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Die Türkei verliert das Interesse am russischen Erdgas


Die Türkei forciert rasch die Förderung eigenen Erdgases und reduziert den Import des Energieträgers, unter anderem auch aus Russland. Die großen Gasvorräte im Schwarzen Meer erlauben den Türken, die Preise für alle potenziellen ausländischen Lieferanten zu diktieren. Das Auslaufen des Abkommens über den ukrainischen Transit für russisches Erdgas und die Selbstversorgung der Türkei mit Gas beeinflussen Russen auf unmittelbarste Art und Weise. Nicht zufällig erörtert man heute im Westen und in der Russischen Föderation verschiedene Transit-Schemen für aserbaidschanisches Gas nach Europa durch russische Pipelines.

Die Erdgas-Fördermengen der Türkei auf dem Gasfeld Sakarya im Schwarzen Meer hätten bereits 6 Millionen Kubikmeter am Tag erreicht, teilte der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar mit. „Jetzt nutzen sechs Millionen von 20 Millionen Haushalten, die in der Türkei Erdgas einsetzen, Gas, dass wir auf dem Sakarya-Feld fördern“, sagte der Minister, wobei er versprach, dass bis April kommenden Jahres die Förderung bis auf zehn Millionen Kubikmeter am Tag erhöht werde. Er informierte gleichfalls, dass schon im Herbst eine neue schwimmende Förderplattform an der Schwarzmeerküste der Türkei eintreffen werde, was dem Land erlauben werde, zehn Milliarden Kubikmeter Gas im Verlauf von 20 Jahren in einer Entfernung von 170 Kilometern von der Küste zu fördern.

Bereits im Jahr 2020 war im Schwarzen Meer vor der Küste der Türkei das große Gasfeld entdeckt worden, dessen Reserven auf 540 Milliarden Kubikmeter Gas geschätzt werden. Damals hatte es der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als größtes im Land bezeichnet. Er hatte gleichfalls mitgeteilt, dass im Schwarzen Meer noch ein Gasfeld mit einem Umfang der Vorräte von 58 Milliarden Kubikmeter gefunden worden sei. Und die Gesamtvorräte an Schwarzmeer-Erdgas erreichten damit 710 Milliarden Kubikmeter und kosten auf den internationalen Märkten eine Billion Dollar. Die Gasvorräte sind für eine Befriedigung des Inlandsbedarfs seitens der Haushalte im Verlauf von 35 Jahren ausreichend. Die Förderung auf dem Sakarya-Feld begann im Jahr 2023. Und bereits im Mai dieses Jahres sind dort durch die Türkei 6,1 Millionen Kubikmeter Gas am Tag gefördert worden, was fünfmal mehr war im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Vor dem Hintergrund der Zunahme der Gasförderung im Land geht dessen Import zurück. So importierte die Türkei im Mai 2,9 Milliarden Kubikmeter, was um 22 Prozent weniger war als im Jahr zuvor, teilte Ende Juli Enerji Piyasası Düzenleme Kurumu, der Rat für die Regulierung des Energiemarktes des Landes (EPDK), mit. Dabei brachen die Lieferungen russischen Pipelinegases im Mai um fast 30 Prozent bis auf 734 Millionen Kubikmeter ein. Übrigens, im April hatten die türkischen Importeure von GAZPROM lediglich 413 Millionen Kubikmeter Gas erworben, um mehr als zwei Drittel weniger als im Vergleichsmonat des Vorjahres (1,5 Milliarden Kubikmeter).

In den ersten fünf Monaten dieses Jahres exportierte GAZPROM insgesamt 8,39 Milliarden Kubikmeter in die Türkei, was 100 Millionen Kubikmeter mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres ist. Die Lieferungen gehen jedoch zurück. Während im I. Quartal des Jahres der russische Konzern 7,24 Milliarden Kubikmeter lieferte, waren es im April-Mai nur noch 1,1 Milliarden Kubikmeter Gas.

Was die Erklärungen der Türkei angeht, so sieht bisher alles so aus, als ob sich die Türkei anschickt, mit den Gasexporteuren um eine Reduzierung der Preise zu handeln, urteilt Wladislaw Antonow, Finanzanalytiker der Firma BitRiver. Die Gaslieferungen in die Türkei würden jedoch tatsächlich zurückgehen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kaufte die Türkei um drei Milliarden Kubikmeter Gas weniger als im vergangenen Jahr. Es nehmen nur die Lieferungen aserbaidschanischen Gases zu. So haben die Türken im Mai dieses Jahres über eine Milliarde Kubikmeter Gas gekauft, was um fast ein Prozent mehr als im Jahr zuvor ist. In den ersten fünf Monaten haben die Lieferungen aus Aserbaidschan um 240 Millionen Kubikmeter zugenommen und 4,67 Milliarden Kubikmeter erreicht.

Der mögliche Verzicht der Türkei auf russisches Gas wird Russland zusätzlich die Suche nach Absatzmärkten erschweren. So haben in den ersten sieben Monaten dieses Jahres die Staaten der Europäischen Union 93 Milliarden Kubikmeter des Energieträgers erworben. Der russische Export von Pipelinegas nach Europa machte lediglich 18,1 Milliarden Kubikmeter aus. Dabei wurden durch die Pipeline Turk Stream 9,26 Milliarden Gas geliefert. Im Vergleich dazu sei gesagt: Im gesamten vergangenen Jahr exportierte GAZPROM rund 47 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa und in die Türkei. Der Verlust des europäischen Marktes führte dazu, dass die russische Gas-Holding im letzten Jahr erstmals seit 1999 Verluste fixieren musste.

Aserbaidschan exportierte in den ersten sieben Monaten dieses Jahres 14,7 Milliarden Kubikmeter Gas. Etwas mehr als die Hälfte davon (7,5 Milliarden Kubikmeter) wurden für den europäischen Markt geliefert, meldete der Pressedienst des Energieministeriums der Republik. Weitere acht Milliarden Kubikmeter Gas wurden in die Türkei geliefert.

Im gesamten vergangenen Jahr exportierte Aserbaidschan 23,8 Milliarden Kubikmeter Gas. Und beinahe die Hälfte dieser Menge (11,8 Milliarden Kubikmeter) entfiel auf den europäischen Markt. Käufer aserbaidschanischen Gases in Europa sind Bulgarien, Ungarn, Griechenland, Italien, Rumänien, Serbien und Slowenien.

Das aserbaidschanische Gas ist eine bevorzugte Variante für Europa im Falle eines endgültigen Verlusts des ukrainischen Transits. Es sei daran erinnert, dass Ende des Jahres der 5-Jahres-Vertrag für russische Gaslieferungen in die EU über das Territorium der Ukraine ausläuft. Gegenwärtig erfolgen die Lieferungen in einem eingeschränkten Modus. Seit Mai des Jahres 2022 ist unter anderem der Transit nach Europa über die Gasmessstation Sochranowka eingestellt worden. Geblieben sind die Lieferungen nur über die Gasmessstation Sudscha, die pro Tag etwa 40 Millionen Kubikmeter Gas ausmachen.

Ende Juli erklärte man in Baku, dass man mit Moskau Gespräche über eine Beibehaltung des Transits russischen Gases in die EU durch die Ukraine führe. „Es scheint, dass beide Seite (die EU und die Ukraine – „NG“) daran interessiert sind, denn die Ukraine braucht selbst dieses Gas. Wir befinden uns in einem Verhandlungsprozess mit Russland. Und wenn wir helfen können, werden wir helfen“, sagte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew. Nach seinen Worten würden solche Länder wie Österreich und die Slowakei ernsthafte Unannehmlichkeiten zu spüren bekommen, wenn die russischen Gaslieferungen durch die Ukraine eingestellt werden, denn sie würden hunderte Millionen Dollar oder mehr zahlen müssen, um das russische Gas durch andere Quellen zu ersetzen.

Und im Juni meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass Brüssel mit Kiew Verhandlungen über eine Fortsetzung des russischen Gastransits nach Europa führe. Dabei war eine andere diskutierte Variante der Kauf und das Einspeisen von Gas aus Aserbaidschan in russische Pipelines, die in die EU führen, durch europäische Unternehmen. Die meisten Experten waren sich damals in der Meinung einig, dass es um Swaps-Geschäfte gehe, bei denen die Gaslieferungen aus der Russischen Föderation virtuell als aserbaidschanische angesehen werden.

Teilweise hatte man solch eine Möglichkeit auch in Baku bestätigt. Präsident Alijew sagte, dass Aserbaidschan keine Milliarden Dollar in eine Aufstockung der eigenen Gasförderung und in die Erweiterung der Infrastruktur für Gasexporte in die EU investieren werde. Wenn sich die Europäer sperren würden, dafür Mittel bereitzustellen. Er verwies unter anderem darauf, dass die Europäer eine Erhöhung der Durchlassfähigkeit des Südlichen Gaskorridors (umfasst die Gaspipeline Baku-Tbilissi-Erzurum, die Transanatolische Gaspipeline und die Transadria-Gaspipeline) von 16 Milliarden bis auf 32 Milliarden Kubikmeter auf Kosten aserbaidschanischer Mittel erreichen wollen. „Wir haben unsere Ausgaben hinsichtlich der Investitionen für den Südlichen Gaskorridor noch nicht wettgemacht. Unsere Einnahmen aus dem Verkauf von Gas werden nach wie vor für eine Tilgung dieser Schulden eingesetzt“, sagte das aserbaidschanische Staatsoberhaupt.

Am Montag ging der Staatsbesuch von Russlands Präsident Wladimir Putin in Aserbaidschan zu Ende. Unterstrichen wurde, dass die Seiten planen würden, Fragen der weiteren Entwicklung der bilateralen Beziehungen im Geiste einer strategischen Partnerschaft und Bündnispolitik zu erörtern. Einige Experten hatten nicht ausgeschlossen, dass zum Gegenstand der Diskussion auch ein Reexport russischen Gases nach Europa werden könne. Derartige Informationen blieben aber am Ende des Putin-Besuchs in Baku aus.

Andere Experten sind sich sicher, dass es für Brüssel und Kiew wichtig sei, den Transit über das ukrainische Territorium zu bewahren, da dieser Transit eine gewichtige Einnahmen-Quelle auch für den ukrainischen Etat sei. Im Jahr 2021 machten z. B. die Einnahmen aus dem Transport von Gas durch das Land eine Milliarde Dollar aus.