden, zu tun“.
Es stellte sich aber heraus, dass die „Wagner“-Firma zumindest im Verlauf ihrer Teilnahme an der militärischen Sonderoperation, direkt aus dem Staatshaushalt finanziert wurde. Nachdem dem Putschversuch ist den Kämpfern der Söldnerfirma vorgeschlagen worden, Verträge mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen. All dies – sowohl die staatlichen Mittel als auch die Verträge (die freilich lt. bisherigen Einschätzungen nur in geringem Umfang abgeschlossen werden – Anmerkung der Redaktion) wahrscheinlich vom Westen ausgenutzt werden, um „Wagner“ als eine staatliche Struktur darzustellen. Zumal die verbindende übergreifende Marke für sie Jewgenij Prigoschin ist. Für die Männer des Staates trägt üblicherweise der Staat dies Verantwortung und bei weitem nicht nur ihr unmittelbarer Leiter. Dass die einen Vertrag abgeschlossenen Kämpfer im Rahmen der militärischen Sonderoperation Gefechte führen und keine Öltürme irgendwo in Libyen bewachen werden, dies sind jetzt Nuancen, die beim Ergreifen neuer antirussischer Sanktionen oder Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Wirken der Söldnerfirma „Wagner“ wohl kaum irgendwen in der EU und den USA interessieren werden.
Leider hat sich aber vorerst die Reaktion des Staates an sich auf diese Veränderung als eine gewohnte erwiesen. Er unternahm den Versuch, den Anschein zu erwecken, dass nichts geschehen sei. Erklärt wurde, dass die Firma „Wagner“ zwar Gelder aus dem Staatshaushalt erhalten hätte, ihr Business aber eigenständig führe. Folglich müsse man nach wie vor sie zur Verantwortung ziehen. Freilich, in Afrika hat man anders geurteilt. Der Berater des Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik Fidel Guanjika gestand in einem Interview für die „Financial Times“ unverblümt ein, dass er die „Wagner“-Vertreter als ein Instrument des russischen Staates und in keiner Weise anders ansehe. „Wenn Moskau entscheidet, sie abzuberufen und uns „Beethoven“- oder „Mozart“-Leute und keine „Wagner“-Leute zu schicken, so werden sie bei uns sein“, sagte er.
Es scheint, dass Russland zu keiner Geisel des reputationsbelasteten Erbes der „Wagner“-Firma in der ganzen Welt werden darf. Die gegenwärtige Identität ihrer Angehörigen als Verräter kann man nicht mit Hilfe von PR-Aktionen verändern. Die globalen Anti-Pr-Aktivitäten der letzten Woche, ihr Image von Putschisten sind für viele Politiker inakzeptabel. Man muss dem Markt an sich vorschlagen, das Angebot solcher Söldnerfirmen hervorzubringen, die die gestellten Aufgaben mit militärischer und einer Berufsehre lösen werden. Man kann und darf nicht so leicht Untreue und einen Verrat ausgehend von utilitären Erwägungen über den Komfort von irgendwem vergeben.