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Die Sonderoperation und Russlands Zukunft werden Oppositionelle in Vilnius diskutieren


Russlands oppositionelle Emigranten versuchen, sich aktiv mit Politik fern der Heimat zu befassen. Eröffnet wurde die Registrierung für eine neue große politische Veranstaltung – den Kongress für ein freies Russland. Er wird vom 31. August bis 2. September in Vilnius stattfinden. Einer der Organisatoren ist die nichtregistrierte Bewegung „Forum für ein freies Russland“. Die Organisatoren sagen, dass die Veranstaltung dem Westen zeigen solle, dass es in der russischen Gesellschaft eine alternative hinsichtlich der Politik der Herrschenden der Russischen Föderation gibt. Die Veranstaltung hat eine praktische Aufgabe, den Emigranten bei der Adaptierung zu helfen. Aber auch eine symbolische – Russlands Zukunft zu diskutieren.

Die Organisatoren versprechen, dass der Kongress für ein freies Russland an einem Ort die Bürger Russlands zusammenführe, die offen gegen die Sonderoperation in der Ukraine auftreten, aber auch Politiker aus europäischen Ländern und Vertreter internationaler Strukturen. Der Co-Gründer des „Forums für ein freies Russland“, Iwan Tjutrin, erläuterte der „NG“, dass dies eine Veranstaltung nicht nur des „Forums“, sondern die einer Koalition oppositioneller Kräfte sei. Die Co-Organisatoren sind das „Forum für ein freies Russland“ und das „Russische Aktionskomitee“, eine Bewegung emigrierter Oppositioneller, die „gegen das politische Regime in Russland und für eine Vereinigung aller pazifistischen und gegen die Diktatur gerichteten Kräfte“ eintreten. Vom „Forum“ gehören zu den Organisatoren Tjutrin, der Politiker und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow (der in der Russischen Föderation als ein ausländischer Agent eingestuft wurde) und eine Reihe in der Opposition bekannter Persönlichkeiten. Am Forum werden der Geschäftsmann Michail Chodorkowskij (in Russland als ausländischer Agent eingestuft), der Ex-Abgeordnete der Staatsduma der Russischen Föderation, Dmitrij Gudkow, und andere teilnehmen. „Das „Forum für ein freies Russland“ hat seine Projekte, doch der Kongress, dies ist eine Erweiterung durch die Schaffung einer breiten Koalition der russischen Opposition aus entgegengesetzten Lagern“, erläuterte Tjutrin. Zum Kongress erwartet man pazifistische Aktivisten und ganze Bewegungen aus vielen Ländern Europas, russische und westliche Experten und Politiker. Erklärt wurde, dass die Aufgabe des Kongresses sei, die Anstrengungen „des aktivsten Teils der russischen Gesellschaft“ und „der freien westlichen Welt“ zur Unterstützung der Ukraine zu vereinen.

Dies werde das repräsentativste Treffen der russischen Opposition der letzten 20 Jahre sein, ist sich Tjutrin sicher. Unter den internationalen Gästen der Veranstaltung sind Lettlands Verteidigungsminister Artis Pabriks, Estlands Ex-Präsident Toomas Hendrik Ilves, der Berater des Leiters des ukrainischen Präsidenten-Office, Alexej Arestowitsch, der Gründer von Hermitage Capital Management, Bill Browder, der einstige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, aber auch Vertreter der Regierungen Litauens und Polens sowie eine Reihe Abgeordnete des Europaparlaments.

Nach Aussagen von Tjutrin würden noch die Tagesordnung und das genaue Programm gestaltet werden, aber grob gesagt sehe das Programm so aus: Es wird mehrere Sektionen geben, das heißt, neben Podiumsdiskussionen mit Expertenauftritten wird es Rundtischdiskussionen und Trainings für Teilnehmer und Aktivisten geben. Das Hauptthema ist die militärische Sonderoperation der Russischen Föderation in der Ukraine. Es gibt sogar das Thema „Der Schlüsselfaktor der globalen Neugestaltung“, zu dem Alexej Arestowitsch auftreten wird. Bei der Podiumsdiskussion mit dem expressiven Titel „Der Zusammenbruch des Kreml-Expansionismus“ wird man die Konsequenzen der Sonderoperation für die Russische Föderation diskutieren. Dort werden internationale Experten auftreten. Es wird eine Podiumsdiskussion geben, bei der man erörtern wird, ob die russische Gesellschaft die Verantwortung für das Geschehen in der Ukraine trage. Es ist aber auch eine Podiumsdiskussion zu den Sanktionen geplant, bei der Bill Browder, Michael McFaul und der Vertreter des US-amerikanischen Gerichtskorps Markus Wolf. Die Podiumsdiskussion zu Wirtschaftsfragen ist für russische Experten gebucht worden. Dort erwartet man die Wirtschaftsexperten Sergej Alexaschenko, Sergej Gurijew, Wladislaw Inosemzew u. a.

Es wird gleichfalls mehrere Rundtischdiskussionen. Bei der bedeutendsten, die dem „Zukunftsbild“ der Russischen Föderation gewidmet sein wird, werden die Juristin Jelena Lukjanowa, der Wirtschaftskommentator Boris Grosowskij und der Journalist Alexander Morosow auftreten. Dies wird eine Diskussion im Format von Vorträgen und Meinungsäußerungen werden.

Nach Aussagen von Tjutrin sei die Präsentation der Tätigkeit russischer pazifistischer Gruppen aus verschiedenen Ländern Europas geplant, beispielsweise aus Estland, Tschechien usw. Die Organisatoren haben gleichfalls Trainings für Aktivisten vorbereitet, um ihnen in der praktischen Arbeit zu helfen.

Die Interessenten, die an dem Kongress teilnehmen wollen, sollen eine pazifistische Deklaration unterschreiben und dies von allen fordern. Freilich, für bekannte Persönlichkeiten können die Organisatoren eine Ausnahme machen. „Es gibt sehr überraschende Unterzeichner, die den Wunsch bekundeten, zum Kongress für ein freies Russland zu kommen. Zum Beispiel Menschen, die sich auf Sanktionslisten befinden, selbst in unserer „Putn-Liste““, berichtete Iwan Tjutrin. „Dies hat uns überrascht. Es gibt unter den Teilnehmern auch Neulinge. Die machen gar 80 Prozent aus. IT-Spezialisten, Geschäftsleute usw. Es werden hauptsächlich Emigranten kommen. Aber der eine oder andere aus Russland hofft auch, durchzukommen, ungeachtet der Schwierigkeiten mit den Visa. Zum Beispiel der Politiker Leonid Gosman (der in der Russischen Föderation als ein ausländischer Agent eingestuft worden ist – „NG“)“.

Tjutrin erläuterte, dass innerhalb weniger Tage der offenen Anmeldung ein Ansturm zu beobachten sei. Teilnahmeanträge hätten rund 500 Personen geschickt, obwohl die Organisatoren anfangs geplant hätten, rund 450 Teilnehmer und 50 Redner zu registrieren, denn es sei technologisch schwer, sowohl die Anträge zu bearbeiten und eine Verifizierung vorzunehmen und einfach so viele Teilnehmer zu empfangen. „Für uns ist es wichtig, dass nicht nur bekannte Experten und Politiker da sein werden, sondern sich auch eine ernste Plattform für russische Aktivisten in Europa etabliert“, unterstrich er.

Zu den Ergebnissen des Kongresses für ein freies Russland wird es Abschlussdokumente und Materialien geben, die eine Grundlage für eine analytische Tätigkeit oder Empfehlungen, die an europäische Institutionen gesandt werden, bilden können. „Es steht eine recht ernsthafte Frage in Europa: Was soll man im Grunde genommen mit den Bürgern Russlands tun, die ausgereist sind und gegen das Regime auftreten?“, unterstrich Tjutrin. Nach seinen Worten werde nach dem berühmten Interview des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij, in dem er den Westen aufgerufen hatte, den Bürgern Russlands die Einreise zu untersagen, die Zukunft der Emigranten diskutiert werden. Derzeit machen die Bürger Russlands im Ausland bereits hunderttausende aus. Und für sie ergeben sich oft Schwierigkeiten beim Mieten von Wohnraum, mit der Arbeit und mit Banken allein aufgrund der russischen Staatsbürgerschaft. „Möglicherweise wird es zu den Ergebnissen des Forums einen Appell an europäische politische Institute in Form unterschiedlicher Dokumente und Resolutionen geben, die den Emigranten helfen können“, betonte Tjutrin. Nach seinen Worten gebe es auch ein „ernsthaftes Bedürfnis für eine Vereinigung der russischen Opposition. Denn jene Zeiten, als sich die Aktivisten nach Nawalny-Vertreter, Jabloko-Anhänger, Anhänger von PARNAS und andere aufgeteilt hatten, sind vorbei. Heutzutage gibt es Pazifisten und Nichtpazifisten“.

„Das aktive gesellschaftliche Leben der Emigranten im Ausland soll ihnen selbst und nach außen hin demonstrieren, dass sie ein Teil des russischen politischen Prozesses bleiben“, meint Alexej Kurtow, Vizepräsident der Russischen Vereinigung politischer Konsultanten. „Diasporen zu bilden und sich im Ausland vereinen, um das Leben einzurichten, ihre Traditionen zu wahren – dies ist eine Eigenschaft aller Völker. Aber bei weitem nicht alle Emigranten befassen sich mit politischen Anstrengungen, etablieren eine Schattenregierung, erstellen Resolutionen und Dokumente und befassen sich mit einer Unterteilung nach „reinen“ und „unreinen“. Für viele Emigranten ist die politische Tätigkeit eine berufliche. Und für einige auch ganz und gar eine Sache des Lebens“. Nach Meinung des Experten würden die nicht zum System gehörenden Oppositionellen versuchen, die in der Russischen Föderation erlangten Erfahrungen anderen Emigranten und Euro-Politikern zu übergeben. „Es ist natürlich, dass die Organisatoren von einem praktischen Charakter der Veranstaltung sprechen. Schließlich ist eines der Ziele, den russischen Emigranten zu helfen. Die Veranstaltung hat auch eine symbolische Seite: Viele der Oppositionellen im Ausland wollen die Unterstützung der eigenen Leute spüren, zeigen, dass sie ein Stimmrecht haben“, erklärte Kurtow der „NG“.