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Die Moslems werden der Verteidiger Kasans vor Iwan Grosny gedenken


Die Geistliche Verwaltung der Moslems der Republik Tatarstan hat einen Tag des Gedenkens an die bei der Verteidigung von Kasan Gefallenen – den Cheter kone (tatarisch – „NG“) – eingeführt. Allerdings verpflichtet man in der Republik jetzt nicht nur die Moslems, die islamischen Traditionen zu kennen, zu ehren und zu lieben, sondern auch christlich-orthodoxe Seminaristen.

Das in der Geschichte des tatarischen Volkes wichtige Datum wird von nun an alljährlich am 13. Tag des islamischen Monats Schawwāl (der zehnte Monat des islamischen Mondkalenders – Anmerkung der Redaktion) durch das Lesen des Korans und Gebete für die Seelenruhe der Gefallenen begangen. Gerade damals, im Jahr 959 nach der Hidschra (der Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina und seine Ankunft in Qubāʾ — Anmerkung der Redaktion), was dem 15. (2.) Oktober 1552 entspricht, hatten Truppen von Zar Iwan Grosny nach einer 41tägigen Belagerung die Stadt erstürmt und damit dem Kasan Khanat ein Ende bereitet. In diesem Jahr fiel der Cheter kone auf den 25. Mai und wurde erstmals auf offizieller Ebene am Mausoleum der Kasaner Khans auf dem Territorium des städtischen Kremls begangen.

„Jedes Volk hat seine Schahiden (arabisch „Märtyrer“). Für die Tataren sind dies in erster Linie jene, die bei der Einnahme von Kasan ums Leben gekommen sind. Zumal sich die Ereignisse von 1552 in den Tagen des heiligen Monats Ramadan abgespielt haben. Unsere Pflicht ist es, ihrer zu gedenken, unsere Geschichte zu studieren und in der heranwachsenden Generation die Liebe zu unserem Volk zu wecken“, wird in einer Mitteilung betont, die auf der internationalen Internetseite der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Republik Tatarstan veröffentlicht wurde. In der Verwaltung rief man jedoch dazu auf, keine „politischen Spekulationen zum Thema der Einnahme Kasans durch Iwan Grosny, die zwischennationale Konflikte verursachen“, zuzulassen. Daran erinnernd, dass das „Kasaner Khanat ein moslemischer Staat war, in dem die islamische Kultur blühte sowie das arabische Schrifttum und der Hidschra-Kalender verwendet wurden“, betonte die Geistliche Verwaltung der Moslems der Republik Tatarstan, dass „Russland die Heimat für viele indigene Völker ist, die Schulter an Schulter durch gemeinsame Anstrengungen das gemeinsame Vaterland verteidigten, sich von Ewigkeit her auf dem Territorium unseres Landes entwickelten, die mannigfaltige gesamtrussische Mentalität ausprägten und einen Beitrag zur Entwicklung eines starken sozial-ökonomischen Raumes leisteten“.

Um den antirussischen Kontext des neuen Gedenktages aufzuheben, unterstrich der Leiter der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Republik Tatarstan Kamil Samigullin während der Gedenkveranstaltung: „In der Geschichte des tatarischen Volkes und nach 1552 hat es viele Helden-Schachiden gegeben, die ihr Leben für die Religion, die Heimat, die Nation hergegeben haben. Daher ist es wichtig, auch ihrer zu gedenken. Ich schlage vor, den Cheter kone dem Andenken an alle Helden und Batyrs (tapfere Helden – „NG“) der tatarischen Nation zu widmen“.

„Diese Entscheidung der Geistlichen Verwaltung der Moslems der Republik Tatarstan löst viele Fragen aus“, merkte in einem Gespräch mit der „NG“ Professor Roman Silantjew von der Moskauer staatlichen linguistischen Universität an. „Die Veranstaltung an sich wird als Erstürmung-Verteidigung von Kasan bezeichnet. Und Moslems hatten auf beiden Seiten gekämpft, wobei laut einigen Angaben auf der Seite der Angreifenden mehr Moslems gewesen waren. Wenn man aller Moslems gedenken wird, ist dies ein Vektor. Wenn nur der Verteidiger – so ist dies ein anderer. Außerdem hatten Kasan nicht nur Moslems verteidigt, sondern auch orthodoxe Christen. Es ist unklar, ob auf irgendeine Weise auch der nichtmoslemischen Verteidiger von Kasan gedacht wird. Wenn die Aktion nur den moslemischen Verteidigern gewidmet wird, so wäre es zwecks Bewahrung des zwischenreligiösen Friedens nicht schlecht, auch einen Gedenktag für die Angreifer gegen Kasan mit den entsprechenden sowohl moslemischen als auch christlich-orthodoxen Gebeten einzuführen“, erklärte der Islamexperte. Er erinnerte gleichfalls daran, dass bereits im 19. Jahrhundert am Fluss Kasanka im Stadtzentrum eine christlich-orthodoxe Kirche zur Erinnerung an die Kämpfer, die bei der Belagerung und Einnahme von Kasan ums Leben gekommen waren, errichtet wurde. Freilich, zu Sowjetzeiten war die Gedenkstätte geschlossen und ausgeplündert worden. Und 1924 wurde sie auch ganz und gar in „Denkmal für die Völkergemeinschaft“ umbenannt. Eine Wiedergeburt erlebte das Gotteshaus erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wurde jedoch ständig Akten von Vandalismus seitens einheimischer nationalistischer Organisationen ausgesetzt.

Während die Aksakale (im Islam Personen, die in ihrer Gemeinschaft besonders respektiert werden und daher als Schlichter, Organisator und Kulturvermittler fungieren – Anmerkung der Redaktion) Tatarstans einen Beschluss über das Begehen des Cheter kone fassten, hat man im Moskauer Patriarchat beschlossen, ab dem kommenden Jahr im Kasaner christlich-orthodoxen geistlichen Seminar das Magisterprogramm „Islamkunde“ einzuführen. In dessen Rahmen werden die künftigen Geistlichen beginnen, nicht nur vertieft die arabische Sprache erlernen, sondern sich auch „mit den Grundlagen der Glaubenslehre sowie den Quellen der Traditionen des Islams vertraut machen, aber auch den historischen und kulturellen Kontext des Islams in der Welt und in Russland studieren“.