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Die Kommunisten suchen Fans unter den Schlachtenbummlern


Die „Linke Front“ hat in Moskau Mahnwachen für eine Aufhebung des Gesetzes über Fan-IDs als Zeichen der Solidarität mit den Protesten der Fußball-Schlachtenbummler veranstaltet. Die KPRF hatte in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments) gegen solch eine Entscheidung gestimmt. Und jetzt, da Anhänger führender Klubs einen Boykott von Fußballspielen ankündigten, haben die Kommunisten beschlossen, sie zu unterstützen. Dies ist ein Versuch, noch einen Teil des traditionell machttreuen Elektorats nach den Anti-Vaxxern zu gewinnen. Experten schließen nicht aus, dass sich die Aktionen der Fans potenziell politisieren könnten. Vorerst sei aber mehr eine PR-Aktion seitens der Kommunistischen Partei.

Über die Mahnwachen informierte der Koordinator der „Linken Front“ Sergej Udalzow. Nach seinen Worten soll das Erscheinen der Aktivisten an der Administration des russischen Präsidenten und der Staatsduma zeigen, dass die Implementierung des Gesetzes über die Fan-IDs politische Ziele verfolge und selbst auf eine maximale Polizeikontrolle abziele.

Es sei daran erinnert, dass das Gesetz über die Einführung eines Zugangs zu Stadien nur bei Vorhandensein einer Fan-ID ab 1. Juni dieses Jahres im Dezember 2021 durch das Unterhaus verabschiedet und jüngst durch das Staatsoberhaupt unterzeichnet wurde. Dies löste erwartungsgemäß eine negative Reaktion aus. So haben die Fan-Vereinigungen der russischen Profi-Fußballklubs „Spartak“, „Zenit“, „Rostow“ und „Krasnodar“ dieser Tage bereits einen Boykott jener Spiele bekanntgegeben, wo der spezielle Ausweis verlangt werde. Und seitens der Offiziellen begannen bereits die Versicherungen laut zu werden, dass man den Sinn des Gesetzes nicht begriffen hätte. Die Linken aber haben beschlossen, den Druck zu verstärken.

„Es ergibt sich eine explosionsgefährliche Situation“, erklärte Udalzow, der der Auffassung ist, dass man das Gesetz mindestens überarbeiten müsse. Und wenn es unmöglich sei, dies qualitätsgerecht zu tun, so sei es besser, es fallen zu lassen. „Technisch ist es nicht schwer, dies zu tun, wenn es einen politischen Willen geben würde. Andernfalls riskieren die Kreml-Bewohner, bereits in der überschaubaren Perspektive Massenproteste erzürnter Fußballfans zu erleben. Die zweifellos auch die russische Opposition unterstützen wird, in deren Reihen es auch nicht wenige Freunde des Sports gibt. Nun, und wenn sich der Protest der Fans mit dem sozialen Protest der durch Armut, das Coronavirus und der ausplündernden Experimente der Herrschenden gepeinigten Bürger verbindet, wird es ganz gehörig zugehen“, unterstrich er.

Für die Fußballfans haben sich auch offizielle Vertreter der Kommunistischen Partei eingesetzt. Und der Leiter des analytischen Zentrums der KPRF Sergej Obuchow merkte gegenüber der „NG“ an: „In den letzten Jahren hat sich die Tendenz herausgebildet, dass wir uns immer mehr auf die Meinung der Mehrheit stützen. Die Partei ertastet wunde Punkte, arbeitet hinsichtlich der aktuellen Probleme der Gesellschaft und erweitert deshalb auch die Unterstützung bei den Wahlen. Es ist nicht erstaunlich, dass wir auch im Fall mit den Schlachtenbummler-Pässen die einzigen waren, die Recht hatten. Wir sind keine Taschenrechner, um zu berechnen, wieviel das eine oder andere Thema der Partei einbrachte, hoffen aber, dass man die prinzipielle Haltung zu verschiedenen Fragen unter anderem auch bei den Wahlen zu schätzen weiß“. Der KRRF-Abgeordnete in der Staatsduma Wladimir Isakow erinnerte daran, dass die Partei „Einiges Russland“ vor den negativen Folgen gewarnt hätte. „Wir haben bereits eine Verbindung mit den Fans, stehen mit ihnen im ständigen Kontakt“, sagte Isakow. Er unterstrich, dass, wenn auch der Protest gegen die Fan-IDs möglicherweise an und für sich nicht das Motiv sein werde, für die KPRF zu stimmen, so es ein zusätzliches Argument für eine Protestabstimmung werde.

Es sei daran erinnert, dass, als es im vergangenen Jahr den Kommunisten gelungen war, die Anti-Vaxxer-Proteste anzuführen, sich dies auf die Ergebnisse ihrer Teilnahme an den Wahlen spürbar ausgewirkt hatte. Und jetzt suchen die Linken augenscheinlich nach Möglichkeiten für eine weitere Erweiterung ihrer Basis vor allem durch das Elektorat, das den Offiziellen loyal gesinnt ist.

Nikita Popow, der Pressesekretär der KPRF-Fraktion im Moskauer Stadtparlament, betonte, dass „die ungerechte Meinung herrscht, wenn du Schlachtenbummler bist, ein Fan, so bist du automatisch ein Rechter und folglich ein Gegner der Linken. Aber dem ist schon lange nicht mehr so“. Nach seinen Worten seien in diesem Fall die ideologischen Differenzen uninteressant. Die Fan-IDs seien genauso verderblich und sinnlos wie auch die QR-Codes (für gegen COVID-19 geimpfte Bürger – Anmerkung der Redaktion). „Während hinsichtlich der letzteren die Herrschenden unter dem Druck der Gesellschaft zusammen mit der KPRF nachgeben mussten, demonstrieren sie mit der Einführung der Fan-IDs irgendeine engstirnige Sturheit. Ein neuer Punkt, an dem es kein Zurück gibt und der zu einer Destabilisierung des Systems führt“, unterstrich Popow. Der Kommunist unterstrich: „Die Fan-Gemeinde ist einerseits eine entpolitisierte. Andererseits politisiert man sie derzeit aktiv. Ob dies zu einer Protestabstimmung bei irgendwelchen Wahlen führen wird, werden nur die Wahlen zeigen. Eines wird aber bestimmt der Fall sein: Die Fans haben gute Mobilisierungsressourcen. Heute boykottieren sie Spiele. Morgen aber können sie auf die Straßen kommen. Und dies wird nicht ohne sein“.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow sagte der „NG“, dass „im Kampf gegen das politische Geregeltsein sowie für die Rechte und Freiheiten sich die KPRF mit den Fans zusammenschließt, die einen Kampf für die eigenen Interessen führen. Und daher sind dies neue Möglichkeiten sowohl für die eine als auch die andere Seite“. Folglich sei ein gewisses zeitweiliges Bündnis durchaus real. Die Fans könnten Instrumente für eine gesetzgeberische Abwehr der Neuerung gebrauchen. Und die Kommunisten könnten durchaus mit den Stimmen der Fußballfans rechnen. „Für die Herrschenden ist jedoch der politische Protest schmerzhafter, denn eine Sache sind leere Tribünen und ein Boykott von Turnieren. Und eine ganz andere eine aktive Protestabstimmung“, wies er hin. Der Experte betonte gleichfalls, dass, da die Herrschenden bereits begonnen hätte, von einem internationalen Charakter des Gesetzes über die Fan-IDs zu sprechen, weitere Lockerungen durchaus möglich seien.

Alexej Kurtow, Vizepräsident der Russischen Assoziation politischer Konsultanten, erinnerte daran, dass die Offiziellen bereits seit 2010 aktiv mit der Fan-Bewegung arbeiten würden, als sich nach dem Tod des Fußballfans Jegor Swiridow der Präsident mit der Community traf und das Grab des ums Leben gekommenen Moskauers aufsuchte. Daher werde keiner der Opposition erlauben, diese Sphäre zu politisieren. Aber die KPRF an sich sei, wie auch jegliche andere Partei, „verpflichtet, hinsichtlich der aktuellen Agenda mit allen unzufriedenen Gruppen der Gesellschaft zu arbeiten“. Und folglich werde die KPRF ihre informationsseitige Rolle in dieser Geschichte in vollem Maße erfüllen.

Nach Meinung des 1. Vizepräsidenten des Zentrums für politische Technologien, Alexej Makarkin, „werden die Offiziellen auf jeden Fall mit den Fans sprechen. Sie sind in Vielem die ihrigen. Und daher kann man ihnen theoretisch andeuten, dass es nicht lohne, das Thema zu politisieren“. Überdies gibt es auch unter den Fußballfans Meinungsverschiedenheiten zu politischen Fragen. Folglich begreifen die Klubs: Eine aktive Politisierung des Protests kann zu inneren Spaltungen führen. Die Kommunisten begreifen dabei auch, dass der Protest der Fußballfans ein lokalerer als der der Anti-Vaxxer ist. Und solch eine elektorale Rolle wird er nicht spielen. Und während das Thema der COVID-Restriktionen ständig neue Nuancen erlangt, sind die Proteste der Fans beschränkt. Daher gehen die Linken rational an die Frage heran, wobei sie in erster Linie die informationsseitige Agenda abarbeiten.