Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Die Opposition will Lukaschenko ein Misstrauensvotum vorbereiten


Die weißrussischen demokratischen Kräfte schlagen vor, zum bevorstehenden Referendum zum Verfassungsentwurf zu kommen und die Stimmzettel ungültig zu machen. Experten halten diese Taktik für einen Flopp. Und bisher haben die Opponenten der Herrschenden keine Idee, die deren Gegner vereinen könnte.

Die hauptsächlichen Strukturen der weißrussischen demokratischen Kräfte haben sich vereinigt und eine gemeinsame Strategie für ein Verhalten beim Referendum zum Verfassungsentwurf, das Ende Februar stattfinden soll, ausgearbeitet. Dies teilten die Pressedienste der Stäbe der Anführerin der demokratischen Kräfte Swetlana Tichanowskaja und des Ex-Diplomaten und ehemaligen Ministers Pawel Latuschko mit. Außerdem sind unter den Autoren die Bürgerinitiativen „Ehrliche Menschen“ und die Plattform „Golos“ („Die Stimme“), die sich recht erfolgreich mit der Stimmenauszählung bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen befasst hatte. Dank ihrer Anstrengungen hatten die Experten und die Öffentlichkeit zumindest irgendwelche Daten, auf deren Grundlage man urteilen konnte, wie die Weißrussen tatsächlich abgestimmt hatten.

„Diese Veranstaltung ist ein Verbrechen und ein Betrug, die wir, die Bürger von Belarus, in ein „Misstrauensvotum“ gegen Lukaschenko und seine Umgebung verwandeln werden. Wir rufen auf, in die Abstimmungslokale zu kommen und die Stimmzettel ungültig zu machen. Diese Handlung bedeutet, dass wir nicht mit dem Regime Lukaschenkos einverstanden sind und für die Herstellung von Gesetzlichkeit und die Schaffung von Bedingungen für die Abhaltung ehrlicher Wahlen eintreten“, heißt es in der Strategie. Vorgeschlagen wird, die Stimmzettel ungültig zu machen, indem alle vorgeschlagenen Antwortvarianten angekreuzt werden.

Die Bekanntgabe der Strategie erfolgte in einer Zeit politischer Turbulenzen in Weißrussland, die mit der Aktivierung der Migrantenkrise, den Anrufen der amtierenden deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Alexander Lukaschenko und dem viel Wirbel auslösenden Interview des weißrussischen Staatschefs für BBC zusammenhängen. Daher ist es nicht zum Ereignis Nummer 1 geworden. Dennoch diskutieren sowohl Experten als auch die Gesellschaft darüber, wie sie mit dem Referendum umgehen sollen, da es von den Herrschenden veranstaltet wird, die in den Augen der Bevölkerungsmehrheit keine legitimen sind.

Wie sich aus den Expertenäußerungen ergibt, werde eine Entscheidung zwischen zwei Verhaltensstrategien getroffen – ein Boykott oder das Abstimmen mit verdorbenen Stimmzetteln. Die Anhänger der verschiedenen Verhaltensstrategien sind sich in einem einig – die Entscheidung ist eine sehr schwierige und eine, die den Opponenten der Herrschenden wenig Manövrierraum lässt.

„Ein Boykott führt selten zu grundlegenden Veränderungen im Staat“, argumentiert zur Entscheidung der demokratischen Kräfte der Sondervertreter von Swetlana Tichanowskaja für Wahlen, Alexander Schlyk. „Erstens, weil dies eine Selbstsuspendierung von der Teilnahme am gesellschaftspolitischen Leben ist. Wir haben ein Recht, und wir müssen es nutzen. Zu sagen, „ich werde nicht“, „ich möchte nicht“ ist am leichtesten. Lassen Sie uns an der Verwaltung unseres Landes teilnehmen“, sagte er in einer Sendung des Hörfunksenders Euroradio. „Zweitens wird Ihr Stimmzettel unabhängig davon ins Abstimmungslokal kommen, ob Soe dorthin kommen werden. Vielleicht ist es besser zu kommen und dies zu tun, was irgendeinen politischen Sinn hat“, urteilte er.

Dieser Standpunkt findet bei dem Politologen Pawel Usow kein Verständnis. Nach seiner Meinung sei es die Aufgabe der Gegner der Herrschenden, so zu handeln, dass das Referendum abgesagt wird. „Die Absage der Durchführung ist ein Beleg dafür, dass die Lage der Dinge weit von einer stabilen entfernt ist und Lukaschenko sich nicht der Konsequenzen gewiss ist und beschlossen hat, kein Risiko einzugehen“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Nach seiner Auffassung „haben ein Boykott oder eine Teilnahme unter Bedingungen eines großangelegten Terrors hinsichtlich der Tatsache keine Bedeutung“, denn wir werden uns auf jeden Fall „in den Prozess einschalten, der durch die Offiziellen organisiert und (total) kontrolliert wird“. Ihre Ablehnung könnten die Weißrussen nur durch eine neue Massenaktion demonstrieren. Sie ist aber jetzt unmöglich. Daher ist ein „passives Beobachten“ die Sache und das Schicksal aller Nichteinverstandenen“, resümiert der Experte.

Den Vorschlag der demokratischen Kräfte kritisiert auch der politische Analytiker Igor Tyschkewitsch. „Die von Ihnen unterbreitete Variante … bringt den Verlauf der Abstimmung nicht zum Scheitern, sondern eher umgekehrt… Er hilft, eine Beteiligung zu organisieren, und schafft keine Voraussetzungen für ein Herauskommen aus der Informationsblockade. Er schafft keine Möglichkeiten, um eine Selbstorganisation jener zu stimulieren, die in Belarus sind“, schreibt er auf seinem Account in den sozialen Netzwerken. „Global ist dies ein Plan für eine Reaktion und nicht für ein Propagieren der eigenen Agenda. Faktisch ist dies ein Überlassen der Initiative an die Opponenten“, meint er und bezeichnet den Vorschlag der demokratischen Kräfte als „schlechteste der möglichen Varianten“.

Der Politologe Valerij Karbalewitsch stimmt teilweise dem zu, dass der Vorschlag der demokratischen Kräfte in der gegenwärtigen Situation nicht der optimalste sei. Ein Unbrauchbarmachen der Stimmzettel hat Sinn, wenn dies irgendwie fixiert wird. Die Abstimmungskabinen werden aber wie auch bei den Präsidentschaftswahlen offene sein. Und alle, die versuchen werden, irgendetwas zu fotografieren, riskieren, für Tage hinter Gitter zu geraten. In der gegenwärtigen Situation „ist es schwer, sich irgendetwas Anderes auszudenken“, betont Karbalewitsch. Zur gleichen Zeit würde der Experte bei einer Entscheidung zwischen den zwei zu erörternden Varianten eine Teilnahme auswählen, da „ein Boykott ein demobilisierendes Szenario ist“. Vom Prinzip her sei gar nicht das wichtig, was man für eine Strategie wähle, sondern inwieweit sie die Gesellschaft mobilisiere, meint Valerij Karbalewitsch.

Es sei daran erinnert, dass Alexander Lukaschenko eine neue Verfassung in der Hochzeit der Massenproteste als ein Mittel für ein Herauskommen aus der politischen Krise und für eine generelle Aussöhnung versprochen hatte. Die Idee hatte die russische Führung aktiv unterstützt. Nach Meinung von Experten wolle Moskau sich so von dem toxischen Verbündeten befreien. Dies müsse aber auf gesetzlicher Art und Weise und nicht durch einen Umsturz auf der Straße getan werden. Für Alexander Lukaschenko an sich ist dieses Referendum jetzt bereits auch nicht mehr nötig, da er denkt, dass es gelungen sei, die Situation im Land zu stabilisieren. Und er möchte nichts ändern. Bisher gibt es nicht einmal einen Verfassungsentwurf. Experten behaupten, dass Lukaschenko fieberhaft nach einer Möglichkeit suche, die Macht so zu reformieren, um in ihr zu bleiben. Somit ist es schwierig, eine Verhaltensstrategie für solch eine Veranstaltung zu konzipieren, die letzten Endes keiner im Land braucht.