Das Lobbyieren der Interessen der Ukraine seitens der Türkei ist in Sotschi nicht nur aufgrund wirtschaftlicher, sondern auch aufgrund militärischer Ursachen nicht gelungen. Moskau gab Kiew keine Chance, zusätzliche Einnahmen für die Versorgung seiner Truppen und die Organisierung von Kampfhandlungen zu erhalten. Dabei hätten, wie der Verteidigungsminister der Russischen Föderation, Sergej Schoigu, bei einer Beratung am 5. September erklärte, die Streitkräfte der Ukraine im Verlauf der bisherigen dreimonatigen sogenannten Gegenoffensive „an nicht einer der Richtungen ihre Ziele erreicht“.
„Die ukrainische Führung bemüht sich verzweifelt, den westlichen Kuratoren zumindest irgendeinen Erfolg der Offensivhandlungen zwecks eines weiteren Erhalts militärischer und wirtschaftlicher Hilfe zu demonstrieren, was nur den Konflikt in die Länge zieht“, erklärte der russische Verteidigungsminister. Nach seinen Worten würden die Verluste der Streitkräfte der Ukraine in der Zeit der Gegenoffensive über 66.000 Menschen, aber auch 7500 Waffensysteme und Gefechtstechnik ausmachen (wobei diese Zahlen nicht überprüfbar sind – Anmerkung der Redaktion).
Wobei, wie sich herausstellt, die Türkei als einer der wichtigen Teilnehmer bzw. Lieferanten „militärischer und wirtschaftlicher Hilfe“ für die Ukraine auftritt. Ohne in Sotschi eine Wiederaufnahme des „Getreide-Deals“ zu erreichen, bereitet Ankara ein 3seitiges Treffen unter Beteiligung von Tokio und Kiew vor, in dessen Verlauf geplant ist, einen detaillierten Plan für den Wiederaufbau der Ukraine nach Beendigung der Kampfhandlungen zu erstellen. Wie Nikkei Asia berichtet, würden Vertreter türkischer, japanischer und ukrainischer Unternehmen sowie offizielle Persönlichkeiten für diese Ziele in Istanbul zu einem ersten dreiseitigen Business-Forum am 21. September zusammenkommen. Laut Medienangaben nimmt die Türkei schon jetzt in der Ukraine an 262 Wiederaufbau-Projekten mit einem Wert von 9,3 Milliarden Dollar teil. Dieser Wert macht in Rubel umgerechnet etwa ein Drittel des gesamten offiziell bekannten Verteidigungshaushaltes der Russischen Föderation für das Jahr 2023 aus. Der überwiegende Teil der türkisch-ukrainischen Projekte besitzt eine Ausrichtung, die mit dem Rüstungsindustriekomplex verbunden ist. Grundlage für solch eine Tätigkeit sind ein Memorandum Ankaras und Kiews über gegenseitiges Einvernehmen hinsichtlich des Wiederaufbaus des Landes, aber auch ein Regierungsabkommen der Ukraine und der Türkei über eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochtechnologien sowie in den Flugzeugbau- und Raumfahrt-Sektoren, das am 23. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist.
Der Vorsitzende der Vereinigung der türkischen Auftragnehmer (Turkish Contractors Association), Erdal Eren, teilte Nikkei Asia mit, dass die „türkischen Unternehmen bereits begonnen hatten, an entscheidenden Projekten unter den Bedingungen des Konflikts teilzunehmen, indem sie überaus wichtige Brücken in der Umgebung von Kiew und Irpen instand setzten“. Dies ist aber – wie es heißt – nur die Spitze des Eisberges. Wie früher Medien berichteten, hatte im Herbst vergangenen Jahres das türkische Unternehmen Baykar die Errichtung eines Werks zur Herstellung von Bayraktar-Kampfdrohnen in der Ukraine begonnen, in dem Bayraktar TB2 und AKINCI gefertigt werden. Die Errichtung des Unternehmens sieht eine Übergabe von Technologien und eine Lokalisierung der Fertigung vor. Dabei haben am 31. Juli dieses Jahres das Verteidigungsministerium der Ukraine und die türkische Firma Baykar einen Vertrag über die Errichtung neben dem eigentlichen Werk auch eines Service-Zentrums für die Reparatur und Wartung von Bayraktar-Drohnen abgeschlossen.
Laut Angaben aus offenen Quellen beteiligt sich die Ukraine an einer Ausschreibung zur Entwicklung eines Triebwerks für das türkische Jagdflugzeug der fünften Generation TF-X Kaan. Derzeit werden in die Versuchsmuster dieser Kampfflugzeuge amerikanische F110-Düsentriebwerke eingebaut (die ersten 20 KAAN-Jagdflugzeuge werden gerade mit ihnen ausgerüstet). An der Ausschreibung nimmt auch der britische Konzern Rolls Royce teil. Wie aber westliche Medien berichteten, sei die Ukraine bereit, bei einer finanziellen und logistischen Unterstützung der Türkei die Entwicklung solch eines Triebwerks in seinen Unternehmen zu beginnen. Gemeldet wurde, dass für die Ausschreibung für dieses Vorhaben in der Ukraine die Unternehmen TEI und Ivtchenko-Progress angetreten waren. Und als Generalauftragnehmer war das Unternehmen TRMotor aufgetreten.
„Die Namen dieser Firmen sagen im Großen und Ganzen nichts. Es ergibt sich aber die Frage: Warum gibt es nach mehr als anderthalb Jahren militärischer Sonderoperation in der Ukraine dort nach wie vor Unternehmen und Produktionsstätten, die in der Lage sind, hochtechnologische Verteidigungserzeugnisse herzustellen?“, sagte der „NG“ der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Wladimir Popow. Er lenkt das Augenmerk auf die Tatsache, dass der Konzern Ivtchenko-Progress in den letzten Jahren Motoren des Typs AI-25 und AI-322 an die Türkei liefert, die in türkische Drohnen eingebaut werden. Und mit AI-450S-Triebwerken werden die in großen Höhen fliegenden Akinci-Drohnen mit einer großen Reichweite, die in den Streitkräften der Türkei eingesetzt werden, ausgerüstet (sie stammen ebenfalls aus einer ukrainischen Fertigung).
Der Experte teilte mit, dass am 18. August 2023 in der Türkei unter Beteiligung einer Delegation, zu der der Stabschef der Seestreitkräfte der Ukraine, Vizeadmiral Andrej Tarassow, und der stellvertretende Verteidigungsminister der Ukraine, Wladimir Gawrilow, gehörten, die Kiellegung einer zweiten Korvette für die Ukraine erfolgte. Außer ihr baut die Türkei für die ukrainischen Seestreitkräfte die Korvette „Hetman Iwan Masepa“, die im Oktober letzten Jahres zu Wasser gelassen wurde. „Offenen Angaben nach zu urteilen, hat Ankara im Jahr 2022 an die Streitkräfte der Ukraine funkelektronische Kampfmittel, 200 gepanzerte Fahrzeuge des Typs MRAP BMC Kirpi, Minenwerfer und Munition geliefert. Darüber hinaus erhielten die ukrainischen Streitkräfte hochpräzise Raketenwerfer-Systeme des Typs TRLG-230 und Luft-Luft-Raketen mit Infrarot-Zielsuchern für die Drohnen Bayraktar TB2“, betont Popow.
„Russland realisiert ebenfalls eine militärtechnische Zusammenarbeit mit der Türkei. Es lieferte in den Jahren 2017-2018 für die Streitkräfte dieses Landes vier S-400-Divisionen. Diskutiert wurden Fragen über weitere Lieferungen dieser Luftabwehr-Raketenkomplexe und über mögliche Verhandlungen zu Lieferungen von Su-35-Jagdflugzeugen und Su-57-Flugzeugen der fünften Generation an Ankara. Es gibt jedoch Gründe zur Annahme, dass all diese Waffensysteme in der NATO und möglicherweise in der Ukraine, in der die Russische Föderation die (militärische) Sonderoperation durchführt, kopiert werden“, sagte der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow.
Er betont, dass bei den Gesprächen in Sotschi neben Erdogan Hauptvertreter der türkischen Verteidigungs- und Sicherheitsbürokratie gewesen waren: Außenminister Hakan Fidan, Verteidigungsminister Yaşar Güler, der Chef des nationalen Aufklärungsdienstes (Inlandsgeheimdienstes) İbrahim Kalın und der Präsident der türkischen Agentur der Verteidigungsindustrie Haluk Görgün. „Offiziellen Meldungen nach zu urteilen, sind mit diesen Männern in Sotschi keinerlei Vereinbarungen abgeschlossen worden“, betonte der General.