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Die Sonderoperation hat nun auch Russlands Medien erfasst


Am Donnerstagvormittag erfolgte eine Sitzung des Direktorenrates von „Gazprom-Media“, auf der eine schwerwiegende Entscheidung zum hauptstädtischen Hörfunksender „Echo Moskaus“ getroffen, der bereits um 19.00 Uhr MEZ des 1. März sowohl im Internet als auch im aktuellen Sendebetrieb auf russischem Territorium blockiert wurde (während der Sender im Ausland nach wie vor im Internet erreichbar ist). In Abwesenheit von Chefredakteur Alexej Wenediktow wurde in nur ganzen 15 Minuten entschieden: Der Sender und die Internetseite von „Echo Moskaus“ werden liquidiert. Zusammen mit einer Reihe anderer russischer Medien, beispielsweise der TV-Sender „Rain“ (der in der Russischen Föderation als ein „ausländischer Agent“ eingestuft wurde) und die „Novaya Gazeta“, wird dieser Hörfunksender einer feindseligen Berichterstattung der militärischen Sonderoperation auf dem Territorium der Ukraine, die inzwischen den achten Tag andauert, bezichtigt.

Die große Media-Holding des Konzerns „Gazprom“ hatte nicht viel Zeit für die Entscheidung über das Schicksal des seit dem 22. August 1990 arbeitenden Senders aufgewandt, dessen Redaktionspolitik sich nicht in die Gesetze der Kriegszeit eingefügt hat. Und es geht nicht so sehr um die Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation als vielmehr um die informationsseitige Auseinandersetzung Russlands mit der äußeren Welt, deren ukrainische Komponente doch gar nicht so groß, obgleich die heißeste ist. Der Direktorenrat erwies sich als ein den Offiziellen loyales Team und beschloss die Liquidierung, wobei die Minderheitseigner von „Echo Moskaus“ ihr Eigentum verlieren sollen. Und die haben immerhin 34 Prozent aller Aktien gehalten und damit ein blockierendes Paket gebildet.

Wenn es „Echo Moskaus“ möglicherweise gelingt, in irgendeiner Art und Weise den Sendebetrieb fortzusetzen (für das Ausland oder in Russland dank VPN-Technologien), so ist dies – sagen wir einmal – TV „Rain“ augenscheinlich nicht beschieden. Der Chefredakteur des Senders Tichon Dsjadko bestätigte bereits, dass er gezwungen sei, ins Ausland zu gehen. Er verspricht, dass man keinen Sendebetrieb aus dem Ausland organisieren werde. „Wir werden alle gegen „Rain“ getroffenen Entscheidungen anfechten und weiterhin arbeiten, teilweise – nicht im Präsenzformat. „Rain“ ist ein gesetzeshöriges Massenmedium, durch unsere Journalisten wurden nicht einmal die drakonischsten Gesetze der Russischen Föderation verletzt. Und deshalb gibt es keine Grundlagen für eine Blockierung“.

Widerspenstigkeit hat auch die „Novaya Gazeta“ demonstriert, die mit der neuen, der Mittwoch-Ausgabe zeigte, dass sie ihre Wertungen nicht geändert hat. Im Verlauf des 2. März tauchten Meldungen auch über andere Medien auf, die durch Vertreter der Rechtsschutzorgane blockiert oder in deren Blickfeld geraten sind. Die Probleme mit der Organisierung des Media-Kampfes gegen den Westen und die ukrainischen Bots haben die Herrschenden der Russischen Föderation zur üblichen Reaktion veranlasst, „gegen Woronesch einen Schlag zu führen“ (Anspielung auf einen russischen politischen Witz von 2013, der im Zusammenhang mit dem sogenannten Dima-Jakowlew-Gesetz gegen die Möglichkeit einer Adoption russischer Waisen durch Amerikaner die Runde machte – Anmerkung der Redaktion). Bisher ist aber unklar, ob sie sich auf punktuelle Attacken beschränken werden oder ob dies eine großangelegte Offensive gegen die Medien werden wird.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erinnerte die „NG“ daran, dass, wenn „Echo Moskaus“, „Rain“ oder die „Novaya Gazeta“ alle Regeln eingehalten hätten, so hätte man sie eventuell gar nicht angerührt. Doch „dann hätten sie das Interesse ihres Publikums eingebüßt“. Es gebe zwei Erklärungen: Entweder beginnen die Offiziellen, im informationsseitigen Kampf zu unterliegen, oder diese Ressourcen sind schon keine Nischenmedien mehr wie bisher. Nach Meinung von Kalatschjow seien dies vorerst punktuelle Schläge, doch die Prognose sei eine traurige. „Man schlägt uns vor, entsprechend den Gesetzen der Kriegszeit zu leben, in der es die eigenen und die fremden gibt. Und es wird keinerlei Nachsicht vorgesehen. Jetzt werden sicherlich schon schwarze Listen unzureichend patriotischer Massenmedien, Blogger und jeglicher Medien in den sozialen Netzwerken erstellt“, meint der Experte. Und weiter werde alles, wie Kalatschjow annimmt, von den Ergebnissen der Verhandlungen Russlands mit den Westen, dem Verlauf der Sonderoperation und der Situation im Land abhängen. Wahrscheinlich ist aber „eine Ausdehnung der Suche nach einer „5. Kolonne“ unausweichlich“.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Das russische Unterhaus – die Staatsduma – will auch seinen Beitrag im Kampf gegen unpatriotische Kräfte und zur Unterstützung der militärischen Sonderoperation leisten. Am Freitag wird sie zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um im Eilverfahren – in 2. und 3. Lesung – Gesetzesänderungen zu verabschieden, die eine Verschärfung der Strafen für die Verbreitung von Fake-News und für eine Diskreditierung der russischen Streitkräfte vorsehen. Bis zu drei Jahren Freiheitsentzug soll es für die Vorbereitung und Verbreitung von Fakenews über militärische Handlungen der russischen Armee geben. Bis zu 15 Jahren – bei vorsätzlicher Verbreitung von Fake- bzw. falscher Nachrichten und wenn solche Informationen zu gesellschaftlich gefährlichen Konsequenzen führen. Geldstrafen, Zwangsarbeit und Haftstrafen werden für eine Diskreditierung der russischen Armee durchgewunken, zumal in der Staatsduma die Kremlpartei „Einiges Russland“ die Verfassungsmehrheit besitzt. Und die anderen parlamentarischen Parteien werden sich wohl kaum offen gegen den Mainstream stellen.