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Die Staaten Zentralasiens sind vor eine Entscheidung gestellt worden


Kasachstan wird der Ukraine humanitäre Hilfe leisten. Dies erklärte Präsident Kassym-Schomart Tokajew bei einem Telefonat mit Deutschlands Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Das deutsche Staatsoberhaupt hatte die Position der Europäischen Union hinsichtlich der russischen Sonderoperation in der Ukraine dargelegt, die „zu einer humanitären Katastrophe in diesem Land führte“. Der Westen schlägt eindeutig den Ländern Zentralasiens vor, Russland zu verurteilen und dafür einige Präferenzen in der internationalen Arena zu erhalten.

Kassym-Schomart Tokajew erklärte während des Telefonats mit Frank-Walter Steinmeier, dass sich alle Staaten strikt an die Normen und Prinzipien der UN-Charta halten müssten. „Die ukrainische Krise ist hinsichtlich ihres Ursprungs eine recht schwierige, dennoch muss man neue diplomatische Möglichkeiten für eine friedliche Lösung der Konfliktsituation suchen, um der Zivilbevölkerung keinen weiteren Schaden zuzufügen und keine komplette Zerstörung der zivilen Infrastruktur auf dem Territorium der Ukraine zuzulassen“, unterstrich Kasachstans Präsident. Er betonte, dass Kasachstan bereit sei, den Bürgern der Ukraine humanitäre Hilfe in Form von Medikamenten und anderen notwendigen Erzeugnissen zu gewähren. Gegenwärtig werden Transportvarianten für ihre Lieferung zum Bestimmungsort geprüft.

Übrigens, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen Kasachstans haben eine erste Partie humanitärer Güter und Geld – rund 100 Million Tenge (umgerechnet etwa 174.800 Euro) – eigenständig zusammengestellt und bereits in die Ukraine geschickt. Und an den Wochenenden organisieren sie Großkundgebungen zur Unterstützung der Ukraine. Am 6. März hatten an solch einem in Almaty rund 4.000 Menschen teilgenommen.

Die kasachischen Offiziellen enthalten sich einer offiziellen Bewertung der Handlungen Russlands, womit sie eine Neutralität signalisieren. Tatsächlich ist jedoch die entstandene Situation für die Offiziellen von Kasachstan unangenehm. Die Gesellschaft ist in Anhänger und Gegner der Russischen Föderation gespalten. Letztere fordern gar einen Austritt Kasachstans aus den von Moskau dominierten Regionalorganisationen – aus der Eurasischen Wirtschaftsunion und aus der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Sie befürchten, dass Kasachstan zum nächsten Land werde, in das Russland kommen werde, um „die russischsprachige Bevölkerung zu verteidigen“. Einen Anlass dafür hatten russische Politiker mehrfach gesucht. Als letzter hat sich der KPRF-Chef Gennadij Sjuganow erwiesen. Am 18. Januar konstatierte Sjuganow gegenüber Journalisten, dass „das gesamte nördliche Kasachstan vom Wesen der Sache her in Vielem ein russischer bleibt. In Südkasachstan unterrichtet man bereits kein Russisch mehr“. Und er rief die russische Führung auf, „unverzüglich eine ganze Reihe erschöpfender Entscheidungen zu treffen, um die russischsprachige Bevölkerung vor jener nationalen Willkür zu schützen, der in der Republik herrscht“. Das entsprechende Interviewwar auf dem KPRF-Internetkanal „Rote Linie“ gepostet worden. Die Politologin Aigul Kuspan bezeichnete Sjuganows Speech als „eine offenkundig provokante und verantwortungslose Erklärung in Bezug auf Kasachstan, des zuverlässigsten Partners von Russland“.

Nach Meinung einer Reihe von Experten habe das Telefonat von Tokajew mit Steinmeier gezeigt, dass die Position Kasachstans zur Ukraine vor allem auf nationalen Interessen beruhe. Nur-Sultan bemühe sich auf jegliche Weise, eine Einwirkung des Sanktionskrieges auf die eigene Wirtschaft zu umgehen, teilte der Telegram-Kanal „Nachrichten Zentralasiens“ mit. Hinsichtlich der Schlüsselmomente deckt sich die Haltung von Nur-Sultan praktisch mit der Position Pekings, die dieser Tage Chinas Außenminister Wang Yi vorstellte. Die Krise in der Ukraine habe einen schwierigen Ursprung. Kasachstan und China plädieren für ihre Lösung mit friedlichen und diplomatischen Mitteln. Erstrangige Bedeutung habe heute humanitäre Hilfe, die Kasachstan und China bereit seien, der Ukraine zu gewähren. Außerdem unterstützen beide Länder die territoriale Integrität der Ukraine. Sie haben die Krim nicht als einen Teil der Russischen Föderation, aber auch nicht die Souveränität der Donezker Volksrepublik und der Lugansker Volksrepublik anerkannt. Durch beide Länder werden auch nicht die Sanktionen als ein Instrument der Außenpolitik anerkannt.

„Der Konflikt Russlands und der Ukraine, aber auch die systembedingte Konfrontation zwischen Russland und dem Westen verursachen ernsthafte äußere und innenpolitische Herausforderungen für die Länder Zentralasiens und lassen einen begrenzten Manöverspielraum in der internationalen Arena und in der Innenpolitik“, sagte der „NG“ Stanislaw Prittschin, wissenschaftlicher Oberassistenz des Zentrums für postsowjetische Studien am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Nach seiner Meinung versetze das Auftauchen von Trennungslinien in der internationalen Arena mit einer klaren Schwarz-Weiß-Aufteilung, in die eigenen und in die fremden in der zunehmenden Konfrontation die Länder der Region in eine schwierige Situation mit einem sehr eingeschränkten Raum für ein Manövrieren. „Der eiligst einberufene virtuelle Summit im Rahmen der US-amerikanischen Initiative „C5+1“, der am 28. Februar erfolgte, einige Tage nach Beginn der Krise, wurde zu einem Versuch Washingtons, die Länder Zentralasien in dem herangereiften globalen Konflikt auf seine Seite zu ziehen. Die Abstimmung zu der das Vorgehen Russlands verurteilenden Resolution im Rahmen einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung ist in Vielem zu einer anschaulichen geworden. Den USA war es nicht gelungen, die Länder der Region gegen Russland einzuschwören. Die zentralasiatischen Republiken nahmen eine neutrale Position ein, indem sie sich der Stimme enthielten. Zu vorrangig neutralen wurden gleichfalls die Bewertungen für die sich in der Ukraine abspielenden Ereignisse seitens der Außenministerien der Länder dieser Region. In solch einer Tonart lagen auch die Bewertungen zu den Ergebnissen der Telefongespräche der Staatsoberhäupter der Region mit Wladimir Putin. Solch eine gleiche Entfernung wird sowohl von Russland als auch durch die westlichen Länder als ein Plus für sich aufgefasst. Obgleich objektiv solch eine Position eher der Versuch ist, hinter dem Mehr-Vektoren-Charakter und der Einhaltung einer gleichen Distanz eine maximale Neutralität zu bewahren und weiterhin den Mehr-Vektoren-Charakter als ein Hauptprinzip der Außenpolitik zu nutzen“, betonte der Experte.

Nach seiner Meinung sei es mit der Innenpolitik schwieriger bestellt. Die unzureichend überzeugende völkerrechtliche Begründung der russischen Sonderoperation in der Ukraine schaffe ein weites Feld für antirussische Informations- und politische Aktivitäten in den Ländern der Region, besonders im Milieu der nationalpatriotischen und liberal orientierten Kreise. Es ist nicht überraschend, dass gleich nach Beginn der von Putin angeordneten Operation in der Ukraine in Kasachstan und Kirgisiens Protestaktionen und unterschiedliche Flashmobs mit einer Verurteilung Russlands begannen. Obgleich in der letzteren GUS-Republik auch Aktionen zur Unterstützung der russischen Handlungen registriert wurden.

Der Experte ist der Auffassung, dass die kasachischen Offiziellen in eine schwierige Situation geraten seien. Sie würden versuchen, auf politischer Ebene die Neutralität zu wahren. Dabei müssten sie aber auf irgendeine Weise auf die Wünsche und Forderungen der Bevölkerung antworten, die der Auffassung ist, dass Kasachstan eine härtere Position gegenüber Russland einnehmen müsse. Kirgisien bewahrt auf höchster Ebene Neutralität. Sadyr Dschaparow bringt seiner Twitter-Erklärung nach zu urteilen Verständnis für die russische Operation auf. Dabei gibt es aber in Kirgisien auch einen westlichen Einfluss, der in Protestaktionen gegen die russische Operation seinen Ausdruck findet.

Tadschikistan bewahrt reale Neutralität. Und auf offizieller Ebene gibt es dort das Thema „Ukraine“ nicht. Obgleich in den sozialen Netzwerken virtuelle Auseinandersetzungen erfolgen. Die zwei unversöhnlichen Lager sind in erbitterte Diskussionen geraten.

Eine analoge Situation herrscht in Usbekistan, das Neutralität wahrt. Aber auf der Ebene von zwei führenden elektronischen Medien erfolgt Kritik an den russischen Handlungen. Und nur Turkmenistan schenkt der internationalen Agenda keine Beachtung, da es mit den Präsidentschaftswahlen befasst war, die am 12. März abgehalten wurden.

Nach Aussagen von Stanislaw Prittschin seien die Offiziellen in jedem der Staaten direkt mit der Frage konfrontiert worden: Wie sollen sie auf solch eine soziale Polarisierung reagieren? „Es ist offensichtlich, dass die Zunahme der Spaltung in den Beziehungen Russlands und des Westens einerseits, aber auch das gespaltene inländische gesellschaftliche Umfeld andererseits auf die Offiziellen in den Ländern Zentralasiens einen ernsthaften Druck mit der Forderung ausüben werden, sich festzulegen. Und es wird sehr schwer werden, eine gleiche Distanz zu wahren“, sagte der Experte gegenüber der „NG“.