In der vergangenen Woche haben in Moskau die sogenannten Weihnachtsbildungslesungen unter der Ägide der Russischen orthodoxen Kirche stattgefunden. Bei der Auftaktveranstaltung unterbreitete der Patriarch von Moskau und Ganz Russland Kirill den Vorschlag, im Land solch eine Ordnung bzw. Lebensart zu etablieren, bei der die Kirche nicht in ihren Rechten beeinträchtigt werde, selbst wenn die politische Elite keine so kirchlich gebundene wie derzeit ist. Bildungsminister Sergej Krawzow hat eine diesem Bedürfnis entsprechende Initiative auf dem Gebiet der Linguistik (Sprachwissenschaften) unterbreitet.
Patriarch Kirill hatte die XXX. Weihnachtslesungen in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale eröffnet, obgleich die Lesungen vom Wesen her zu Osterlesungen wurden, denn im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, deren Bedeutung im Januar die bald folgenden Ereignisse noch nicht in den Hintergrund gedrängt hatten, war die Veranstaltung auf den Mai verlegt worden. Dafür hatten die Teilnehmer des kirchlichen Bildungsforums mit Freuden auf das Tragen von Schutzmasken verzichtet und konnten ruhig atmen und sich aussprechen.
Außer der vorab vorbereiteten Eröffnungsrede erlaubte sich Patriarch Kirill einige freie Äußerungen, in denen er zu politischen Themen improvisierte. Er entwickelte den Gedanken seines offiziellen Auftritts weiter, der dem 350. Geburtstag von Peter dem Großen und dessen Kirchenreformen gewidmet war. Der Patriarch kritisierte die Säkularisierung von Zar Peter I., die erlaubt hatte, sich mit „Polizeimethoden“ in die Kirchenangelegenheiten einzumischen. Nach Meinung des Oberhauptes der Russischen orthodoxen Kirche hätten diese Reformen die Sinfonie von Kirche und Staat byzantinischen Typs zerstört.
„Die Kirche ist dazu berufen, um ihre Rechte zu kämpfen, darum, dass sie die Möglichkeit hat, sich an jeden Menschen zu wenden. Sie ist dazu berufen, um die Rechte des Menschen …, um das Recht eines jeden Menschen unabhängig davon, was für eine Stellung er in der Gesellschaft einnehmen mag, ein Gläubiger zu sein, eine Kirche zu besuchen, zu beten“, sagte der Patriarch, wobei er sich nicht an den vorab vorbereiteten Text hielt. Und es erklang Überraschendes: „Gepriesen sei Gott dafür, dass wir heute einen christlich-orthodoxen Präsident haben (obgleich Wladimir Putin bereits nachgewiesen hat, dass er nicht ganz bibelfest ist und gern die Heilige Schrift entsprechend den eigenen Bedürfnissen zitiert – Anmerkung der Redaktion) und sich ein großer Teil derjenigen, die an der Macht sind, mit der orthodoxen Kirche in Verbindung bringt. Aber heute ist schließlich – wie es heißt – das eine, morgen aber kann es etwas Anderes geben“. „Der Staatsaufbau Russlands darf in keiner Weise eine Loslösung der Kirche vom Menschen stimulieren, das heißt die Festlegung eines gewissen Ghettos für das Wirken der Kirche“, warnte der Patriarch mit Blick auf die Zukunft.
„Gebe Gott, dass die Kirche unter den Bedingungen unseres Staates uneingeschränkte Möglichkeiten hat, um ihren Dienst zum Wohle eines jeden Menschen, der Mitglied der Kirche ist, und selbst jenen, der kein Mitglied der Kirche ist, und zum Wohle unseres Vaterlandes wahrzunehmen. Gebe Gott, dass solch ein Säkularismus im heutigen Leben unseres Vaterlandes präsent ist“, fügte das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche hinzu.
Er lobte die russische Elite für die Treue zur Orthodoxie. Und die Staatsbeamten haben ihn nicht im Stich gelassen. Bildungsminister Sergej Krawzow, der auch bei den Weihnachtslesungen auftrat, unterbreitete den Vorschlag, die Schreibweise des Wortes „Gott“ im Russischen mit einem Großbuchstaben festzulegen. „Es sei daran erinnert, dass die Regeln für die russische Orthografie und Zeichensetzung 1956 angenommen wurden und in keiner Weise die Regeln für das Schreiben der Wörter, die zum religiösen Bereich gehören, reglementierten. Der neue Entwurf für die russischen Orthografie-Regeln schlägt Folgendes vor: Das Wort „Gott“ soll mit einem Großbuchstaben geschrieben werden, genauso wie auch die Namen der Apostel, Propheten und Heiligen mit einem Großbuchstaben“, sagte Krawzow.
Die Initiative des Ministeriums löste einige Zweifel unter den kirchlichen Bildungs- und Aufklärungskämpfern aus. „Die Initiative ist eine interessante, verlangt aber eine Präzisierung des Kontextes für das Schreiben. Zeus ist doch ein griechischer Gott, wobei da das Wort „Gott“ im Russischen mit einem kleinen Buchstaben geschrieben wird, nicht wahr?“, fragte sich in seinem Telegram-Kanal der stellvertretende Leiter der Verwaltung für die Angelegenheiten der Moskauer Patriarchie Bischof Sawwa (Tutunow). Nachrichtenagenturen präzisierten allerdings später die Vorschläge des Bildungsministeriums. „Empfohlen wird, mit einem Großbuchstaben (im Russischen – Anmerkung der Redaktion) die Namen der drei Gestalten Gottes und der höchsten Wesen, die in den monotheistischen Religionen den Gegenstand der religiösen Verehrung ausmachen, zu schreiben: Gott, Herr, Schöpfer, Allmächtiger, Erlöser, Heiliger Geist, Heilige Dreifaltigkeit, Gottesmutter, Jehova, Allah usw., aber auch solche Worte wie Himmel, Kirche, Providenz, Vorsehung, Absicht, wenn sie im geistlichen Sinne verwendet werden. Eigennamen heidnischer Gottheiten werden auch mit einem Großbuchstaben geschrieben: Mars, Juno, Perun“, schlagen die Beamten vor. „Keinen Großbuchstaben erfordern die Bezeichnungen anderer Arten unterschiedlicher körperloser Wesen (Erzengel, Engel, Cherubim, Seraphim) inklusive heidnischer Bezeichnungen (Nymphe, Dryade, Najade, Muse, Parze, Walküre, Nixe)“. Aber dann erweisen sich die Neuerungen überhaupt nicht als Neuerungen, sondern lediglich als eine Verankerung einer sich schon längst durchgesetzten und – im Großen und Ganzen — in den modernen Wörterbüchern fixierte Redepraxis der postsowjetischen Jahrzehnte