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Die kasachische Lehre für Lukaschenko


In Minsk erklärt man, dass das Wesen der Unruhen in Kasachstan und in Weißrussland eines seien, eine „ausländische Einmischung“. Alexander Lukaschenko begreife die inneren Quellen der Probleme und korrigiere seine Politik unter Berücksichtigung des Geschehens, nehmen Experten an. Er bemühe sich unter anderem, keine Doppelherrschaft zuzulassen und die Machtübergabe zu vertagen, soweit dies möglich sei.

Alexander Lukaschenko kommentiert aktiv das Geschehen in Kasachstan. „Dies war und ist der Versuch einer ausländischen Einmischung. Jetzt muss man herausfinden, wer hinter diesen Banditen steht“, erklärte er in Minsk in der Kirche zu Christi Geburt. Nach Aussagen Lukaschenkos wollten die Banditen, den Süden Kasachstans abtrennen. Wenn man globaler schaue, so sei dies eine Attacke gegen Kasachstan. Und die „liegt im Rahmen des generellen Trends des Drucks auf Russland an dessen gesamten Grenzen“, ist er überzeugt. „Kasachstan, dies ist der Versuch, die postsowjetischen Staaten rund um Russland anzugreifen. Sie wollen Russland in Blut ertränken“, meint Weißrusslands Staatsoberhaupt. „Wenn Russland zusammenbricht, so werden wir gar nicht einmal bemerken, wo wir uns wiederfinden werden. Man wird einfach über uns hinweggehen“, erläuterte er und rief auf, „das Zentrum unserer Zivilisation, das Zentrum unserer Orthodoxie zu bewahren. Und nicht nur jene Gebiete, die sich heute im Bestand der Russischen Föderation befinden“.

Lukaschenko warnte, dass das begonnene Jahr kein einfaches werde und „sich die Welt auf überaus ernsthafte Weise verändern wird“. Unter anderem würden sich die Staaten aktiv zu Bündnissen vereinigen, denn für die kleinen Staaten, solche wie Weißrussland, „wird es einfach zu überleben schwer werden“. „Daher habe ich auch einen härteren Kurs eingeschlagen, um unsere Souveränität und Unabhängigkeit zu bewahren, damit wir ein Staat sind, aber dass wir in einer engen Verbindung mit unseren nächsten Freunden und Brüdern sind. Wer ist dies? Dies ist Russland. Dies ist Kasachstan. Dies ist die Ukraine. Es ist unwichtig, was sich dort heute abspielt. Dort ist das Volk bis aufs Äußerste unglücklich. So lange kann dies nicht weitergehen. Wir müssen alles unternehmen, um die Ukraine in den Schoß unseres wahren Glaubens zurückzuholen“, skizzierte Lukaschenko die Hauptkonturen seiner Außenpolitik.

Experten pflichten dem bei, dass für die Politik Lukaschenkos die Ereignisse in Kasachstan nicht spurlos verlaufen würden. Die Schlussfolgerungen und Konsequenzen sehen sie jedoch anders als jene, die man in Minsk offiziell formuliert.

Die Hauptschlussfolgerung, die das weißrussische Staatsoberhaupt aus den in Kasachstan geschehenen Ereignissen zieht, ist die, dass eine Doppelherrschaft ein unzuverlässiger Zustand ist. Nach Meinung des Politologen Pawel Usow „wird Lukaschenko die Gestaltung eines bedingten politischen Polyzentrismus (eines dualen Zentrismus) der Herrschaft und sogar einen formellen (Macht-) Transit innerhalb der Regimes aufgeben“. Auf einen Machttransit in Weißrussland werde auch Moskau nicht bestehen, meint der Experte, denn „die neuen Herrschenden werden keine stabilen sein“. Darüber schrieb Usow auf seiner Internetseite. Er räumt ein, dass die Annahme der neuen Verfassung für eine unbestimmte Zeitdauer verschoben werde.

Es sei daran erinnert, dass das Referendum zur neuen Verfassung im Februar in Weißrussland stattfinden soll. Seine Hauptneuerung ist, dass der Gesamtweißrussischen Volksversammlung ein verfassungsgemäßer Status verliehen wird. Nach Inkrafttreten der neuen Fassung des Grundgesetzes soll Lukaschenko dieses Gremium leiten. Er beabsichtigt, das Präsidentenamt an einen Nachfolger abzutreten, nachdem er sich mit unterschiedlichen Garantien abgesichert hat. In Weißrussland hatte man solch einen Machttransit bisher als kasachische Variante bezeichnet. Nun hat solch ein Schema Unzuverlässigkeit demonstriert. „Eine der Hauptschlussfolgerungen wird sein, dass eine Doppelherrschaft nicht zum Guten führen wird. Für Lukaschenko bedeutet dies, dass sich das Format eines steuerbaren Transits, worauf er sich orientiert hatte, dass sich das „kasachische Szenario“ als doch kein so zuverlässiges erweist“, erklärte der politische Analytiker Artjom Schraibman bei der Beantwortung entsprechender Fragen von Lesern des Internetportals www.zerkalo.io. „Jegliche Verfassungsgarantien, jeglicher Glaube an einer Zuverlässigkeit des eigenen Nachfolgers fallen in einer kritischen Situation aus“, konstatierte der Experte. Er erinnerte daran, dass Lukaschenko im Jahr 2018 bereits die Diskussionen zur Verfassung verschoben hätte, als sich in Armenien die Revolution ereignete. Wobei er aus den Ursachen keinen Hehl gemacht hätte.

Artjom Schraibman denkt nicht, dass die weißrussischen Offiziellen jetzt auf die Abhaltung des Verfassungsreferendums verzichten werden, weil dies „ein zu offenkundiges Eingestehen ihrer Schwäche und Angst vor einem Ereignis, ähnlich dem, dass sich in Kasachstan abgespielt hatte, wäre“. Zur gleichen Zeit ist der Experte davon überzeugt, dass Lukaschenko den (Macht-) Transit an sich aufschieben werde, soweit dies ihm die Situation erlauben werde. Dies wiederum erhöhe die „Wahrscheinlichkeit eines chaotischen, eines spontanen und möglicherweise auch gewaltsamen Szenarios in Belarus“.

Der Politologe Valerij Karbalewitsch ist gleichfalls der Auffassung, dass Alexander Lukaschenko die Abhaltung des Referendums zur neuen Verfassung nicht absagen oder aufschieben werde, denn „die Maschine ist bereits in Gang gesetzt worden“. Die Erfahrungen Kasachstans werde jedoch das weißrussische Staatsoberhaupt berücksichtigen, denkt der Experte. „Kasachstans Erfahrungen haben Lukaschenko noch mehr davon überzeugt, dass es keinerlei ruhigen Machttransit geben kann. Er (der Machttransit) wird ihn veranlassen, mit einer weitaus größeren Vorsicht zu versuchen, vom Amt abzutreten oder am besten überhaupt nicht abzutreten“, sagte der Politologe der „NG“.

Alexander Lukaschenko stand auch früher mit Vorsicht der Idee von einem Machttransit gegenüber und sprach sich über die Gefahr einer Doppelherrschaft aus. Nunmehr hat er sich noch mehr davon überzeugt, dass eine „Doppelherrschaft ein riskantes Spiel ist. Und es kann so enden wie in Kasachstan, wenn der neue Staatschef, der Nachfolger, den alten Führer opfert, um die eigene Macht zu festigen. Und es werden da keinerlei Garantien, verfassungsmäßige oder irgendwelche per Gesetz etablierte, retten“, meint Karbalewitsch.

In dieser Situation wird Lukaschenko versuchen, die Gefahr zu minimieren. Dies kann sowohl durch eine größere Verstärkung der Positionen der Gesamtweißrussischen Volksversammlung oder durch einen gänzlichen Verzicht auf einen Machttransit erfolgen. Valerij Karbalewitsch nimmt an, dass Alexander Lukaschenko einfach gleich zwei Ämter bekleiden werde. Er werde das Präsidentenamt behalten und das Amt des Vorsitzenden der Volksversammlung bekommen. Dann werde es keine Doppelherrschaft geben.

Die Experten sind gleichfalls davon überzeugt, dass die Innenpolitik in Weißrussland noch mehr verschärft werde. „Die Ereignisse in Kasachstan bestätigen Lukaschenko in seinen früheren Schlussfolgerungen, dass man jeglichen Protest abwürgen müsse, Und je brutaler desto besser“, sagte Valerij Karbalewitsch der „NG“. „Lukaschenko wird die politischen Repressalien und die Kontrolle verstärken“, solidarisiert sich auch Pawel Usow mit solch einem Standpunkt.