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Die Steinmeier-Formel eignet sich nicht für Papst Franziskus


Bei der XI. Vollversammlung des Weltkirchenrates, die am 8. September in Karlsruhe zu Ende ging, war es zu einem Skandal mit der russischen Delegation gekommen. Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der bei der Eröffnung des ökumenischen Forums am 31. August aufgetreten war, hatte die Berechtigung der Teilnahme von Vertretern des Moskauer Patriarchats an der Veranstaltung angezweifelt und der Russisch-Orthodoxen Kirche eine Unterstützung der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation in der Ukraine vorgeworfen. Das deutsche Staatsoberhaupt merkte an: „Auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen, blasphemischen Irrweg führen zurzeit die Führer der Russisch-Orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche“. Nach Meinung des Politikers rechtfertige die Russisch-Orthodoxe Kirche die Kampfhandlungen „gegen ihre eigenen, gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern im Glauben. Diese Propaganda gegen die freien Rechte der Bürgerinnen und Bürger eines anderen Landes, dieser Nationalismus, der willkürlich Gottes Willen für die imperialen Herrschaftsträume einer Diktatur in Anspruch nimmt, diese Haltung muss unseren Widerspruch finden, auch hier in diesem Saal, in dieser Versammlung“, erklärte Steinmeier. Er ist der Auffassung, dass sich die Russisch-Orthodoxe Kirche der Staatspolitik angeschlossen hätte. „Diese als Theologie verbrämte totalitäre Ideologie hat dazu geführt, dass auf dem Gebiet der Ukraine bis jetzt auch so viele religiöse Stätten völlig oder teilweise zerstört worden sind…“. Der Politiker forderte, das Moskauer Patriarchat aus der ökumenischen Organisation auszuschließen.

Am darauffolgenden Tag trafen sich Spitzenvertreter des Weltkirchenrates (ÖRK) mit den Delegierten der Russisch-Orthodoxen Kirche. Laut einer Mittelung aus Informationsquellen des Moskauer Patriarchats versicherte der amtierende Generalsekretär der Organisation, der Priester Ioan Sauca: „Im Weltkirchenrat sprechen wir in der Sprache des Glaubens und nicht der Politik. Wir sind eine offene Plattform für alle. Die Russisch-Orthodoxe Kirche ist ein vollwertiger Teil unserer Bruderschaft“. Der Geistliche sagte, dass „auch keine Rede von irgendeiner Isolierung der Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche bei dem Forum“ sein könne.

Unter Berücksichtigung dessen, dass vor Steinmeier die Forderungen nach einem Ausschluss der Russisch-Orthodoxen Kirche mehrere protestantische Kirchen formuliert hatten und zur eigentlichen Veranstaltung eine Delegation der Orthodoxen Kirche der Ukraine eingeladen worden war, berührten und kränkten gar die Worte von Deutschlands Präsident stark die Vertreter Russlands. Der russische Delegationsleiter, der neue Vorsitzende der Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, Metropolit Antonij (Sewrjuk) erklärte, dass im Auftritt des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland durch „nichts bestätigte Vorwürfe, die vollkommen alle humanitären Anstrengungen des Moskauer Patriarchats im Kontext der Konfrontation in der Ukraine ignorieren, aber auch die direkte Forderung an die ÖRK-Vollversammlung, die Russisch-Orthodoxe Kirche zu verurteilen“, gewesen seien. „Ich bin der Auffassung, dass die Position von Herrn Frank-Walter Steinmeier ein Beispiel für die Ausübung groben Drucks seitens eines hochrangigen Vertreters der Staatsgewalt auf die älteste interchristliche Organisation, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Weltkirchenrates und der Versuch, den friedensstiftenden und politisch neutralen Charakter der Tätigkeit von letzterem in Zweifel zu ziehen, ist“, heißt es in einer Mitteilung, die auf der Internetseite der Russisch-Orthodoxen Kirche veröffentlicht wurde.

Steinmeier kritisiert nicht das erste Mal Vertreter Russlands. Dies brachte ihm jedoch kein Vertrauen der ukrainischen Regierung ein. Im April hatte Kiew den geplanten Besuch des deutschen Präsidenten abgesagt. Wladimir Selenskij hatte sich geweigert, seinen Amtskollegen aus der BRD zu empfangen, wobei er erläuterte, dass jener in den letzten Jahren „allzu enge Kontakte mit Russland“ gehabt hätte.

Das Vertrauen der Ukraine hat auch das Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche, Papst Franziskus, verloren. Einige Politiker sind sich sicher, dass der Pontifex erneut seine Meinung hinsichtlich der militärischen Sonderoperation Russlands geändert hätte und jetzt beinahe für deren Unterstützung auftrete. So erklärte am 1. September der einstige Abgeordnete der Werchowna Rada (das Parlament der Ukraine), Taras Tschernowol, dass „der Papst das Ausbleiben von Abscheu bei der Abgabe von aus der Sicht der katholischen Gerechtigkeitsdoktrin ungerechten und inakzeptablen Erklärungen demonstriert“. „Der argentinische Papst hat es mit dem Erreichen der höchsten Stufe eines geistlichen Dienstes nicht vermocht, jenen politischen, ideologischen und sozio-kulturellen Absatz, der für die argentinische Gesellschaft charakteristisch ist, abzuschütteln. Der römische Papst ist ein zu Linksradikalismus neigender geblieben“, meint der frühere Abgeordnete. Die Aussage von Tschernowol wurde durch ein Mai-Interview von Papst Bergoglio ausgelöst, in dem jener die Vermutung bekundete, dass die Nordatlantische Allianz mit ihren Handlungen an den russischen Grenzen Moskau zum Beginn der Sonderoperation hätte provozieren können. Der Pontifex bezweifelte gleichfalls die Richtigkeit von Waffenlieferungen an Kiew, wobei er sich gegen ein Wettrüsten aussprach.

Scharf kritisiert hatte Bergoglio auch der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrej Jurasch. Am 24. August hatte er die Worte von Franziskus als „enttäuschende“ bezeichnet, als jener öffentlich sein Mitgefühl für die „unschuldigen Opfer“ des Konflikts bekundete. Es ging dabei u. a. um Darja Dugina, die bis zu ihrer Ermordung in Russland für viele eine unbekannte Politologin war und nach dem Tod und auch durch eine posthume Auszeichnung durch Präsident Wladimir Putin beinahe zu einer Ikone, zu einem Opfer des „ukrainischen Terrorregimes“ hochstilisiert wurde. Der Pontifex selbst hatte auch ihren Namen nicht genannt, jedoch unterstrichen: „Ich denke an die gewaltige Brutalität hinsichtlich einer Vielzahl Unschuldiger, die für den Wahnsinn von allen Seiten aus zahlen“. Nach dieser Erklärung von Franziskus ließ sich Kiew auf einen beispiellosen Schritt ein. Am 25. August bestellte der Außenminister der Ukraine, Dmitrij Kuleba, den Nuntius in der Ukraine, Visvaldas Kulbokas, ein und sagte, dass die ungerechten Worte des Papstes sein ukrainisches Herz zerreißen würden. „Die Wortmeldung des römischen Papstes enttäuschte und veranlasste, sich über Vieles Gedanken zu machen. Man kann nicht mit ein und denselben Kategorien über einen Aggressor und ein Opfer sprechen“, schrieb an diesem Tag Andrej Jurasch auf seiner Twitter-Seite.

Aufgrund der sich in der letzten Zeit gehäuften Attacken ukrainischer Politiker gegen den Papst war der Vatikan genötigt gewesen, „seine Haltung zur Ukraine“ zu erläutern. „Die Worte des Heiligen Vaters sind als eine Stimme zu begreifen, die für den Schutz des menschlichen Lebens und der mit ihm verbundenen Werte erhoben wurde, und nicht als die Einnahme einer politischen Position“, wird in einer Mitteilung betont, die am 30. August auf der Internetseite des Heiligen Stuhls gepostet wurde. Dabei verurteile der Papst das Geschehen in der Ukraine „als eine moralisch ungerechte, unzulässige, barbarische, sinnlose, abscheuliche und blasphemische“ Tat.

Am 25. August wurde auf der Internetseite der italienischen Zeitung „Il Fatto Quotidiano“ ein Beitrag des Vatikan-Experten Marco Politi veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass der Pontifex ungehalten über die Versuche des ukrainischen Präsidenten sei, Druck auf den Vatikan auszuüben, um ihn in die Kampagne zur Dämonisierung Russlands zu involvieren. Der Autor analysierte einen Eintrag von Selenskij, der auf Twitter nach dem letzten Gespräch mit Papst Franziskus vorgenommen worden war. Der ukrainische Präsident hatte da erklärt, dass Kiew der Hilfe der Religionsführer für eine Verbreitung negativer Informationen über Russland bedürfe. „Dieser Tweet demonstriert ausgezeichnet, dass sich Papst Franziskus und die Kiewer Politik auf verschiedenen Seiten befinden. Dem Vatikan gefällt nicht, wenn man dem Pontifex sagt, was er zu tun habe“, unterstrich der Journalist. Er fügte hinzu, dass „Franziskus kein Lakai des Westens sein möchte und nicht die Position der NATO hinsichtlich der Situation in der Ukraine unterstützen will“.

Es schien, dass nach solch einer Ablehnung der Position des Pontifex seitens ukrainischer Politiker Moskau alle Kräfte aufbieten müsste, um Franziskus auf seine Seite zu ziehen. Ausländische Journalisten haben nachgezählt: Papst Franziskus hat sich mehr als 70mal gegen die Sonderoperation ausgesprochen, wobei „er nicht ein einziges Mal direkt Präsident Wladimir Putin Vorwürfe machte“, um nach den Worten von Bergoglio „die Tür für eine mögliche Vermittlung offen zu lassen“.

Moskau reicht jedoch dem Pontifex nicht die Hand. Es ist bekannt, dass der Papst den russischen Präsidenten Wladimir Putin um eine Begegnung im Kreml gebeten, aber letztlich keine Antwort erhalten hat. Da hatte das Oberhaupt der Katholiken die Hoffnung auf ein Treffen mit Patriarch Kirill im Rahmen des Gipfeltreffens der Spitzenvertreter der traditionellen Religionen, das in der kommenden Woche in Kasachstan erfolgen wird, bekundet. Aber auch das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, der früher nicht dagegen gewesen war, die Hauptstadt Kasachstans zu besuchen, hat im letzten Moment auf eine Teilnahme an dem internationalen interreligiösen Forum und folglich auch auf eine Begegnung mit dem Papst verzichtet.

Dass man in Russland den friedensstiftenden Aktivitäten des Pontifex mit Skepsis gegenüberstehe und ihn weder in der Rolle eines Vermittlers zwischen den Konfliktländern noch als einen Gast in der eigenen Hauptstadt sehen möchte, sei durchaus erklärbar, meint Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für Polittechnologien. „Im Jahr 2016 hatte gerade der russische Staat das Treffen des römischen Papstes und von Patriarch Kirill auf Kuba stimuliert. Aber damals hatte es in Havanna etwas zu bereden gegeben. Die Positionen der Seiten waren zumindest hinsichtlich der Bereitschaft nahe, die Christen im Nahen Osten zu verteidigen. Der russische Staat bedurfte damals im Westen einer Legitimierung seiner Handlungen in Syrien. Gebraucht wurden, wenn nicht Verbündete, so zumindest jene, die, wenn nicht direkt unterstützen so doch aber auch nicht verurteilen. Und in diesem Sinne war die angenommene gemeinsame Erklärung des Papstes und des Patriarchen zum Schutz der Christen im Nahen Osten allen recht – sowohl dem russischen Staat als auch der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Vatikan“, erläuterte der Politologe in einem Gespräch mit der „NG“. „Jetzt gibt es so etwas nicht. Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen haben sich verändert. Der Westen wird von den russischen Herrschenden schon nicht einfach als ein Opponent, sondern als ein Feind und eine existentielle Bedrohung angesehen. Dementsprechend wird auch der Vatikan als Westen aufgefasst“.

„Der Vatikan nimmt in allen großen Konflikten stets eine sehr vorsichtige Haltung ein“, meint der Experte. „Der Heilige Stuhl ist in allen Fällen bestrebt, sich als ein Friedensstifter zu positionieren. Dieses Positionieren führt aber oft zu einer sehr ernsthaften Kritik. Dieses Mal hat Franziskus in dem Versuch, keinen zu kränken, letztlich alle gekränkt. Die Ukraine hatte ihn als einen Mann des Westens aufgefasst und erwartete Unterstützung, die sie nicht erhielt. Und in Moskau hat man seine Charakterisierung für den Patriarchen als einen Lakai Putins negativ zur Kenntnis genommen“, meint Makarkin. „Heute begreift man im Vatikan gut, dass dem Heiligen Stuhl eine politische Vermittlermission wohl kaum gelingen wird. Sie haben aber jetzt eine minimale Aufgabe – ihre seelsorgerische Rolle in den Ländern des Konflikts zu wahren, um die Rechte und Interessen ihrer Gläubigen zu sichern, die es sowohl in der Ukraine als auch in Russland gibt“, resümierte der Politologe.

Am 5. September tauchte auf der Internetseite von CNN Portugal ein Interview des Pontifex vom 11. August auf, in dem er erklärte, dass er aufgrund von Knieschmerzen in der nächsten Zeit weder Kiew noch Moskau besuchen könne. „Gegenwärtig kann ich nicht reisen, da sich nach der Kanada-Reise die Wiederherstellung des Knies verlangsamt hat. Und die Ärzte haben es mir untersagt“, sagte Franziskus. Bisher ist unklar, ob das Oberhaupt der Katholiken in der kommenden Woche wirklich nach Kasachstan kommen wird. Bergoglio unterstrich besonders, dass „er sich in einem ständigen Kontakt“ mit der Führung der Ukraine und Russlands befinde. Er gestand jedoch ein: „Die Situation ist eine wirklich tragische“.