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Die Staatsduma erlaubt den Behörden Migrationsexperimente


Am 23. Juli hat die Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) Initiativen bestätigt, die den Umgang mit Einwanderern und Gastarbeitern per Erweiterung der Kontroll- und administrativen Vollmachten der staatlichen Behörden verschärfen. Für eine Bekämpfung Illegaler wird das Innenministerium ein Register der zu kontrollierenden Personen schaffen, denen man ein Teil der Bürgerrechte nehmen und danach operativ deportieren wird. Der Grenzdienst des Inlandsgeheimdienstes FSB wird jeglichen verdächtigen Ausländern eine Ein- und Ausreise verbieten. Und der Regierung wird zusammen mit den Behörden der Regionen Russlands erlaubt werden, Experimente im Rahmen der Einwanderungspolitik durchzuführen, die durch die Gesetzgebung gar nicht vorgesehen sind.

Der „Antimigranten“-Tag an der Ochotnyj Rjad (Straße im Herzen Moskaus, in der die Staatsduma ihren Sitz hat – Anmerkung der Redaktion) erfolgte dank dreier Gesetzesvorlagen, die auf eine Erweiterung und Verschärfung der Kontrollvollmachten der Behörden abzielten.

Diese Dokumente, die in der dritten und abschließenden Lesung verabschiedet wurden, zielen jedoch lediglich auf eine Überwindung der aktuellen Krisen ab. Das heißt der Folgen der gegenwärtigen Migrationspolitik.

Strategische Lösungen, die ein Wiederholen der einen oder anderen Krisen beenden sollen, sind in den Gesetzen vorerst nicht auszumachen. Allerdings arbeiten die Abgeordneten und jene Institutionen, die mehr Rechte erhalten, bekanntlich nicht die Prinzipien der Staatspolitik aus und bestätigen sie nicht. Sie realisieren sie nur. Und aus den obersten Etagen der Machtvertikale sind überdies nach wie vor keine direkten Anweisungen hinsichtlich des Bereichs der Einwanderung formuliert worden.

Mehr noch, immer unverständlicher wird auch die künftige Herangehensweise an diesen Bereich. Entweder besteht doch die Absicht, die Einwanderung zu einer reich ökonomischen Erscheinung zu machen, die aber schon nicht die innere Sicherheit des Landes bedroht wie derzeit. Oder man wird die Anzahl der Gastarbeiter minimieren, nur weil die Sicherheit, die wichtiger als Geld ist, mit offenen Grenzen Russlands in keiner Weise zu gewährleisten ist. Ergo: Solange man sich in den obersten Führungsriegen weiter Gedanken macht, schlagen die Regierung, die Rechtsschutzorgane und Parlamentarier vor, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Wenn auch nur palliative, aber zumindest mit irgendeinem Bezug zur Realität.

Zwei der am 23. Juli verabschiedeten Gesetzesvorlagen bildeten ein Paket, und die dritte betraf anfangs die Präferenzen in Bezug auf die russischen Landsleute. Dementsprechend figurierten dort der Begriff Repatriierung und folglich auch der Begriff Repatrianten, was es vom Wesen der Sache her bisher nicht in der Gesetzgebung gegeben hatte. Entsprechend einem Erlass des russischen Staatsoberhauptes wurde jedoch eine Korrektur erforderlich. Und freilich ist es da nicht gelungen, ohne „Antimigranten“-Maßnahmen auszukommen. Sie waren im Text im Verlauf seiner Vorbereitung zur zweiten Lesung aufgetaucht. Als wichtigste muss die Erlaubnis für die Regierung der Russischen Föderation anerkannt werden, Migrationsexperimente durchzuführen, deren Erwähnung und Rahmen in den Gesetzesakten nicht vorkommen.

Da diese Genehmigung im Kontext der Änderung der Regeln für die Einreise und die Ausreise aus dem Land erfolgt, kann angenommen werden, dass die Experimente an sich mit einer Digitalisierung und einer umfangreicheren Nutzung biometrischer Angaben für eine zusätzliche Kontrolle verbunden sein werden. Alle Details für die künftigen Tests wird das Ministerkabinett durch seine Beschlüsse bestätigen, die sich im Gesetz lediglich auf allgemeinste Grundsätze beschränken. Man kann beispielsweise nachlesen, dass auch das Regime für das Wohnen der „experimentellen“ Ankömmlinge in der Russischen Föderation irgendein besonderes sein kann. Dabei ist durchaus klar, in welchen Subjekten Russlands die Versuche mit den Ausländern durchgeführt werden können. Im Großen und Ganzen in denen mit den meisten Einwanderern, das heißt in Moskau, im Moskauer Verwaltungsgebiet, in Petersburg, in den Verwaltungsregionen Krasnodar und Stawropol sowie in einer Reihe anderer Regionen. Die Regierung ist berechtigt, deren Offiziellen, und zwar die Gouverneure, mit zusätzlichen Vollmachten auszustatten.

Eine offenkundige Bekämpfung der Folgen jener strategischen Entscheidungen, die man heute vorerst weder ändern noch aufheben kann, stellt das eingangs erwähnte Paket aus zwei Gesetzen dar. Es stattet das russische Innenministerium insgesamt und dessen territorialen Verwaltungen mit dem Recht aus, unter den Ankömmlingen jene zu ermitteln, die sowohl die Einwanderungs- als auch andere Gesetzgebung des Landes verletzen. Und danach sie alle in ein gesamtföderales Register der zu kontrollierenden Personen aufzunehmen. Es sei daran erinnert, dass dies faktisch zum Startplatz für eine anschließende Deportation jener wird, die sich nicht bessern, legalisieren oder ihre Rechtsverletzungen nicht auf eine andere Art und Weise sühnen können. Der Ausländer, der in das Register geraten ist, wird, wie nachdrücklich bei der Behandlung der Dokumente in erster Lesung unterstrichen worden war, hinsichtlich eines Teils der allgemeinen Bürgerrechte eingeschränkt oder verliert sie ganz und gar. Im Finanzbereich beispielsweise des Rechts auf einen Zugang zu Bankendienstleistungen (mit Ausnahme von Operationen im Gesamtumfang von 30.000 Rubeln, was umgerechnet etwa 325 Euro sind). Im Transportwesen – des Rechts, ein Auto zu fahren, als Taxifahrer zu arbeiten usw. Verboten wird gleichfalls, Ehen mit den zu kontrollierenden Personen zu schließen, die auch bei der Auswahl des Wohnsitzes mit Restriktionen belegt werden.

Alles in allem unternehmen die Offiziellen alle Anstrengungen, um sowohl eine illegale Lage als auch den Status eines Rechtsbrechers für die Migranten zu einer bzw. einem maximal unattraktiven zu machen. Dies bestätigen auch die Änderungen am Ordnungsrecht. Gut ein Viertel seiner Paragrafen kann jetzt als Grundlage für eine Aufnahme in das Register des Innenministeriums dienen. Dabei erhalten die Mitarbeiter des Ministeriums Vollmachten, Deportationsmaßnahmen ohne Gerichtsentscheidungen vorzunehmen. Genauso wird es allem Anschein nach auch weniger Gerichtsaufwand bei der Entsendung schlechter Ankömmlinge in Zentren für einen zeitweiligen Verbleib ausländischer Bürger geben. Übrigens, von nun an werden dies auch die Organe des Inlandsgeheimdienstes FSB tun können. Die Vertreter des FSB wurden in den von der Staatsduma diskutierten Gesetzen ganz und gar umfangreich erwähnt. Und erstmals wurde wohl offiziell deren Teilnahme an der Umsetzung der Einwanderungsgesetze bestätigt.

Und eine der Gesetzesänderungen, die die Vollmachten des Grenzdienstes des FSB betrifft, scheint gänzlich auf die Lösung der sich gerade jetzt zugespitzten Krise bei der Einreise nach Russland abzuzielen. Es sei daran erinnert, dass in den sozialen Netzwerken in den letzten Tagen umfangreich Fotos und Videos über das wenig beneidenswerte Schicksal von Ukrainern kursierten, die man nur über eine Grenzübergangsstelle – im Flughafen Moskau-Scheremetjewo – nach Russland einreisen lässt. Genauer gesagt: nicht so sehr einreisen lässt als vielmehr massenhaft zurückschickt, dorthin, von woher sie angekommen sind. Und die meisten Klagen betreffen gerade die Grenzer, die angeblich ohne jegliche Begründungen eine Einreise untersagen. Sicherlich erfolgt dies gegenwärtig vor allem auf der Grundlage irgendwelcher Anordnungen des Grenzdienstes. Bald wird es aber dafür eine besondere Gesetzesnorm geben. Formuliert wird sie auf solch eine Weise: „Bei der Durchführung der Grenzkontrolle ist das Risiko für das mögliche Schaffen einer Bedrohung für die Sicherheit des Staates durch den ausländischen Bürger oder einen Staatenlosen ermittelt worden“. Diese Bestimmung tauchte gleichfalls in der Gesetzesvorlage auf, aber nur vor der zweiten Lesung.

Post Scriptum:

In dieser Woche verbreitete des russische Statistikamt ROSSTAT Zahlen zum sozial-demografischen „Porträt“ eines typischen Einwanderers in Russland. Dies ist ein junger verheirateter Mann aus Tadschikistan. Dabei wird ausgewiesen, dass die Hauptmasse der Gastarbeiter Menschen mit einem geringen Bildungsniveau und geringen beruflichen Fähig- und Fertigkeiten ausmachen. Geht man in die Details der ROSSTAT-Angaben, kann man viel Interessantes erfahren. 55 Prozent der Migranten sind Männer, 45 Prozent – Frauen. Im vergangenen Jahr machten die Tadschiken 31 Prozent aller Gastarbeiter (560.400 Menschen, 23 Prozent weniger als im Jahr 2022) aus, die nach Russland kamen. An zweiter Stelle lagen die Kirgisien (zehn Prozent). Platz 3 teilten sich die Ukrainer, Armenier und Kasachen mit jeweils neun Prozent.

Unterhält man sich beispielsweise in Moskau mit Taxifahrern, die oft aus mittelasiatischen Republiken stammen, hört man nicht selten, dass ihre Arbeit von den Bürgern russischer Herkunft wenig geachtet werde. Außerdem haben viele von ihnen ihre Familien in die russische Hauptstadt nachgeholt, obgleich die Lebenshaltungskosten in der Megapolis spürbar höher sind als in der Heimat. Russland werde immer uninteressanter zum Geldverdienen (ganz zu schweigen von den zunehmenden neuen gesetzlichen Restriktionen gegen Einwanderer). Damit spitzt sich der Mangel an Arbeitskräften für die russische Wirtschaft immer mehr zu, der kurz- und mittelfristig nicht überwunden werden kann und somit mit Sicherheit das Wirtschaftswachstum ausbremsen wird.