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Die Öffentlichkeit forderte keine Freilassung Nawalnys


Die Anwälte von Alexej Nawalny hatten am 25. März die Erlaubnis für ein Treffen mit ihm erhalten und erklärten, dass sich jetzt für sie das Recht auf die Bekanntgabe schlechter Nachrichten ergeben habe. Es stellt sich heraus, dass ihr Mandant schon lange über eine Verschlechterung der Gesundheit klagt. Seiner Meinung nach erhalte er aber die Ablehnung für eine gemäß Gesetz richtige medizinische Hilfe. Als Beweis sind entsprechende Briefe Nawalnys an die Gefängnisinstanzen veröffentlicht worden. Er besteht gleichfalls darauf, dass ihm der Status eines „zur Flucht geneigten“ genommen werde. Er fordert aber gar nicht seine Freilassung. Solch eine These gibt es auch nicht in einem offenen Brief der Öffentlichkeit zu seiner Verteidigung. Dennoch wird der physische Zustand des Oppositionspolitikers ein weiteres Mal zu einer Triebkraft einer politischen Kampagne, die seine Stäbe entfalten.

„Wir fordern, unverzüglich den Zugang eines Arztes zu Alexej Nawalny zu gewährleisten, seine Behandlung zu beginnen, aber auch die Folter durch Schlafentzug zu beenden. Wir erinnern daran, dass sich Alexej Nawalny in der Strafkolonie IK-2 in Pokrow absolut unrechtmäßig, auf der Grundlage eines nicht in Kraft getretenen Urteils, auf persönliche Anweisung von Wladimir Putin befindet. Und Putin trägt die direkte Verantwortung für den Zustand seiner Gesundheit.“ Solch eine Erklärung haben am 25. März die Mitstreiter von Nawalny verbreitet.

Die Sache ist die, dass die Anwalte Nawalnys am Donnerstag endlich die Erlaubnis für ein Treffen mit ihrem Mandanten erhalten hatten. Ihren Worten zufolge sei es um ihn schlecht bestellt. Ein Bein sei praktisch gelähmt. Es würden ernsthafte Schmerzen im Rücken bestehen. Die Nawalny-Anhänger erklären, dass der früher nicht erlaubt hätte, solche Informationen preiszugeben, da er befürchtet hätte, dass dies als ein gewisser Versuch, Mitleid auszulösen, aufgefasst worden wäre. Jetzt jedoch sei die Situation, wie die Anwälte betonen, schon zu weit gegangen.

Den mit Erlaubnis von Nawalny veröffentlichen Schreiben an die Leitung des Straflagers, aber auch an den Direktor des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug, Alexander Kalaschnikow, nach zu urteilen, wertet er die Ablehnung auf Gewährung medizinischer Hilfe für ihn als vorsätzliche Misshandlung. Mit genau dem gleichen erläutert Nawalny auch die erneute Ablehnung, von ihm den Status „eines zur Flucht geneigten“ zu nehmen, was für die Gefängnisbeamten zu einem Vorwand wurde, den Häftling nachts jede Stunde zu wecken. In der Beschwerde an Kalaschnikow wird darauf verwiesen, dass das Gesetz und die Innenordnung der Kolonien (Straflager) das Recht des Inhaftierten auf einen 8-Stunden-Schlaf vorsehen. Übrigens, Nawalny hatte man gerade dieser Tage dafür bestraft, dass er solch eine innere Ordnung verletzte, indem er zehn Minuten früher als erlaubt aufgestanden war.

Es macht Sinn zu betonen, dass, obgleich die Nawalny-Vertreter offensichtlich selbst vom schlechten Wohlbefinden ihres Anführers gewusst hatten, sie dies vorsätzlich nicht dem Publikum kundtaten, das sie offenkundig auf den Informationsschlag vorbereiteten. Gerade in diesem Kontext ist der ebenfalls am 25. März veröffentlichte offene Brief der Öffentlichkeit unter der Überschrift „Die schwere psychologische und physische Folter muss beendet werden“ zu sehen. Ihn haben über 150 Personen unterschrieben – Politiker, Menschenrechtler, Anwälte, Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure und einfach aktive Bürger. Der Brief ist an den gleichen Kalaschnikow gerichtet worden, aber auch an Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und Russlands Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa. Bezeichnend ist, dass es in ihm keine Forderung gibt, Nawalny freizulassen. In ihm ist nur von einer ordnungsgemäßen Einhaltung der Rechte dieses Häftlings die Rede. Und in ihm wird noch darauf verwiesen, dass Kalaschnikow und Krasnow aus der Sicht der Vertreter des öffentlichen Lebens „die Garanten für die Sicherheit, die Gesundheit und das Leben“ Nawalnys seien.

Es sei daran erinnert, dass die Nawalny-Vertreter als solchen ausschließlich allein Putin ansehen. Und allem nach zu urteilen wird gerade der Präsident zur Zielscheibe eben jenes anstehenden Protestmeetings, für das gegenwärtig per Internet Interessenten im ganzen Land erfasst werden. Auf der entsprechenden Internetseite waren bis zum Vormittag des 26. Märzes bereits mehr als 270.000 Registrierungen vorgenommen worden. Es ist gleichfalls klar, dass die Gesundheit von Nawalny ein weiteres Mal zur Haupttriebkraft der gestarteten politischen Kampagne wird. Hier wird augenscheinlich auf solch ein objektives menschliches Gefühl wie das Mitleid für Kranke gesetzt. Jedoch ist auch eine Andeutung für den Westen zu spüren, der in der letzten Zeit, wenn auch nicht die Anstrengungen zur Verhängung von Sanktionen gegen die herrschende Klasse der Russischen Föderation abschwächte, so doch die Arbeit zur informationsseitigen Begleitung ihrer entsprechenden Tätigkeit vernachlässigte.

Der Gesundheitszustand Nawalnys hat auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle interessiert. Wie der Chefredakteur des hauptstädtischen Hörfunksenders „Echo Moskaus“, Alexej Wenediktow, schreibt (https://t.me/aavst55), habe die Probleme mit Nawalnys Gesundheit der ehemalige Bürgermeister von Jekaterinburg, Jewgenij Roisman, kommentiert. „Er berichtete, dass der Oppositionspolitiker bereits im vergangenen Dezember aufgrund dessen auf das Joggen verzichtete, dass ein Bein stark schmerzte“. Andere Autoren stellten Überlegungen über Internet-Meetings der Opposition an. „Ein interessantes Ergebnis bringt ein Betrachten der Landkarte auf der Internetseite der für Nawalny virtuell zu Meetings Kommenden“, schreibt man auf dem Telegram-Kanal „Mysly vsluch“ („Gedanken laut geäußert“ — https://t.me/mysly). „Bei der Registrierung wird vorgeschlagen, eine Adresse anzugeben. Aber keiner überprüft die Richtigkeit der Angaben. Ergo kann man jegliche Adresse angeben. Natürlich lösen die Orte – sagen wir es einmal so – der Massenansammlung von Nawalny-Vertretern Beachtung aus. Unsere Top-5 der populären Orte mit Angabe der Anzahl der sich registrierten Menschen: 212 – im Moskauer Kreml, 48 – am Lenin-Mausoleum, 41 – im GUM, 28 – an der Basilius-Kathedrale und 11 – im Historischen Museum. Der Kreml ist, wie auch zu erwarten war, außer Konkurrenz“. (Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags sind diese Zahlen bereits überholt, schaut man sich die entsprechende Internetseite https://free.navalny.com/ an. – Anmerkung der Redaktion).

„Während des „Online-Meetings“ haben die Nawalny-Leute die gleichen Fehler begangen wie auch im Februar während der Aktion mit den Mobiltelefon-Lampen… Der Unterschied der nunmehrigen Aktion besteht nur darin, dass man sich die Nase nicht erfrieren muss. Ja, und die Nachbarn werden nicht genau herausfinden können, wer da der Einzige in ihrem Wohnblock ist, der Mitgefühl für Nawalny hat“, betont „Meister“ (https://t.me/maester). Der Mensch braucht einen Menschen. Die Organisatoren haben dies teilweise vorgesehen. Indem sie die Möglichkeit gegeben haben, das Prozedere eines Check-ins an jedem Ort und mehrmals von unterschiedlichen Gadgets und Browsern aus zu durchlaufen. Die 40 Nawalny-Leute, die das „Mausoleum eingenommen haben“ oder die 4 „Protestierenden“ aus der Butyrka (bekannte Moskauer U-Haftanstalt – Anmerkung der Redaktion) verpassen der Situation nur eine zusätzliche Komik.“

P.S. Wie „NG Deutschland“ am Freitag erfuhr, hat die Juristin der Nawalny-Stiftung Ljubow Sobol nun die Genehmigung seitens der Untersuchungsrichter erhalten, sowohl in die Kirche zu gehen als auch ihr minderjähriges Kind zur Schule zu bringen. Dies teilte ihr Anwalt Wladimir Woronin mit. (Siehe dazu auf unserer Seite den Beitrag „Wird die Russische orthodoxe Kirche Ljubow Sobol helfen?)