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Die politische Einsamkeit Strelkows


 

Der einstige Verteidigungsminister der Donezker Volksrepublik und FSB-Oberst der Reserve, Igor Girkin (Strelkow), ist in Moskau entsprechend einem Extremismus-Vorwurf verhaftet worden. Ihm lastet man Teil 2 des Paragrafen 280 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation an, das heißt widerrechtliche Aufrufe zu einer extremistischen Tätigkeit über das Internet. Konkret geht es um mehrere Posts von Strelkow in sozialen Netzwerken, wegen denen ihm bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug drohen.

Unter den Beobachtern gibt es keinen Mangel an Versionen, warum man Strelkow, der über Jahre die Offiziellen und die Militärführung der Russischen Föderation im Internet angeprangert und damit den Ruf eines hartnäckigen, insgesamt aber unschädlichen Pessimisten erlangt hatte, auf einmal hinter Gitter gebracht hat. Er taucht in allen denkbaren westlichen Sanktionslisten. Der Geheimdienstler hatte auch sehr viel für ein Heimholen des Neuen Russlands (Nowo-Rossija) getan. In der Regel bringt man die harten Maßnahmen mit der Prigoschin-Meuterei vom 23. und 24. Juni in einen Zusammenhang. So hätten die Rechtsschutzstrukturen nach der Lösung dieser Krise freie Hand für eine Säuberung, die beinahe an die von 1937 erinnert, erhalten. Aber zumindest solch einen Aufstand hätte Strelkow in keiner Weise zustande gebracht. Ja, im Jahr 2014 hatte er eine Einheit auf die Beine gestellt, womit er den Prozess der Loslösung des Donbass von der Ukraine in Gang gesetzt hatte. Damals hatte er jedoch einflussreiche Schutzpatrone und wahrscheinlich eine finanzielle Unterstützung ihrerseits (selbst ungeachtet dessen, dass sowohl er selbst als auch viele seiner Anhänger aufgrund von ideellen Erwägungen gehandelt hatten). Augenscheinlich hat Strelkow schon viele Jahre weder Schutzherren noch eine finanzielle Unterstützung.

Am meisten verbreitet ist die Theorie, dass die Offiziellen mit der Verfolgung von Strelkow die „imperiale“ Gruppierung der Opposition vernichten. Sie säubern den politischen Raum, wobei sie alle daran erinnern, dass nur sie auf dem Z-Territorium (Synonym für die einstigen ukrainischen und nunmehr neuen russischen Territorien – Anmerkung der Redaktion) sind und dass es auf ihm keine alternative, beispielsweise eine Anti-Putin-Meinung, geben kann. Der Gründer des „Klubs der erzürnten Patrioten“ hatte aber auch vor der Festnahme alles getan, um nach dessen Etablierung dieses Projekt sofort zu zerstören, womit er ein weiteres Mal seine Unfähigkeit nachwies, sich zu einigen. Genau entsprechend dem gleichen Schema wie er zuvor das „Komitee des 25. Januar“ in die Vergessenheit verbannt hatte. Die politische Haltlosigkeit von Strelkow hat mehrfach eine Bestätigung gefunden. Fürchtet ihn aber der Kreml so sehr, um ihn ins Gefängnis zu stecken?

Auf diesen Aspekt muss man detaillierter eingehen. Als einer der Parameter politischer Stärke wird üblicherweise eine Mobilisierung für Straßenaktivitäten – die Anzahl der auf die Straßen gebrachten Menschen – angesehen. Auffällig ist, dass für eine Unterstützung von Strelkow – bei hunderttausenden Abonnenten – nur ganz wenige Protestierende zum Mestschanskij-Stadtbezirksgericht Moskaus gekommen waren. Alles sah genauso wie eine kraftlose Zusammenkunft von Aktivisten der außerparlamentarischen Opposition bei Protestaktionen der letzten Zeit aus (freilich hat es solche Aktionen das letzte Mal nach Beginn des Ukraine-Krieges vor mehr als 500 Tagen gegeben – Anmerkung der Redaktion).

Der außerparlamentarischen Opposition war es vor rund zehn Jahren gelungen, beeindruckende Massenaktionen zu organisieren. Heutzutage aber können weder „die Liberalen“ noch die „Patrioten“ nichts Derartiges wiederholen. Wobei die „Patrioten“, die den „Liberalen“ Käuflichkeit und eine Täuschung vorwerfen, genau solche Werte wie auch ihre Gegner demonstrieren. Russlands repressives Recht und die Rechtsanwendung ernüchtern gut die auf den Sofas sitzenden Rebellen beider Lager. Und den Anhängern des Staates ist es überdies auch noch psychologisch schwer, zu Protestaktionen gegen die Herrschenden auf die Straßen zu kommen, nachdem sie viele Jahre lang die Teilnehmer nichtsanktionierter Veranstaltungen angeprangert hatten.

Wie dem nun auch immer sein mag: Strelkow sitzt in Haft. Und dies kann recht bodenständige Ursachen haben. Wahrscheinlich hat die Militärführung auf der Welle des Erfolgs – des politischen Sieges über Jewgenij Prigoschin – irgendwie die staatliche Führung von der Notwendigkeit überzeugt, noch einen auf den Geist gehenden Kritiker zur Raison zu bringen. In solch einem Fall droht dem Oberst nichts Ernstes. Man kann ihn peinigen und mit der Zeit wieder auf freien Fuß lassen. Und diese Handlungen wird man mit den für Geheimdienstlern eigenen schwarzen Humor als Notwendigkeit eines Schutzes von Strelkow an sich rechtfertigen können, der eine leichte Zielscheibe für ukrainische Terroristen gewesen sei und einen gewissen Schutz gebraucht hätte.