In einem Schwung, wenn auch nicht ohne Diskussion, hat die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) am 17. Oktober Informationen verboten, „die einen Verzicht auf das Kinderkriegen propagieren“. Mehrfach waren Statements zu vernehmen, dass die Offiziellen sich bestimmt nicht in das Privatleben der Menschen einzumischen beginnen. Doch die eigentliche Konstruktion der Sanktionen zeigt, dass die neuen Verschärfungen den bereits beschrittenen Weg gehen. Es gibt keine Definitionen für die Rechtsverletzung, dafür seien aber sowohl eine ausländische Basisstruktur als auch Anzeichen für eine äußere Einmischung zwecks Koordinierung der Adepten innerhalb des Landes ermittelt worden. Das heißt, für die Liquidierung einer angenommenen „internationalen Childfree-Bewegung“ (die es gar nicht gibt – Anmerkung der Redaktion) werden Fakten gesammelt. Durchaus klar sind auch die Folgen – analog zu den früher gefällten Gerichtsentscheidungen gegen andere „Bewegungen“. Nicht umsonst wurde als erster Erfolg des Gesetzes die Selbstreinigung des Internets von kategorischen Äußerungen genannt.
Das Paket von Initiativen gegen eine imaginäre „destruktive Ideologie“ war durch die Stimmen von 388 Abgeordneten unterstützt worden. Keiner hatte dagegen gestimmt, und selbst Abgeordnete, die sich der Stimme enthielten, waren nicht auszumachen. Die entsprechenden Änderungen an sechs geltenden Gesetzen und am Ordnungsstrafrecht waren eine interfraktionelle Entscheidung. Daher verlief die Diskussion in der Staatsduma auch entsprechend dem Prinzip „der Vorschlag ist ein guter, aber man muss ihn noch besser machen“. Freilich waren auch Zweifel dahingehend zu vernehmen, dass die Rechtsanwendungspraxis für die neuen Verbote sofort eine effiziente sein werde und nicht zu den berüchtigten „Übertreibungen vor Ort“ oder – anders gesagt – zu Versuchen der Behörden an der Basis, von unterschiedlichen Vertretern des öffentlichen Lebens und vor allem der Rechtsschützer, entschlossen die von oben gebilligte Welle möglicher Verfolgungen auszunutzen und en passant auch bestimmte Bonuspunkte zu erheischen, führen werde.
Jedoch erklangen bei der Staatsduma-Tagung vom 17. Oktober die Versicherungen und gar Garantien weitaus lauter, dass derartiges auf keinen Fall erfolgen werde. Als erste hatte dies die Hauptrednerin – die Abgeordnete Elvira Aitkulowa (Kremlpartei „Einiges Russland“) – erklärt: Es sei doch kein Eingreifen des Staates in den persönlichen Bereich vorgesehen. Aber gerade sie hatte schon seit langem zusammen mit dem Parlament der russischen Teilrepublik Baschkirien versucht, eine entsprechende Initiative durchzuboxen. Seinerseits war die Gesetzesvorlage, die an der Moskauer Straße Ochotnyj Rjad (wo sich das Unterhaus Russlands befindet – Anmerkung der Redaktion) lange in der Versenkung verschwunden war, dank dem Staatsduma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin und der Chefin des Föderationsrates (das russische Oberhaus), Valentina Matwijenko wiederbelebt worden. Ihre Unterschriften eröffnen die lange Liste der Abgeordneten und Senatoren, die sich ihnen anschlossen. Ja, und der Duma-Chef hatte gerade auch eindringlich die Gesetzgeber aufgefordert, weniger irgendwelche hypothetischen Situationen einer Verletzung von Rechten irgendwelcher Personen durchzuspielen, sondern mehr Anstrengungen für einen Schutz der Menschen und der russischen traditionellen Werte, von denen der wichtigste die Familie ist, vor fremden und offensichtlich ausländischen Erscheinungen aufzubieten.
Es sei daran erinnert, dass in die Gesetze über Informationstechnologien, über die Massenmedien, über die staatliche Unterstützung des Filmwesens, über die Grundgarantien für die Rechte des Kindes, über die Werbung und über den Schutz von Kindern vor Informationen, die Schaden zufügen, etwa ein und derselbe Satz eingefügt wird, der einen „Verzicht auf das Kinderkriegen“ im Sinne eines Propagierens dieses Standpunktes verbietet. Gerade von einer feindlichen Propaganda hatte auch Aitkulowa gesprochen, die in einer entsprechenden Umfrage des staatlichen Meinungsforschungszentrums VTsIOM die Grundlage für solche Schlussfolgerungen gefunden hatte. Ein für die Wahrnehmung schreckliches Bild war in Form einer Präsentation vorbereitet worden, die sich die Abgeordneten auf ihren Monitoren ansahen, denn sie in einem Vollformat auf allgemein zugänglichen Bildschirmen zu demonstrieren, wäre wohl ein Zuviel gewesen. Aus der erwähnten soziologischen Erhebung ergab sich, dass an erster Stelle hinsichtlich der Popularität die Antworten über einen Verzicht auf das Kinderkriegen aufgrund gewisser persönlicher Gründe lagen. Sozial-ökonomische belegten nur den zweiten Platz. Und über diese kam doch ein Gespräch auf, das jedoch schnell ein Ende fand, da alle Abgeordneten verständlicherweise beschwört hatten, dass der Staat alles unternehmen werde, was noch nicht getan wurde, und zwar: die Bedingungen für eine Unterstützung der Familien – sowohl der jungen als auch der bereits erfahreneren – zu sichern. Aber noch wichtiger sei es aber, ihre Hirne von nichtkonstruktiven Weltanschauen zu säubern, das heißt, ihnen eine reale Freiheit für ihre Entscheidungen darüber, sich Kinder zuzulegen, zu geben.
Und nachdem Aitkulowa erklärt hatte, dass es leider anschauliche Beispiele für den Erfolg der westlichen Propaganda gebe, nannte sie den, der sie ursprünglich losgetreten hatte – die Amerikanische Liga für eine Kontrolle der Geburtenrate, die bereits 1921 gebildet worden war.
Derweil unterstreichen weniger engagierte Experten: Sich als childfree zu erklären, seien vor allem Versuche von Familienpaaren, nach Eingeständnis der Unfruchtbarkeit ohne Gesichtsverlust einer Schande zu entgehen. Übrigens, die Medizin – die wahre und nicht in Gestalt ihrer hochrangigen Vertreter – alarmiert schon lange aufgrund des katastrophalen Rückgangs der Fertilität der Bürger Russlands beider Geschlechter. Folglich kann man die persönlichen Gründe für den Verzicht auf ein Kinderkriegen natürlich nicht glaubwürdig als eine Unterwürfigkeit in Bezug auf die destruktive Ideologie interpretieren.
Solch eine Auslegung sieht jedoch nicht merkwürdig aus, wenn man sich anschaut, welche Änderungen in Bezug auf Childfree am Ordnungsstrafrecht vorgenommen werden. Und dies ist der schon lange bekannte Paragraf 6.21 „Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen und (oder) Neigungen und einer Geschlechtsänderung“. Nach einem Komma wird in diesen lediglich die Formulierung „“Verzicht auf ein Kinderkriegen“ hinzugefügt. Die Sanktionen bleiben die gleichen. Dies sind recht, recht hohe Strafen für das Propagieren oder Aufzwingen von Informationen: für die Bürger – 50.000 bis 100.000 Rubel, für Amtspersonen – 100.000 bis 200.000 Rubel und für Rechtspersonen – 800.000 bis eine Million Rubel. Außerdem wird das gleiche gegenüber Minderjährigen noch strenger geahndet. Noch strenger bestraft man, wenn destruktive Ideologien per Internet oder Massenmedien verbreitet werden. Unter der Bedingung, dass dies keine Straftat ist, und in dem entsprechenden Kodex gibt es bereits Gay-Propaganda und Transgender-Wechsel, wird man den Bürgern aufgrund von „Childfree-Propaganda“ Strafen von 100.000 bis 200.000 Rubel verpassen, Amtspersonen – von 200.000 bis 400.000 Rubel. Rechtspersonen können Geldstrafen in einer Höhe von einer Million bis vier Millionen erhalten. Eine Medien-Unterstützung für den gesamten Paragrafen 6.21 wird auf maximale Weise geahndet. Es gibt aber noch einen gesonderten Teil mit härteren Sanktionen in diesem Paragrafen – und zwar gegen Ausländer.
Natürlich waren im Verlauf der Duma-Tagung die Fragen gestellt worden, wo denn die Kriterien für die Propaganda seien, über die die Journalisten, Filmschaffenden und Werbefachleute gern vorab erfahren möchten. Als Antwort kam vor allem solch eine: Die Aufsichtsbehörde Roskomnadzor, die bereits die Bereitschaft bekundete, das neue Gesetz umzusetzen, werde herausfinden, was eine Zufälligkeit oder eine Emotion sei und was eine feindselige Handlung. Augenscheinlich wurde damit zu verstehen gegeben, dass man anstelle von Fragen sich andere Bereiche für eine Kontrolle anschauen sollte, für die Roskomnadzor zuständig sei. Übrigens, Aitkulowa rühmte sich damit, dass, während die Initiative der Abgeordneten erörtert werde, dekonstruktive Internet-Communitys bereits begonnen hätten, an den eigenen Annalen zu feilen. Und den Nutzern werde eindringlich angeraten, ihre sozialen Netzwerke und Accounts zu säubern. Zuvor seien entsprechende Posts etwa einmal in 20 Minuten aufgetaucht.
In diesem Kontext ist es aber sicherlich besser, sich der Praxis des Justizministeriums hinsichtlich des Registers für die sogenannten ausländischen Agenten und überhaupt hinsichtlich dieses Gesetzes zu erinnern. Es ist kein Geheimnis – und entsprechende Zitate kann man nach wie vor finden – dass die Offiziellen der Russischen Föderation lange behauptet hatten: Es gebe keinerlei Verbote, es gebe lediglich die Forderung, den Status auszuweisen, damit die Verbraucher von Informationen von ausländischen Agenten im Bilde sind. Daran zu erinnern, in was für Formen dies letzten Endes ausartete, wäre sicherlich überflüssig. Der Staat hat letztlich direkte Verbote zu verhängen begonnen, das heißt, die ausländischen Agenten in ihren Bürger- und ökonomischen Rechte einzuschränken. Und ausländischer Agent kann man jetzt auch im Falle eines ausländischen Einflusses auf die eine oder andere Person werden. Dabei ergibt sich solch eine Konstruktion: Wenn ein Bürger der Russischen Föderation einen ausländischen Agenten zitiert, kann er selbst auch zu solch einem werden. Wenn aber ein ausländischer Agent seinerseits einen russischen Staatsbürger zitiert, so dreht dem weniger die Wahrscheinlichkeit, zu solch einem Status zu gelangen.
Was weiter mit den Gesetzen über ein Childfree-Verbot passieren wird, ist vom Prinzip her ebenfalls durchaus klar. Im Grunde genommen war dies auch im Verlauf der Staatsduma-Sitzung am 17. Oktober nicht verheimlicht worden. Die Vize-Chefin des Unterhauses, Anna Kusnezowa, war da beispielsweise ans Rednerpult gekommen. Natürlich hatte sie die vorherigen Redner dahingehend unterstützt, dass gegen Russland ein wahrer Hybrid-Krieg auch an der Front des Kinderkriegens entfesselt worden sei. Die Offiziellen hätten aber laut ihren Worten etwas, womit sie antworten würden. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft habe zum Beispiel bereits zwei Bände von Fakten gesammelt, die erlauben würden, „den nächsten Schritt zu gehen – für ein Verbot destruktiver Ideologien insgesamt“. Um diese Erklärung richtig zu deuten, sei daran erinnert, dass ein derartiges Verbot üblicherweise nach einer Klage des Justizministeriums im Obersten Gericht der Russischen Föderation gegen eine gewisse „internationale Bewegung“ oder angebliche gesamtrussische Struktur ausgestaltet wird. So waren Netzwerke sowohl sexueller Minderheiten als auch diebischer Romantiker und politischer Oppositioneller verboten worden. Nach Meinung der Offiziellen hätten sie alle nicht bloß agiert, sondern aktiv für sich Anhänger gewonnen. Und nach entsprechenden Gerichtsentscheidungen beginnt man auch, diese Anhänger zu suchen, genauer gesagt: zu entlarven, da sie meistens außerhalb des Internets nicht auftauchen. Folglich werden scheinbar die seit langem begonnenen erzieherisch-prophylaktischen Maßnahmen gegen jene fortgesetzt, die noch die sozialen Netzwerke für eine Ort für Meinungsfreiheit halten.
Die Staatsduma befreit das Land von einer weiteren destruktiven Ideologie
10:23 23.10.2024