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Die Säuberungen im russischen Verteidigungsministerium haben hinsichtlich der Folgen die Industrie getroffen


Das Problem der überfälligen Zahlungen und Nichtzahlungen nimmt in der Industrie aufgrund der anormal teuren Kredite in der Russischen Föderation vor dem Hintergrund neuer Umstände zu. Die Säuberungen im russischen Verteidigungsministerium im Rahmen einer massiven und demonstrativen Korruptionsbekämpfung haben eine Pause bei der Finanzierung von Produktionsprogrammen ausgelöst. Und die Normen der Zentralbank untersagen die Gewährung neuer Kredite für die Industrie auf der Basis künftiger Zahlungen seitens der Rüstungsbetriebe (als Kaution). Über eine Verschlechterung der Situation in der Industrie sprechen heute nicht nur Analytiker, sondern auch die mutigsten Unternehmensdirektoren. Die Zunahme der Unbestimmtheit hinsichtlich der Finanzierung hat dazu geführt, dass viele Betriebe keine Pläne für die Fertigung selbst für das IV. Quartal des laufenden Jahres erstellen können.

Die superteuren Kredite verringern die Möglichkeiten für gegenseitige Zahlungen zwischen den russischen Industriebetrieben. Und die zunehmenden ausstehenden bzw. überfälligen Zahlungen und die Verzögerungen im Zahlungsverkehr führen unweigerlich zu einer Verringerung der Produktion in den unterschiedlichsten Sektoren der russischen Wirtschaft, haben Anfang August Experten des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristiges Prognostizieren gewarnt. Um die zunehmende Welle von Nichtzahlungen auszubremsen, muss die Regierung Kanäle für eine vergünstigte Kreditvergabe an Industrieunternehmen organisieren, raten unabhängige Wirtschaftsexperten den Offiziellen. Zu einem besorgniserregenden Symptom wird die rasche Zunahme der Kreditschulden vor dem Hintergrund der langsameren Zunahme der Erlöse der Unternehmen.

Dabei kann nicht gesagt werden, dass sich die Regierung der Russischen Föderation überhaupt nicht um die Bewahrung der Zahlungsfähigkeit der Unternehmen sorgt – zumindest auf der Ebene der offiziellen Rhetorik. Am vergangenen Dienstag teilte man im Pressedienst der Regierung mit, dass das Ministerkabinett die systematische Unterstützung für die Industrie fortsetze. Unterschrieben sei bereits ein entsprechender Beschluss über die Erweiterung des Verzeichnisses der Erzeugnisse, deren Hersteller Steuerpräferenzen genießen. So erhalten diese die Hersteller, deren Produktionszyklus länger als sechs Monate ist. Jetzt können die Hersteller der Erzeugnisse, die in einem besonderen Verzeichnis ausgewiesen worden sind, die Mehrwertsteuer am Tag der Auslieferung der Ware und nicht am Tag ihrer Bezahlung überwiesen – d. h. mit einem zeitlichen Aufschub. In der Regierung weist man darauf hin, dass diese Entscheidung auf eine Unterstützung für die Hersteller von Erzeugnissen des Schwermaschinenbaus abziele.

Unter den Herstellern an sich nehmen jedoch in den letzten Monaten die Besorgnis und Ungewissheit hinsichtlich des morgigen Tages zu. So belegen Befragungen von Industrieunternehmen eine spürbare Verringerung ihres Optimismus. Im August dieses Jahres demonstrierte der Index für den Optimismus der Industrieunternehmen in der Russischen Föderation den deutlichsten Rückgang. Berechnet wird dieser Index durch den Wirtschaftsexperten Sergej Tsuchlo (war früher Leiter des Labors für Konjunktur-Umfragen des Jegor-Gaidar-Instituts für Wirtschaftspolitik) auf der Grundlage von Befragungen von Unternehmen. Der Fachmann lenkt das Augenmerk auf die Verringerung der Nachfrage bis auf den Stand des 20-Monate-Minimums. Die Unternehmen selbst sind gleichfalls unzufrieden über die aktuellen Umfänge des Absatzes. Der Anteil der Antworten der Unternehmer, wonach die Verkaufsumfänge heute „unterhalb der Norm“ liegen würden, legte im August um sechs Punkte zu und erreichte das 19-Monate-Maximum, berichtete Tsuchlo.

Das Gleichgewicht der Schätzungen für die Reserven an Fertigerzeugnissen im August hat um sieben Punkte zugenommen, was ein Maximum für diesen Umfrage-Parameter für die letzten 52 Monate ist. „Solch einen Überschuss an Vorräten hat es in der russischen Industrie seit den Zeiten der Covid-Krise des Jahres 2000 nicht gegeben“, unterstreicht der Experte. Und er fügt hinzu: „Das frühere Erreichen eines Plus des Gleichgewichts der Schätzungen für die Vorräte an Fertigerzeugnissen waren keine so bedeutenden, und unter Berücksichtigung der Wirtschaftssituation der vorangegangenen vier Jahre wurden sie als ein positives Signal bewertet. Die aktuelle August-Zunahme weist unter Berücksichtigung des gesamten Spektrums der Umfrage-Parameter eher eine negative Nuance auf“.

Die Pläne für die Herstellung in der Industrie werden ebenfalls zurückgeschraubt. Die Bilanz der Produktionspläne hat sich auch im August verringert und lag bei einem Minimum für die letzten 20 Monate. Das heißt, die Unternehmen bewerten ihre Produktionspläne negativ, erklärte Sergej Tsuchlo.

Davon sprechen auch selbst die Industriellen. Unter anderem erklärte Wladimir Boglajew, Generaldirektor des Tscherepowezer Gießerei- und mechanischen Werkes, dass viele Industrieunternehmen vor dem Hintergrund der Zunahme der Unbestimmtheit hinsichtlich der Finanzierung keine klaren Pläne für die Herstellung ihrer Erzeugnisse selbst für das IV. Quartal dieses Jahres hätten.

Laut seinen Worten bestehe die größte Schwierigkeit im zunehmenden Problem der ausstehenden Zahlungen. Dabei ist es für die Industrieunternehmen an sich oft schwierig, eine erforderliche Finanzierung zu erhalten.

„Wenn zum Beispiel ein Betrieb Schulden als ein Gläubiger hat (d. h., wenn ein Auftraggeber dem Betrieb noch nicht die bestellten Erzeugnisse bezahlte – „NG), so können diese zu keiner Kaution für einen Kredit werden. Die Bank ist in solch einem Fall nicht bereit, die Schulden des Gläubigers als eine Kaution zu akzeptieren“, erzählt Boglajew. Kann ein Unternehmen keinen Kredit aufnehmen und nehmen die Schulden für dieses als ein Gläubiger zu, hindert dies letztlich das Business, das Produktionstempo zu bewahren. „Die Ernennung von Andrej Beloussow ins Amt des Verteidigungsministers führt dazu, wie mir schien, dass er sich hinsichtlich dieser Situation Klarheit verschaffen kann. Vorerst aber ist die Situation ungelöst“, erläutert der Industrielle. Mehr noch, aufgrund der Ablösungen bisheriger Führungskräfte des Ministeriums sind die Zahlungen in Bezug einiger Programme und für einige Rüstungsbetriebe ausgesetzt worden. Die Zunahme der Barrieren und Hindernisse in der Produktion könne man entweder mit der Losgelöstheit von der Realität oder mit böswilligen Handlungen erklären, meint Boglajew.

(Freilich muss auch angenommen werden, dass die unter dem neuen russischen Verteidigungsminister erfolgenden Festnahmen hochrangiger Militärs aufgrund von Korruptionsvorwürfen dazu geführt haben, dass Aufträge für die russischen Rüstungsbetriebe sorgfältiger geprüft werden, was mehr Zeit erfordert. Schließlich sind die Zeiten schon längst vorbei, dass das Ministerium riesige Geldsummen unbesehen ausgeben konnte. Immerhin wird derzeit schon jeder dritte Rubel der Staatsausgaben für den Ukraine-Konflikt und die damit verbundene Sozial- und Rüstungsausgaben ausgegeben, während in anderen Wirtschaftssektoren gespart werden muss. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Staatseinnahmen nicht mehr so üppig fließen. – Anmerkung der Redaktion)

Das Problem der ausstehenden Zahlungen bestehe, „und wir bewerten es als ein kompliziertes“, pflichtet der Leiter der analytischen Abteilung der Investitionsfirma „Ricom-Trust“, Oleg Abeljew, bei. „Dabei steht das Problem der Nichtzahlungen ungleichmäßig hinsichtlich der Industriesektoren. Oft hängt die Situation davon ab, ob staatliche Subventionen genutzt werden, die einen Teil der Zinsen kompensieren oder nicht. Es gibt Branchen, die mit Rüstungsaufträgen und dem strategischen Maschinenbau sind, mit der sogenannten Fertigung von vergegenständlichten Objekten der Informationsverarbeitung in der IT-Industrie, mit der Mikroelektronik, für die es Maßnahmen zur staatlichen Unterstützung gibt. Und dort gibt es kein Problem der Nichtzahlungen“, meint er.

Die Situation mit der Nichtvornahme von Zahlungen in Bezug auf Anleihen in der Industrie löse Besorgnis aus, sagte Wladimir Tschernow, Analytiker der Investitionsfirma „Freedom Finance Global“. „Laut offiziellen Angaben der Zentralbank hat die Dynamik der Zahl der Rechtspersonen und Einzelunternehmer, die mit Stand vom 1. Juli dieses Jahres überfällige Schulden haben, im Verlauf von zwölf Monaten von 13,4 Prozent bis auf 16,2 Prozent zugenommen. Die überfälligen Schulden in Bezug auf die Kredite, die Rechtspersonen und Einzelunternehmern in den Verarbeitungsbetrieben gewährt wurden, haben im Verlauf des Jahres bis zum 1. Juli dieses Jahres um 16,5 Prozent zugenommen. Und die Kreditschulden der Klein- und mittelständischen Unternehmen haben mit Stand vom 1. Juli um 25,8 Prozent auf das Jahr hochgerechnet zugenommen und machten14,3 Billionen Rubel aus“, teilte der Experte mit.

Nach seiner Meinung könne man sagen, dass das Problem der Zahlungen tatsächlich zunehme. „Die Dynamik der Zunahme der überfälligen Schulden in den verarbeitenden Betrieben im Umfang von 16,5 Prozent auf das Jahr hochgerechnet entspricht praktisch der Dynamik der Gewährung neuer Anleihen für diesen Sektor für den gleichen Zeitraum (17,45 Prozent). Sie muss aber erheblich geringer sein“, meint Tschernow.

Wie aus Angaben der Zentralbank zu ersehen ist, übersteig mit Stand vom 1. Juli dieses Jahres der Verschuldung von Rechtspersonen und Einzelunternehmern 70 Billionen Rubel, womit sie um 24 Prozent im Vergleich zum gleichen Stichtag des Vorjahres zugenommen hat. Dabei ist der Umfang der gewährten neuen Kredite für Rechtspersonen und Einzelunternehmer im Vergleich zum vorangegangenen Monat um 5,4 Prozent zurückgegangen und machte sieben Billionen Rubel aus. 2Im ersten Halbjahr kam es zu einer Verlangsamung des Tempos der Kreditvergabe an Unternehmen in solchen Schlüsselbranchen wie der Chemie und Metallurgie, was teilweise mit der Verschärfung der Geld- und Kreditpolitik zusammenhängt. Die höheren Zinssätze für Kredite und Deposite sowie die Verschärfung der Bedingungen für eine Kreditgewährung veranlassten viele Unternehmen, die Kosten zu reduzieren und ihre Finanzstrategien einer Revision zu unterziehen“, sagte Jaroslaw Kabakow, Strategiedirektor des Investitionsunternehmens „Finam“.

„Als ein Beispiel kann die Situation im „Sewerstal“-Konzern dienen, der gezwungen war, die Produktionsumfänge aufgrund der Probleme mit dem Umlaufkapital und der Zunahme der Zeiträume für die Zahlungen von den Vertragspartnern zu drosseln. Auch wurde der Chemiebetrieb „Uralchim“ mit einer Zunahme überfälliger Zahlungen konfrontiert, was den Einkauf von Rohstoffmaterialien und die Aufrechterhaltung der Produktionsprozesse erschwert. Klein- und mittelständische Unternehmen, solche wie Textilhersteller und Kleinunternehmen für die Instandsetzung von Maschinen, werden ebenfalls mit Schwierigkeiten beim Erhalt einer kurzfristigen Finanzierung konfrontiert“, betont der Analytiker.

Über die zunehmende Krise der ausstehenden Zahlungen in der Industrie berichteten auch Wirtschaftsfachleute aus dem Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung. „Unter den Bedingungen der Einschränkung des Zugangs zu einem Kredit, ausgelöst durch die drakonische Höhe der Zinssätze, ist das erste Risiko, mit dem der Produktionsbereich konfrontiert werden kann, das Risiko eines Mangels an Liquidität und der Zunahme der ausstehenden Zahlungen“, warnte man in dem Forschungszentrum.

„Wenn man nicht die Zunahme der ausstehenden Zahlungen hinsichtlich der Produktionsketten kupiert, können Probleme aufgrund des Mangels an Umlaufkapital auftreten und als Folge ein Rückgang der Fertigung“, erklärten Oleg Solnzew, Sektorenleiter im Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung, und seine Kollegen.

Die zunehmenden ausstehenden Zahlungen in der Industrie und die offenkundige Verlangsamung der Produktion belegen, dass die Umfänge einer vergünstigten Kreditvergabe unzureichend sind. Oder die vergünstigten Kredite erhalten nicht jene, die sie am meisten benötigen. Die Verlangsamung der Vergabe von Krediten an Unternehmen sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen hängt mit der wesentlichen Verschärfung der Geld- und Kreditpolitik der Bank Russlands zusammen, wird in einem entsprechenden Report des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristiger Prognostizierung betont. Zusätzlich nehmen in Russland die Risiken für eine Zunahme der ausstehenden Zahlungen für Kredite seitens der mit Krediten belasteten Kreditnehmer zu (vor allem auf dem Gebiet der Verbraucher-Kredite), deren Zahlungsfähigkeit von der Möglichkeit einer Gewinnung neuer Kredite für die Tilgung sich früher angehäufter Schulden und der Begleichung anderer notwendiger Ausgaben abhängt. Das gegenwärtige Niveau der Zinssätze bezeichnen Wirtschaftsfachleute ebenfalls als exorbitant.

Ende Juli gestand man im russischen Industrie- und Handelsministerium ein, dass solche makroökonomischen Faktoren wie die Kosten der Leihmittel und die Schwierigkeiten bei der Abwicklung internationaler Zahlungen Druck auf die Dynamik der verarbeitenden Industrie ausüben würden. Der russische Kabinettschef Michail Mischustin hatte zuvor zugesagt, die Arbeit der Regierung zur Verbesserung der Zugänglichkeit zu Kreditmitteln für die vorrangigen Branchen unter den Bedingungen einer Verschärfung der Geld- und Kreditpolitik fortzusetzen. Er hatte damals daran erinnert, dass in Russland bereits eine Reihe von Mechanismen wirken würden, die erlauben würden, Kredite zu reduzierten Zinssätzen bei einer Subventionierung des Staates zu gewinnen.

„Für die Modernisierung und das Anfahren neuer hochtechnologischer Unternehmen sind gegenwärtig zweckgebundene Kredite mit geringen Zinssätzen – drei bis fünf Prozent im Jahr – zugänglich, die der Fonds für die Entwicklung der Industrie bereitstellt. Und rund ein Drittel des Kredit-Portfolios machen Projekte des Kleinunternehmertums und des Mittelstands aus“, sagte Mischustin, wobei er hinzufügte, dass bis zum Jahr 2030 der Fonds um 300 Milliarden Rubel finanziell aufgestockt werde, was „die Gesamthöhe seiner Limits um fast das 2fache erhöhen wird“.

Begünstigte Kredite werden im Rahmen des im vergangenen Jahr angeschobenen Mechanismus für eine Cluster-Investitionsplattform bereitgestellt. „Dies sind anders gesagt langfristige Anleihen, Kreditmittel mit geringen Prozentsätzen für die Realisierung großer Vorhaben. Gebilligt wurden bereits vier Dutzend Anträge. Und für die Hälfte von ihnen ist eine Finanzierung durch Banken aufgenommen worden. Ihr Umfang beträgt mehr als 800 Milliarden Rubel. Bis zum Ende des Jahrzehnts stellen wir für eine Subventionierung der Zinssätze gemäß dem Programm mindestens weitere 200 Milliarden Rubel bereit. Dies wird natürlich helfen, einen Zufluss von mindestens zehn Billionen Rubel privater Investitionen für die Industrie gewährleisten“, verkündete der Premierminister.