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Die Staatsduma will eine Bestrafung für rückfällige Pazifisten einführen


Die Staatsduma verabschiedete am 4. März ein System von Bestrafungen für ein öffentliches Verbreiten vorsätzlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation. Dies sind Zusätze und Änderungen zum Ordnungsstrafrecht und Strafgesetzbuch. Geschaffen wird eine Gradierung der Verfolgungen aufgrund einer Antikriegstätigkeit: von Strafen für zufällig unter die entsprechenden Artikel gefallenen Personen bis zu zehn bis fünfzehn Jahren Freiheitsentzug und Sanktionen in einer Höhe von fünf Millionen Rubel (umgerechnet mehr als 33.300 Euro) für professionelle Pazifisten. Geschaffen wird auch ein analoger Artikel zum sogenannten Dadin-Meetingsartikel (der sieht nach drei Ordnungsstrafen für die Teilnahme an unerlaubten öffentlichen Aktionen eine strafrechtliche Verfolgung mit Haftstrafen vor, benannt nach dem oppositionellen Aktivisten Ildar Dadin – Anmerkung der Redaktion), obgleich die neue Norm des Strafgesetzbuches nicht nur hartnäckige Straßenaktivisten tangiert, sondern auch Massenmedien und sogar soziale Netzwerke.

In den letzten Tagen scheinen die russischen Parlamentarier buchstäblich einem Wettbewerbsfieber verfallen zu sein, was den Grad an Patriotismus angeht, der in unterschiedlichen gesetzgeberischen Initiativen verankert wird. Beispielsweise hat eine Gruppe von Senatoren und Abgeordneten an die Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) den Vorschlag weitergeleitet, für Zivilbeamten einen obligatorischen Eid einzuführen.

Die Person, die erstmals zu einem Beamten wird, soll schwören, dass er „die Menschen- und Bürgerrechte und -freiheiten achten und verteidigen sowie heilig die Verfassung und die Gesetze der Russischen Föderation einhalten“ werde. Und dass er noch unbedingt „ein ehrlicher und unbestechlicher sein“, „sich feinfühlig und aufmerksam gegenüber den Vorschlägen, Anträgen und Beschwerden der Bürger verhalten“ und natürlich „würdig die übertragenen Dienstpflichten erfüllen“, Staats- und Dienstgeheimnisse wahren, die Freiheit und Unabhängigkeit der Russischen Föderation verteidigen und treu dem Volk dienen“ werde.

Die Gesetzgeber erinnern daran, dass eigene Schwüre und Eide die Richter und Staatsanwälte, Vertreter der unterschiedlichen bewaffneten, Sicherheits- und Rechtsschutzorgane sowie die Empfänger der Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation hätten. Aber durch was unterscheiden sich denn da die Staatsangestellten von ihnen?! Der Treueschwur gegenüber dem Staat und dem Volk werden sozusagen erlauben, deutlicher das ganze Maß der zu übernehmenden Verantwortung begreifen. Und dies werde wiederum ein würdiges Verhalten der Beamten und deren effektive Tätigkeit garantieren. Im eigentlichen begleitenden Anschreiben zu dem Gesetzentwurf wie auch im Wortlaut des Eides gibt es auch nicht wenig Pathos in Gestalt von Ausrufungszeichen. Es gibt aber auch dort einen zweifelhaften Aspekt: „Durch den Gesetzentwurf werden keine zusätzlichen Haftungsmaßnahmen für eine Bruch des Eides vorgeschlagen, da diese Frage durch die geltenden Gesetze und normativen Akte geregelt wird“. Es gibt aber auch keine Antwort auf die Frage, weshalb denn dann offenkundig keine solche Haftung angewandt wird, da die Initiative über einen obligatorischen Eid aufgetaucht ist.

Einen noch stärkeren „Müllcharakter“, das heißt: einen reinen PR-Charakter trägt die Gesetzesvorlage, die durch Staatsduma-Abgeordnete der populistischen LDPR unterbreitet wurde. Man solle doch jene, die nicht mit der militärischen Sonderoperation Russlands auf dem Territorium der Ukraine einverstanden seien und die bei pazifistischen Straßenaktionen festgenommen werden, in der Art und Weise ordnungsrechtlich zur Verantwortung ziehen, dass man sie zum Wehrdienst schickt. Bei all ihrem schockierenden Charakter ist diese Initiative wohl die anschaulichste im Sinne eines gänzlich über die Stränge schlagenden Ultrapatriotismus in Russland, dessen Welle sozusagen wie auf ein Kommando derzeit im ganzen Land losgetreten worden ist. Allerdings, wieso „sozusagen“? Die Tatsache, dass, wenn es auch kein Kommando gab, so doch die harte Empfehlung zur Verstärkung einer Mobilisierung der Bevölkerung, ist offensichtlich ein Fakt. Beleg dafür war die realisierte Absicht der Staatsduma, im Eilverfahren für das Strafgesetzbuch spezielle Normen über eine Bestrafung nicht nur für Fake-Meldungen über den Verlauf der ukrainischen Sonderoperation der russischen Streitkräfte, sondern auch für „Aufrufe zur Behinderung des Einsatzes der russischen Truppen für die Verteidigung der Interessen Russlands sowie die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit“ zu bestätigen.

Solch eine Bestimmung ist nun also im Artikel 203.7 des Strafgesetzbuches aufgetaucht, dessen Verfassen der Duma-Ausschussvorsitzende für Sicherheitsfragen Wassilij Piskarjow (Kremlpartei „Einiges Russland“) initiiert hatte. Vom Prinzip her hatte es auch keine Zweifel diesbezüglich gegeben, dass sein Vorschlag in der einen oder anderen Form realisiert wird. Bezeichnend ist jedoch, mit was für einer Geschwindigkeit erfolgte. Um den Prozess nicht durch die Einhaltung aller parlamentarischen Prozeduren in die Länge zu ziehen, wurde durch das Unterhaus die entsprechende Gesetzesvorlage von 2018 aus der Schublade hervorgeholt, die eigentlich gegen die außerparlamentarische Opposition gerichtet war. Die hatte damals eine Kampagne gestartet, um den Westen davon zu überzeugen, Sanktionen gegen hochrangige Vertreter der russischen Macht zu verhängen. Dieses Dokument war damals bis zum Stadium der 2. Lesung gekommen und ist gestoppt worden, da beschlossen worden war, das Problem mit dem Nawalny-Anhängern über deren unmittelbare harte und gnadenlose Unterdrückung zu lösen.

Jetzt aber hatte sich die gesetzgeberische „Lokomotive“ als geeignet erwiesen. Sie zog den entsprechenden Artikel des Strafgesetzbuches durch, als dessen härteste Sanktion eine Strafe von bis zu fünf Millionen Rubel und eine Haftstrafe von zehn bis 15 Jahren festgeschrieben wurden. Auf solch eine Art und Weise werden von nun an vorsätzlich falsche Nachrichten bestraft, die schwere Folgen nach sich gezogen haben. Natürlich, wenn solche Fakes gegen die Streitkräfte und irgendwelche Handlungen der Militärs gerichtet sind. (Derweil ist die Erklärung des Staatsduma-Chefs Wjatscheslaw Wolodin von der vergangenen Woche, wonach der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij Kiew verlassen hätte und nach Polen geflohen sei, in der Lesart der russischen Gesetzgebung keine Falschmeldung. – Anmerkung der Redaktion) Alles in allem ist klar, dass dies nicht mehr als der Versuch ist, jenen informationsseitigen Attacken gegen die Russische Föderation Paroli zu bieten, die derzeit die ukrainischen Bot-Truppen und westlichen Massenmedien führen. (Freilich ist für viele Journalisten unklar, wie die russischen Gesetzgeber Fake-News definiert haben. – Anmerkung der Redaktion).

Ein gesonderter Punkt über die Bestrafung von den erwähnten Aufrufen aber ist ein Signal für jene Pazifisten, die entweder mit Protesten auf die Straßen kommen oder Flashmobs im Internet initiieren. Für solchen „Unfug“ verheißt der Staat nunmehr Strafen von 100.000 bis 300.000 Rubel sowie einen Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren.

Dabei wird speziell unterstrichen, dass dies lediglich Rückfalltäter tangieren werde, das heißt jene, die im Vorlauf des vorangegangenen Jahres lediglich einer Ordnungsrechtsstrafe ausgesetzt worden sind. Freilich, dies ist eine gewisse analoge Norm zum „Dadin“-Artikel. Das heißt: Der Artikel 282.1 des russischen Strafgesetzbuches, den man gegen besonders hartnäckige Kundgebungsaktivisten anwendet, wird nunmehr nicht nur auf die Teilnehmer von Antikriegsmeetings angewandt werden. Es ist klar, dass Aufrufe vor allem im Medienbereich verbreitet werden. Und daher werden unter diese Norm sowohl Blogger als auch Autoren von Meldungen in den Messanger-Diensten und wahrscheinlich auch einzelne Massenmedien fallen (obgleich die entsprechenden Medien in Russland bereits blockiert worden sind oder selbst aus Sicherheitsgründen ihre Arbeit eingestellt haben). Und wahrscheinlich wird die neue Norm sehr schnell irgendeinen eigenen Namen erhalten.

Am 4. März wurden nicht nur die entsprechenden Gesetzesänderungen innerhalb von weniger als 30 Minuten von der Staatsduma angenommen, sondern auch durch das Oberhaus – den Föderationsrat – im Schnellverfahren gebilligt und in den Abendstunden des gleichen Tages von Präsident Putin unterzeichnet. Laut Meldungen der russischen Nachrichtenagentur INTERFAX wurden die Gesetzesänderungen schon am Wochenende von mehreren Gerichten angewandt.

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Die Initiative der LDPR-„Volksvertreter“ in der Staatsduma über eine Entsendung von Unruhestiftern in die Armee hat Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle in Erstaunen versetzt. „man darf nicht die Erfahrungen der Zarenregierung wiederholen, die in den Jahren des Ersten Weltkrieges in erster Linie unzuverlässige Personen in die Armee einberief und an die Front schickte. Die Front war besser mit revolutionären Agitatoren denn Sanitätern versorgt worden“, schreiben die Autoren des Kanals „Mjusly vsluch“ (https://t.me/mysly).

Die Autoren des Kanals „Adäquat“ (https://t.me/politadequate) rufen die Bürger Russlands im Ausland auf, es sich zu überlegen, bevor man sich in einen aktiven Kritiker der Handlungen der Russischen Föderation in der Ukraine verwandelt. „Machen Sie sich keine Vorstellung davon, dass sich etwas für Sie persönlich verändert, wenn sie beispielsweise beginnen werden, täglich vor einer Kamera Putin nach dem einheimischen Offiziösen zu verdammen, selbst wenn Sie dies in vollkommener Übereinstimmung mit Ihren Überzeugungen tun werden. Das Brandsiegel erhitzt man nicht für Putin, man erhitzt es für uns alle auf beiden Seiten der Grenze. Und nichterfasst wird wahrscheinlich keiner davonkommen, denn die Kampagne zu unserer totalen Entmenschlichung trägt einen zu irrationalen Charakter“.