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Die Türkei wird wohl kaum den Streit Russlands und der Ukraine lösen


Die Türkei ist bereit, ihre Verhandlungsplattform für die Organisierung eines russisch-ukrainischen Treffens auf höchster Ebene bereitzustellen. Der Präsident der Republik Recep Tayyip Erdogan hat die Amtskollegen Wladimir Putin und Wladimir Selenskij eingeladen, um „alle Meinungsverschiedenheiten beizulegen“. Dies ist nicht der erste Vorschlag der Offiziellen des zur NATO gehörenden Staates, diplomatische Vermittleranstrengungen bei der Beilegung der Widersprüche rund um den Donbass zu unternehmen. Dennoch bestehen in Expertenkreisen Zweifel, dass den Kreml die türkische Initiative interessieren könne.

Dass Ankara bereit sei, „in jeglicher Rolle zu agieren“, um die Spannungen zu verringern, hatte der offizielle Sprecher des türkischen Staatsoberhauptes Ibrahim Kalin erklärt. „Präsident Erdogan führt Gespräche sowohl mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin als auch mit dem Präsidenten der Ukraine Wladimir Selenskij“, erinnerte der Beamte bei einer Podiumsdiskussion, die von dem US-amerikanischen analytischen Zentrum „Circle Foundation“ organisiert worden war. „Tatsächlich hat er sogar sie beide eingeladen, in die Türkei zu kommen, wenn sie sich treffen sowie ihre Probleme und Differenzen erörtern wollen“. Das türkische Staatsoberhaupt „wird in den nächsten Wochen zu Gesprächen mit Selenskij in die Ukraine reisen“.

Der Sprecher Erdogans unterstrich, dass die russische Seite eigene Forderungen hätte, die das geopolitische Gleichgewicht betreffen, und die müsse man erörtern. Nach seinen Worten gebe es keine schnellen Rezepte für solch langfristigen Probleme.

Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, merkte bei der Kommentierung der Initiative der türkischen Partner an, dass der Ort für die Organisierung von Kontakten auf höchster Ebene eine sekundäre Frage sei. „Das Wichtigste ist, Einfluss auf die Ukraine zu nehmen“, unterstrich er. „Es versteht sich, wir begrüßen die Anstrengungen jeglicher Länder, die bei der Regelung der Situation in der Ukraine helfen können. Die hauptsächlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und der Ukraine hängen gerade mit dem Schlingern des Prozesses zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen seitens Kiews zusammen. Wenn unsere türkischen Partner die Ukrainer beeinflussen und sie zur Erfüllung der früher übernommenen Vereinbarungen und Pflichten veranlassen können, kann man dies nur begrüßen“.

Am Vorabend hatte Erdogan im Gespräch mit Journalisten an Bord seines Flugzeugs auf einem Flug aus Albanien informiert, dass er in der nächsten Zeit Gespräche mit Aserbaidschans Präsidenten Ilham Alijew führen werde, der ebenfalls jüngst die Ukraine besucht hatte. „Natürlich müssen wir diese Fragen auch mit Herrn Putin diskutieren“, erklärte Erdogan. „Ich halte die Perspektive für einen Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht für realistisch, denn die Ukraine ist kein gewöhnliches Land. Dies ist ein starkes Land. Außerdem, damit sich Russland darauf einlassen kann, muss es sich die Situation in der gesamten Welt und die eigene Situation anschauen“. Er merkte an, dass er bei jedem Treffen mit Putin die Position Ankaras „gegen die Okkupation der Krim“ deutlich mache.

Ein ernsthafter Reizfaktor in den russisch-türkischen Beziehungen war bis heute die militärtechnische Zusammenarbeit Ankaras und Kiews gewesen. Besorgnis des Kremls hatten seinerzeit die Lieferungen von „Bayraktar“-Kampfdrohnen aus türkischer Produktion an die ukrainische Seite ausgelöst, die im Donbass gesichtet wurden. Die russische Führung hatte die Zweifel deutlich gemacht, dass eine derartige Ausstattung der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen entspreche und den Prozess der diplomatischen Konfliktbeilegung fördere. Im Verlauf der persönlichen Kontakte mit Erdogan im vergangenen Dezember hatte Putin erklärt, dass der Einsatz von Kampfdrohnen in der Konfliktzone zu „provokanten Aktivitäten“ gerechnet werde.

In Kiew hatte man darauf verwiesen, dass die „Bayraktar“-Drohnen regelmäßig im Donbass arbeiten, wobei sie aber „nicht auf das nichtkontrollierte Territorium vordringen“. Sie würden „für die Beobachtung der Tätigkeit des Gegners“ eingesetzt, betonte der Befehlshaber der Militäroperation in der Konfliktzone Alexander Pawljuk. Im Dezember informierte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte, dass er die Informationen über den Einsatz von „Bayraktar“-Drohnen im Bereich der Militäroperation für geheime erklärt hätte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies auf Bitten von Ankara getan wurde, das aufgerufen hatte, die Situation rund um die Lieferungen von „Bayraktar“-Drohnen an die Ukraine nicht aufzubauschen.

Wie Professor Torgul Ismail von der Universität in Ankara gegenüber der „NG“ erklärte, sei die Krise zwischen Russland und der Ukraine für Ankara äußerst unvorteilhaft. „Jegliche Konflikte in der Region des Schwarzen Meeres gereichen der türkischen Seite nicht zum Nutzen“, erläuterte der Analytiker. „Im Zusammenhang damit ist die Türkei bereit, alles Mögliche zu tun, um eine Konfrontation zu vermeiden. Bis dahin hatte Präsident Erdogan eine Vermittlung zwischen Kiew und Moskau angeboten. Wenn die amerikanische Seite sagt, dass Russland bereit sei, die Ukraine zu überfallen, wenn der Westen die Ukraine bewaffnet, so belege dies die Ernsthaftigkeit des Konflikts. Daher versucht Ankara, eine Eskalierung zu verhindern“. Nach Aussagen Ismails hätte Erdogan gute persönliche Beziehungen sowohl mit Putin als auch mit Selenskij.

Die Leiterin des analytischen Zentrums R.Politik, die Politologin Tatjana Stanowaja, erläuterte der „NG“, dass für Moskau die Frage über Gespräche mit Kiew bereits im Jahr 2020 den Sinn verloren hätte. „Folglich ist es auch bereits unwichtig, was für ein Standort dafür genutzt wird“, betonte die Expertin. „Gegenwärtig dreht sich alles rund um die Verhandlungen zwischen der Russischen Föderation und den USA über Sicherheitsgarantien. Und die Frage des Konflikts im Donbass ist lediglich zu einer von Episoden geworden, wenn auch der brisantesten, dieser weitaus umfangreicheren Agenda. Und selbst wenn es nicht diesen größeren geopolitischen Kontext geben würde, sehe ich keinerlei Gründe, weswegen sich Putin mit Selenskij an den Verhandlungstisch setzen sollte, solange der russische Staatschef keinen Fortschritt bei der Realisierung der Minsker Abkommen sieht (und den sieht er nicht)“. Im Zusammenhang damit schaue Moskau auf die Initiative Erdogans wie auf dessen eigene geopolitische PR-Aktion, die man ignorieren könne, resümierte Stanowaja.