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Die Staatsbürgerschaft Russlands hat man aus der Verfassung in die politische Realität geholt


Im neuen Gesetz „Über die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation“, das am 18. April von der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) in einer endgültigen Form verabschiedet wurde, wird dieses Institut der Verfassung entsprechend den politischen Realitäten – den internationalen und innerrussischen – modifiziert (womit also Russlands Grundgesetz weiter konsequent ausgehöhlt wird – Anmerkung der Redaktion). Der heutige Kampf für eine „russische Welt“ hat aber dem Gesetz keinen deutlichen Charakter eines Gesetzes über eine Repatriation verliehen. Im Gegenteil, gerade die neuen Bürger Russlands werden entsprechend einer Anerkennung oder der Aufnahme zu einer besonderen Kategorie für die Rechtsschützer. Ob dies nun Bewohner der Krim oder des Donbass und von Noworossia, Landsleute oder ehemalige Gastarbeiter sind – sie alle können ohne eine Verjährungsfrist aufgrund einer Reihe von Straftaten die Staatsbürgerschaft verlieren, aber auch im Zusammenhang mit einer Bedrohung für die nationale Sicherheit. Dies ist die Strategie des russischen Staates. Und die Taktik belegt scheinbar das Verzeichnis der im Gesetz aufgeführten Paragrafen des Strafgesetzbuches. Wenn es eine (böse) Absicht gegen die Herrschenden gibt, so wird der Pass eingezogen. Wenn der Tatbestand eventuell auch ein schwerer, aber nur ein generell strafrechtlicher ist, so eignet sich der zu verurteilende Staatsbürger augenscheinlich für eine Söldnerfirma.

Die Staatsduma ist zu den Gesetzesänderungen der zweiten Lesung zurückgekehrt, die den Gesetzentwurf des Präsidenten betraf und der vor einer Woche vertagt wurde – scheinbar ohne ein genaues Datum für seine Wiederbelebung. Damals waren Anmerkungen als Ursache genannt worden, die angeblich aus der Präsidialadministration oder ganz und gar aus dem Verfassungsgericht eingegangen waren. Bei der Tagung am 18. April hat man jedoch die Abgeordneten nicht über das Wesen jener Präzisierungen in Kenntnis gesetzt. (Eine schlimme Praxis, die unter Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin immer mehr zur Anwendung kommt. Oft wissen die Abgeordneten gar nicht, für was sie abstimmen sollen. – Anmerkung der Redaktion). Außerdem wurde seitens der Führung des Unterhauses eine offenkundig strengere Herangehensweise an die Sache deutlich.

Es sei daran erinnert, dass zuvor der 1. Stellvertreter des Duma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten Konstantin Satulin (Kremlpartei „Einiges Russland“) eine gewisse Möglichkeit angedeutet hatte, den Versuch zu unternehmen, den offensichtlich der Verfassung widersprechenden Charakter einer Reihe von Bestimmungen der Gesetzesvorlage abzuschwächen. Vor allem ging es um die Unterteilung der Bürger der Russischen Föderation nach Kategorien – nach unantastbaren und nach jenen, die in den Rechten eingeschränkt werden. Entsprechend der Verfassung ist es unmöglich, den Bürgern Russlands, die aufgrund der Geburt eines russischen Pass besitzen, diesen ohne deren Zustimmung wegzunehmen. Es war aber vorgesehen worden, solch eine Wegnahme von den Menschen, die die Staatsbürgerschaft durch eine Anerkennung oder eine Aufnahme in diese erhalten haben, gesetzlich zu verankern. Und dies entsprechend einem recht breiten Spektrum an Gründen. Dies sind dutzende Strafrechtsparagrafen, aber auch eine außergerichtliche Aberkennung der Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit laut Angaben des Inlandsgeheimdienstes FSB. Staatsduma-Vorsitzender Wjatscheslaw Wolodin zeigte im Verlauf einer kurzen Diskussion, dass er die Versuche von Satulin nicht begrüße, erneut Fragen nach der Übereinstimmung des zu behandelnden Gesetzentwurfs mit dem Grundgesetz aufzuwerfen.

Dafür machte er nicht eine einzige Anmerkung in Bezug auf den Redner aus dem zuständigen Ausschuss, der rechtzeitig auf solche Anmerkungen wie nach Schablone reagierte: Die politische Situation in der Welt und im Land diktiere ja die Notwendigkeit dieser Festlegungen. Der Meinungsaustausch am Ende der Debatte führte dazu, dass Satulin, der bisher als Sondervertreter des Unterhauses für Migrations- und Staatsbürgerschaftsfragen geführt wurde, nunmehr – allem nach zu urteilen – dieses Amt verlieren wird.

Aber natürlich ist nicht dies das Wichtigste, sondern das, dass nach einer einwöchigen Pause der Gesetzentwurf in den strittigsten Teilen einen gewissen Touch von juristischer Reinheit erlangte. Zum Beispiel ist der Mechanismus der Aberkennung der Staatsbürgerschaft durch Entscheidungen des FSB und des Innenministeriums mit der Norm über das Recht des jeweiligen Betroffenen, dies in einem Gericht innerhalb von zehn Tagen anzufechten, abgeschlossen worden. Vom Prinzip her ergibt sich dies auch aus den allgemeinen Rechtsregeln. Und auch ein außergerichtliches Annullieren eines Passes von Straftätern anstelle seines Einziehens ist noch mit der Klausel versehen worden, dass dies gerade ein Verstoß gegen den Eid sei, den ein frischgebackener Bürger der Russischen Föderation ablegen muss. Kurz gesagt: Mit der Strategie auf dem Gebiet der Staatsbürgerschaft hat man sich festgelegt, was auch Duma-Chef Wolodin unzweideutig zu verstehen gab.

In der zweiten Variante der Gesetzesänderungen hatte es aber zur zweiten Lesung interessante taktische Präzisierungen gegeben. Im ursprünglichen Wortlaut hatte es beispielsweise eine Liste von 30 Straftaten gegeben, die später bereits bis auf 85 verlängert wurde. Im Endergebnis blieben aber aus dem Strafgesetzbuch 64 Paragrafen übrig. Unter ihnen fanden sich auch die neuen Normen über eine Bestrafung aufgrund einer Diskreditierung der Streitkräfte, der Machtorgane u. a. wieder. Dabei ist es interessant, dass gerade jene Straftaten herausgestrichen wurden, deren Figuranten aktiv für einen Militärdienst in unterschiedlichen Söldnerfirmen gewonnen wurden. Generell verübten sie recht schwere Gewaltverbrechen, für deren Verübung nicht wenig Dreistigkeit gebraucht wird. Kurz gesagt: Mörder, Rowdys, Piraten, Geiselnehmer und andere Schwerverbrecher können Staatsbürger der Russischen Föderation bleiben. Die Staatsduma will es möglich machen!

Ja, aber jene Bürger Russlands, die irgendetwas Ungutes gegen die Herrschenden ausheckten oder zumindest dessen verdächtigt wurden, werden die meisten Rechte nach einem Annullieren ihre Pässe verlieren. Dabei kann es für solche politische Straftaten, wie die gegenwärtige Praxis zeigt, in den Gerichten faktisch keine Rechtfertigung bzw. Freisprüche geben. Und es wird sie wohl auch nicht bei einem Anfechten von Entscheidungen des Innenministeriums, die auf der Grundlage operativer Materialien der Sicherheitsorgane gefällt wurden, geben. Übrigens, augenscheinlich muss wohl schon bald an dem neuen Gesetz eine erste Änderung vorgenommen werden. Gerade am 18. April hat nämlich die Staatsduma den neuen Paragrafen 284.3 für das Strafgesetzbuch „über die Gewährung von Unterstützung bei der Umsetzung von Entscheidungen internationaler Organisationen, an deren Tätigkeit die Russische Föderation nicht teilnimmt, oder ausländischer staatlicher Behörden“ verabschiedet. Die Bestrafung dafür sieht einen Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren vor.