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Die Ukraine hat es auf Eigentum Russlands abgesehen


In der nächsten Zeit steht der Ukraine und Russland eine Schlacht in britischen Gerichten bevor. Auf dem Spiel stehen Immobilien der russischen Botschaft. Wie die Londoner Zeitung „The Times“ berichtete, bereiten sich ukrainische Diplomaten darauf vor, eine Konfiszierung von Eigentum der Russischen Föderation auf dem Territorium Großbritanniens zu erreichen. Wenn dies gelingt, so ist nicht auszuschließen, dass mit einem großen Maß an Wahrscheinlichkeit analoge Schritte in anderen Ländern der Welt, insbesondere in den USA und EU-Staaten, folgen werden. Dort werden gerade entsprechende Gesetzesänderungen ausgearbeitet.

Der Botschafter der Ukraine in Großbritannien, Wadim Pristaiko, engagiert einen Anwalt zwecks Konfiszierung von 18 Immobilienobjekten, die sich auf dem britischen Territorium befinden und Bürgern Russlands gehören, berichtete das Blatt „The Times“. Der Gesamtwert der Objekte, auf die es der ukrainische Diplomat abgesehen hat, beläuft sich auf etwa 100 Millionen Pounds Sterling. Unter ihnen sind das Gebäude der Handelsvertretung Russlands und die Vertretung des Militärattachés. Das „Filetstück“ in der Liste der potenziellen „Trophäen“ der ukrainischen Seite ist das Schloss Seacox Heath (Seacox Heath Castle) in der Grafschaft Kent. Es war der Sowjetunion 1947 geschenkt worden und wird recht oft in der britischen Presse erwähnt, mitunter in einem extrem negativen Kontext. So schrieb „The Times“, dass das Anwesen „von russischen Spionen zum Ausruhen“ genutzt werde. Pristaiko bekundete die Gewissheit, dass die Ukraine den entsprechenden Prozess gewinnen und die Russische Föderation zwingen werde, die Immobilie zu übergeben oder zu verkaufen. Die eingenommenen Mittel würden für die Hilfe für die ukrainische Armee verwendet werden. Pristaiko rief gleichfalls die anderen Länder, die die Ukraine unterstützen, auf, analoge Klagen zu erheben.

Die Botschaft der Russischen Föderation in Großbritannien hat eine Erklärung veröffentlicht, in der sie darauf verwies, dass die rechtlichen Grundlagen für derartige Klagen zweifelhafte seien. „Die Räumlichkeiten diplomatischer Vertretungen und Häuser von Botschaftsmitarbeitern schützt das Prinzip der diplomatischen Immunität“, erinnerten die russischen Diplomaten. Wenn die Erklärung von Pristaiko keinen rein propagandistischen Charakter besitzt, so wird das entsprechende britische Gericht die Argumente der russischen Seite zu würdigen wissen. Im Falle einer Niederlage wird sich für die Russische Föderation ein gefährlicher Präzedenzfall ergeben. Erstmals würde Eigentum des Staats konfisziert werden. Und die erzielten Einnahmen würden an die Ukraine gehen.

An und für sich ist die Idee, so die Kosten des ukrainischen Staates und dessen Ausgaben für die Armee zu decken, nicht neu und wurde bereits mehrfach geäußert. Beispielsweise hat der ukrainische Milliardär Rinat Achmetow vor, russisches Staatseigentum auf dem Gerichtsweg zu erlangen. So plant er, die Verluste seines Finanz- und Industrieimperiums, dessen Unternehmen sich im Donbass befinden, wettzumachen. Jedoch ist selbst in der Ukraine an sich die Idee von einer Konfiszierung russischer Vermögenswerte nicht verwirklicht worden. Die Werchowna Rada (das ukrainische Parlament – Anmerkung der Redaktion) hat bereits zwei Gesetzentwürfe diesbezüglich verabschiedet, doch Präsident Wladimir Selenskij hat nicht einen von ihnen unterschrieben.

In der ganzen Welt werden Eigentum der russischen Bürger, die unter die westlichen Sanktionen geraten sind, und Vermögenswerte des russischen Staates nur festgesetzt. Wie auf der Internetseite des US-Finanzministeriums mitgeteilt wird, sind neben rund 300 Milliarden Dollar Vermögenswerte der Bank Russlands über 30 Milliarden Dollar, die Bürgern Russlands gehören, eingefroren worden. Wenn all diese Gelder für eine Hilfe für die ukrainische Armee und die Armee eingesetzt werden würden, würde das Land zweifellos keinerlei westlicher Unterstützungsmaßnahmen bedürfen. Schließlich beläuft sich derzeit das umfangreichste Hilfsprogramm, das die EU für Kiew aufgesetzt hat, neun Milliarden Euro. Dieser Tage billigte das Europa-Parlament die erste Tranche über eine Milliarde Euro. Die Ukraine hat aber diese Gelder noch nicht erhalten. Erforderlich ist eine Billigung seitens des Europarates.

Bisher gibt es wenig Grundlagen für die Auffassung, dass Vermögenswerte russischer Bürger gerade konfisziert werden. Eine entsprechende Rechtsgrundlage gibt es nicht einmal in den USA. Ein Gesetzentwurf, der die Konfiszierung von Besitz russischer Unternehmer betrifft, ist im Kongress hängengeblieben. Wie die Zeitung „The New York Times“ berichtete, hätte die eigentliche Idee von einer Beschlagnahmung von Vermögenswerten privater Personen großen Widerstand ausgelöst. Die Amerikaner beeilen sich nicht, dem Beispiel von Kanada zu folgen, wo im Juni doch ein Gesetz verabschiedet wurde, das auf Gerichtsbeschluss unter die Sanktionen fallenden Vermögenswerte zu konfiszieren erlaubt.

Möglicherweise wird Europa schneller diesen Weg beschreiten. In Großbritannien hatte sich Außenministerin Liz Truss recht geneigt über die Idee von einer Beschlagnahmung russischer Aktiva geäußert. Nach ihren Worten arbeite das Ministerium bereits an dieser Frage. Unter Berücksichtigung dessen, dass Truss eine reale Anwärtin auf den Posten des Premierministers ist, kann man sagen, dass die Initiative von Pristaiko einen einflussreichen Lobbyisten und Anhänger hat. Es muss gleichfalls hinzugefügt werden, dass in der vergangenen Woche die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, mitteilte, dass „wir an der Rechtsgrundlage arbeiten, um eine Nutzung von Vermögenswerten Russlands und teilweise von Oligarchen für den Wiederaufbau der Ukraine möglich zu machen“. Wann diese Arbeit abgeschlossen werde, sagte sie nicht.