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Die Referenda im Osten der Ukraine haben das technische Stadium erreicht


Vom 23. bis einschließlich 27. September erfolgen auf den von Kiew nicht mehr kontrollierten Territorien der Donbass-Republiken DVR und LVR sowie der Verwaltungsgebiete Cherson und Saporoschje (im Übrigen auch in einigen Dörfern des Verwaltungsgebietes Nikolajew, die durch russische Militärs kontrolliert werden – Anmerkung der Redaktion) verschiedene Referenda statt. Die von Russland anerkannten Donbass-Republiken werden direkt in dessen Bestand gelangen. Nord-Taurien (historische Bezeichnung aus Zeiten von Peter I. und Katharina II. – Anmerkung der Redaktion) stehen ein Austritt aus der Ukraine, die Erlangung einer Souveränität und danach eine Angliederung bevor, die in einer Frage bei den Pseudo-Plebisziten zusammengefasst worden sind. Technisch aber sind alle fünftägigen Abstimmungen gleichartig organisiert worden. Der 27. September ist für eine demonstrative Willensbekundung in den Abstimmungslokalen und die Präsentation der Ergebnisse vorgesehen worden. Erreicht werde müssen sie aber in einem halblegalen Format. Im Informationsbereich der Russischen Föderation hatte am 22. September die Aufmerksamkeit für die Referenda teilweise einen Nullstand erreicht. Es dominierten Themen der Teilmobilmachung und neuer „Gesten guten Willens“. Und bisher ist nicht einem der sprechenden Köpfe der Gedanke gekommen, zu versprechen, dass beispielsweise schon in einer Woche das Land um vier Regionen größer werde.

Die ersten vier Abstimmungstage, beginnend ab dem 23. September, beschreiben die Wahlkommissionen der vier Regionen der Ostukraine in gleicher Art und Weise: In den Höfen von Wohnkomplexen und individuell – gemäß Anträgen – zu Hause sowie all dies durch spezielle Hausbesuche. (Das russische Staatsfernsehen zeigte bereits am Freitagmorgen entsprechenden Bilder. – Anmerkung der Redaktion). Besonders wird dabei unterstrichen, dass die Bewohner verstehen müssten: Die Polizei oder Militärs werden bei diesen Rundgängen nicht für eine Kontrolle der Willensbekundung anwesend sein, sondern zur Vermeidung von Provokationen, Diversions- oder Terrorakten. Am letzten Tag aber, am 27. September, wird man alle, die geblieben sind, in den offiziellen Abstimmungslokalen erwarten, deren Adressen bis zu solch einem Termin bekanntgegeben werden, um ganz bestimmt keinerlei gewaltsame Druckausübung seitens der Ukraine auf die Entscheidung ihrer baldigen einstigen Bürger, die nach Russland gehen werden, zuzulassen. (Selbst in Russland werden die Informationen über die entsprechenden Abstimmungslokale vorerst geheim gehalten. – Anmerkung der Redaktion)

Dabei hat keiner einleuchtend erläutert, wie man es so bewerkstelligen wolle, dass die Orte für eine stationäre Abstimmung auch die Kiewer Nationalisten nicht erfahren. Und natürlich ist es nicht sehr klar, wie man innerhalb weniger Tage ein Aufsuchen von etwa fünf Millionen Menschen vornehmen kann. Und schließlich hatte gerade solch eine Zahl der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, am 21. September in seiner Ansprache genannt. (Abstimmungsberechtigt sind aber weniger Menschen in den vier Regionen. – Anmerkung der Redaktion) Und überhaupt hatte er daran erinnert, dass anfangs in diesen Regionen über 7,5 Millionen Menschen gelebt hätten. Aber dann seien aufgrund der neonazistischen Kämpfer viele gezwungen gewesen, ihre Häuser zu verlassen. Andererseits sind selbst laut offiziellen Angaben fast drei Millionen aus dem Osten der Ukraine in die Russische Föderation gekommen. Obgleich offensichtlich ist: Nicht alle sind Residenten der DVR und der LVR sowie der Gebiete Cherson und Saporoschje. Gleichfalls ist eine gewisse Zahl von Menschen auf das Territorium der offiziellen Ukraine gegangen. Folglich werden scheinbar die Mitglieder der Wahlkommissionen mehrere hunderttausende Menschen gar nicht erst aufsuchen müssen. Womit die Listen der Abstimmungsberechtigten sich wohl teilweise als Fakes erweisen, zum Beispiel im Gebiet Saporoschje, wo rund 500.000 Menschen in den Listen ausgewiesen worden sind.

Derweil verspricht die russische Zentrale Wahlkommission den Bewohner von Neu-Russland, die sich bereits in Russland aufhalten, dass man ihnen eine vollkommene Unterstützung bei der Abstimmung am jeweiligen konkreten Ort gewähren werde. Dafür wird die Telefonnummer einer Hotline verbreitet, wo man informieren wird, wohin man in welcher Stadt gehen müsse. Obgleich – wie bereits angemerkt – diese Daten auch nicht publiziert werden. Damit wird den Kritikern noch eine Grundlage gegeben, um die anstehenden Abstimmungsergebnisse gar nicht erst anzuerkennen.

Es ist – kurz gesagt – offensichtlich, dass die am Freitag begonnenen Referenda ins Stadium einer technischen Umsetzung gelangt sind. Diese kann man selbst durch härteste Artillerieschläge wie beispielsweise am 22. September in Donezk doch nicht in keiner Weise aufhalten. Und in Vielem natürlich auch, weil dieses Stadium überhaupt ganz wenig mit einer Abstimmung realer Menschen zusammenhängt. Deren Prozedur sollen die Zuschauer der offiziellen Fernsehkanäle erst am 27. September in Form von Reportagen von vor Ort – sowohl vom ukrainischen als auch vom russischen Territorium – auf ihren Bildschirmen zu sehen bekommen. Es sei daran erinnert, dass, während man sich in der DVR und LVR nur darüber aussprechen wird, der Russischen Föderation beizutreten oder nicht, die Einwohner von Nord-Taurien beim Blick auf die Abstimmungszettel länger die gestellte Frage zu studieren: In der ist gleichzeitig von einem Ausscheiden aus der Ukraine, einer Umwandlung in einen separaten Staat und dann bereits von einem Beitritt zu Russland die Rede.

Übrigens, das kremlnahe Allrussischen Meinungsforschungszentrum VTsIOM hat bereits ungefähre vorgebende Zahlen veröffentlicht, das heißt natürlich Umfrageergebnisse. Aber auch nur für die Donbass-Republiken DVR und LVR. Teilnehmen würden angeblich bis zu 84 Prozent der stimmberechtigten Menschen, für Russland würden sich wohl etwa 95 Prozent aussprechen. Möglicherweise ist die Auswahl gerade dieser Regionen zu einer zufälligen geworden. Vielleicht besteht da aber auch irgendein Hintergedanke, eine Absicht. Der bzw. die beispielsweise mit dem Begreifen dessen zusammenhängt, dass die Zahlen in den Verwaltungsgebieten Cherson und Saporoschje keine so triumphierenden sein werden. Dabei sei angemerkt, dass am letzten Tag vor dem Referendum auch der Chef der prorussischen Militär- und Zivilverwaltung von Saporoschje mit Sitz in Melitopol, Jewgenij Balizkij, ein Rätsel aufgegeben hatte. Es sei daran erinnert, dass sich ein Teil dieses Verwaltungsgebietes um dessen Gebietshauptstadt unter der Kontrolle von Kiew befindet. Dort werde man, hatte Balizkij versprochen, das Referendum nach der Befreiung abhalten. Das heißt, dass jetzt die Abstimmung doch für das gesamte Gebiet Saporoschje erfolgen werde! Nunmehr waren jedoch von dem prorussischen Funktionär etwas andere Worte zu vernehmen: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind vier der fünf Verwaltungskreise des Gebietes Saporoschje befreit worden und befinden sich unter unserer Kontrolle. Sie werden am Referendum teilnehmen. Ich bin gewiss, dass die Russische Föderation uns in diesen Grenzen anerkennen wird“.

Dieser Nuance Aufmerksamkeit zu schenken, ist wichtig, da die Abstimmung an sich vom 23. bis 27. September eine technische Sache ist. Jedoch muss man auch jene Tatsache unbedingt hervorheben, dass Putin in seiner Ansprache nicht ein einziges Mal genau formuliert hatte, zu welcher Frage die Referenda abgehalten werden, sondern nur zugesagt, dass Russland die bei ihnen getroffenen Entscheidungen unterstützen werde. Jedoch weiter beginnt bereits der innerrussische Rechtsprozess, in dessen Rahmen man Entwürfe für die Verfassungsgesetze über den Beitritt bzw. die Aufnahme neuer Subjekte der Russischen Föderation vorbereiten und folglich sich auch hinsichtlich deren Grenzen festlegen muss. Beispielsweise hatte sich im Verlauf der Anerkennung der DVR und der LVR im Februar eine Fernpolemik zwischen einzelnen Vertretern der Herrschenden ergeben. Erfolge die Anerkennung in den realen Grenzen oder aber in den Grenzen der eigentlichen ukrainischen Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk. Und letztlich war entschieden worden: gerade in der letzten Variante.

Zur gleichen Zeit können sich – wie es scheint – mit den juristischen und technischen Fragen zur Realisierung der Ergebnisse der Referenda auch bestimmte geopolitische Erwägungen ergeben, aufgrund die sich der Beitrittsprozess in die Länge ziehen kann. Zum Beispiel wird man noch einmal stärker auf Kiew und den hinter ihm stehenden Westen Druck ausüben müssen, um sie zu einem für Russland vorteilhaften Waffenstillstand zu nötigen. Über die Unausweichlichkeit von letzterem und, was das Wichtigste ist, von dessen akuten Dringlichkeit für beide Seiten sprechen praktisch alle Analytiker. Sie verknüpfen sowohl die Referenda als auch die Teilmobilmachung sowie die neuen Friedensgesten in Gestalt eines Gefangenenaustauschs gerade mit dieser Perspektive.

Da sich gerade alle Ereignisse dieser Reihe zeitlich auf ein paar Tage konzentriert haben, sieht eine derartige Version bei einer ersten Betrachtung für Arbeitszwecke glaubhaft aus. Die Frage besteht jedoch wie immer darin, dass jede der Seiten einen würdigen Gesichtsausdruck für die Außenwelt bewahrt, aber gleichfalls ein überzeugendes Spektrum von Argumenten für eine Nutzung im Landesinnern hat. Übrigens, die Nachgiebigkeit des Kremls gegenüber eben jener Ukraine und dem Westen, die in Vielem eine übermäßige zu sein scheint, hängt allem nach zu urteilen damit zusammen, dass sich der Präsident der Russischen Föderation weniger als andere um die Interessen des Inlandspublikums sorgen muss.