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Die ukrainische Kirche wird sich bis zuletzt am Kiewer Höhlenkloster festklammern


Der Abt des Kiewer Höhlenklosters, Metropolit Pawel (Lebedj), ist am 1. April durch eine Entscheidung des Schewtschenko-Stadtbezirksgerichts von Kiew für 60 Tage unter Hausarrest mit dem Tragen einer elektronischen Beinfessel gestellt worden. Ihm wirft man unter anderem ein Schüren zwischenreligiöser Feindschaft aufgrund von Erklärungen gegen die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) und den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomeus I., vor. Dem Hierarchen drohen bis zu acht Jahre Gefängnis.

Lebedj war zum Gericht direkt aus dem Höhlenkloster (Lawra), wo er zusammen mit Gläubigen – beginnend ab dem 30. März – die Arbeit einer Sonderkommission des Kulturministeriums der Ukraine zur Erfassung des Eigentums des Klosters für dessen Übergabe an den Staat verhinderte, gebracht worden. Metropolit Pawel selbst hält die strafrechtliche Verfolgung für eine „politisch motivierte“. Das Verfahren war gegen ihn eingeleitet worden, gleich nachdem er in einem Videoappell an den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij angedroht hatte, dass die Tränen der Gläubigen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) „nicht auf den Erdboden fallen werden“. „Sie werden Ihnen auf das Haupt fallen. Denken Sie, dass, indem sie auf unseren Rücken an die Macht gekommen sind, Sie handeln können? Der Herr wird weder Ihnen noch Ihrer Familie vergeben! Möge Kummer über Sie kommen. Fürchten Sie sich!“, erklärte abschließend der Abt. Zuvor hatte Selenskij erklärt, dass die „Ukraine ein Territorium der größten Religionsfreiheit in diesem Teil Europas ist“. Und die Vertreibung der Vertreter der UOK aus der Lawra sei ein „Schritt zur Verstärkung der geistlichen Unabhängigkeit“ des Landes und zur „Verteidigung“ der ukrainischen Gesellschaft „vor den zynischen Moskauer Religionsmanipulationen“.

Bezüglich der OKU und des Patriarchats von Konstantinopel hatte Metropolit Pawel am 29. März Folgendes gesagt: „Und jetzt, Brüder und Schwestern, schaut von der Seite auf diese sogenannte Kirche, die das Geistliche zerstört, die das Heilige des Lebens zerstört und die den Menschen das Letzte nimmt. Komme Leid und Scham über Sie, sogenannter Patriarch. Denn heute wird all dies entsprechend Ihren unseligen und hinterhältigen Segen getan“.

Aufgrund des schlechten Befindens des Bischofs hatte man die Gerichtsverhandlung anfangs bis auf den 3. April verschoben. In den Abendstunden des 1. Aprils entschied man jedoch, die Sitzung wiederaufzunehmen und eine Entscheidung zu treffen. Der Sicherheitsdienst der Ukraine veröffentlichte „Beweise“ für die Schuld Lebedjs, wobei er ihn als „ehemaligen“ Abt der Lawra bezeichnete. Es sei daran erinnert, dass am 10. März der Führung der UOK die Benachrichtigung übergeben worden war, wonach die Mönche, der Klerus und die Seminaristen die Gebäude des Klosters bis 23.59 Uhr des 29. März verlassen sollten. Die Vertreter der UOK hatten nicht nur abgelehnt, diese Anweisung zu erfüllen, sondern behinderten auch am 30. und 31. März die Beamten, die zwecks einer Erfassung des Eigentums gekommen waren.

Die Situation hatte sehr schnell sich aufzuheizen begonnen. Bereits am 30. März wurde eine Klage gegen die Führung der UOK aufgrund der Verhinderung der Arbeit der Kommission eingereicht. Und an diesem Tag wurde auch bekannt, dass das Wirtschaftsgericht von Kiew, dass eine Klageschrift von Anwälten der UOK gegen das Freilichtmuseum „Kiewer Höhlenkloster“ zwecks Anerkennung der einseitigen Lösung des Pachtvertrages als eine ungültige angenommen hatte, deren Bitte, die Mönche bis zum Gerichtsurteil nicht zu exmittieren, nicht stattgab. An diesem Tag verabschiedete die Landesregierung auch einen Beschluss, der die Anordnung des ukrainischen Ministerkabinetts zu Zeiten von Viktor Janukowitsch vom 11. Juli 2013 über die Übergabe der Gebäude und Bauten der Lawra zur unentgeltlichen Nutzung durch die UOK als eine nicht mehr rechtskräftige anerkannte.

Die ersten Handgreiflichkeiten und Auseinandersetzungen begannen am 31. März. Damals hatte auch Metropolit Pawel in seiner Videoansprache erklärt, dass Radikale eine Erstürmung des Klosters geplant hätten und diese jeden Augenblick erfolge. Indirekt hatte dies auch der Berater des Leiters des Office des Präsidenten der Ukraine, Michail Podoljak, bestätigt, der in einer Sendung des 24. TV-Kanals gesagt hatte, dass er kein Problem darin sehe, die Vertreter der UOK „physisch zu bereinigen“. Obgleich zuvor Alexej Danilow, der Sekretär des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung, betont hatte, dass „man die Mönche aus der Lawra nicht gewaltsam vertreiben wird“. „Wir werden sie nicht an den Beinen heraustragen, wir werden keinerlei Gewalt anwenden. Sie werden selbst still und leise gehen“, sagte er.

In den Morgenstunden des 2. April hatte sich an den Mauern der Lawra eine Kolonne junger Leute in Balaclavas (Kapuzenmützen) zusammengefunden. Freilich hatten sie es nicht geschafft, aufs Klostergelände zu gelangen. Die Polizei hatte sie auseinandergetrieben. Gläubige aber befand sich tagsüber und nachts im Kloster. Mit der Festnahme von Lebedj wollten die Behörden der Protestbewegung den Anführer nehmen, was ihnen teilweise gelungen ist. Das Protestbeten im Kloster dauert nach wie vor an. Den Mitgliedern der Kommission des ukrainischen Kulturministeriums ist es jedoch am 3. April gelungen, ins Gebäude des Abts zu gelangen.

Gleich nach der Entscheidung des Stadtbezirksgerichts wandte sich Lebedj nicht nur an die Gläubigen, sondern auch an die Oberhäupter der orthodoxen Landeskirchen. Zuvor hatte der Patriarch von Moskau und Ganz Russland Kirill an Oberhäupter von Kirchen- und internationalen Organisationen den Appell gerichtet, für die Lawra einzutreten. Unterstützung für die UOK bekundeten die Patriarchen von Serbien, Antiochien und Georgien sowie die Oberhäupter der Polnischen Kirche, der Orthodoxen Kirche in Amerika und der Kirche von Tschechien und der Slowakei sowie der Klerus der Bulgarischen Kirche und der Kirchen von Griechenland und Jerusalem. Sie alle hatten sich auch für die Kiewer Geistliche Akademie und das Seminar eingesetzt, die die UOK 1989 wiederauferstehen ließ und auf dem Territorium der Lawra eine Heimstatt gab. Nunmehr vertreiben die Behörden diese Bildungseinrichtung zusammen mit den Lehrkräften und Studenten auch aus dem Kloster.

Bemerkenswert ist, dass sich für die Lawra sogar das Oberhaupt des nichtanerkannten Kiewer Patriarchats, Filaret (Denisenko) einsetzte. Nachdem er die Offiziellen aufgerufen hatte, „kein Blutvergießen zuzulassen“ und „sich mit Achtung gegenüber den in den Höhlen des Klosters ruhenden Gebeinen zu verhalten“, konstatierte er, dass die „Kiewer Lawra eine ukrainische sein und der Ukrainischen Kirche und nicht dem Moskauer Patriarchat gehören muss“. Jedoch hatte er nicht erläutert, welche der Kirchen er meinte – die UOK, die bereits am 27. Mai vergangenen Jahres ihre Unabhängigkeit von der Russisch-Orthodoxen Kirche erklärt hatte, oder die OKU, mit der Denisenko angespannte Beziehungen unterhält.

Zur gleichen Zeit kritisierte das orthodoxe Internetportal Orthodox Times die Worte des serbischen Patriarchen Porfirije (Peric), der das Geschehen mit der UOK und der Lawra als ein „Synonym für einen erschreckenden Staatsterror, aber auch für eine überaus grobe Verletzung der Grundrechte sowie ein Antasten sowohl der religiösen Freiheiten als auch der Glaubensfreiheit insgesamt“ bezeichnet hatte. „Dies ist eine direkte Attacke des Patriarchats von Serbien nicht nur gegen die Regierung der Ukraine und den Metropoliten von Kiew, Epiphanius, aus der Orthodoxen Kirche der Ukraine, sondern auch gegen den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I., der als einziger, der das Privileg hat, eine Autokephalie zu gewähren, einen Tomos für die autokephale Kirche der Ukraine gab“, schreibt das Internet-Portal.

Derweil hat das Oberhaupt der OKU, Metropolit Epiphanius (Dumenko), bereits Rechte auf die Kreuz-Errichtungskirche der Lawra angemeldet, in der vor allem gegenwärtig die Geistlichen der UOK unter Leitung von Metropolit Onufrij (Beresowskij) Gottesdienste zelebrieren. Dumenko hat es geschafft, auch seinen Abt für die Lawra zu ernennen. Zu ihm wurde der „Überläufer“ aus der UOK, der Archimandrit Awramij (Lotysch). Am 29. März richtete er an Dumenko ein Gesuch über den Wechsel zur OKU. Am 1. April zeichnete er eine Videobotschaft auf, in der er erklärte: Das, was sich gegenwärtig um die Lawra ereigne, sei eine „Befreiung“ des Heiligtums und die „Gewährung der Möglichkeit für die (Mönchs-) Bruderschaft der Lawra, frei den eigenen Willen zu bekunden“.

Dass Lotysch das Recht genommen worden war, als Geistlicher zu wirken, und per Erlass von Metropolit Onufrij aus der Mönchsgemeinde ausgeschlossen wurde, ist in der OKU nicht beachtet worden. Präzedenzfälle, als Patriarch Bartholomäus durch andere Kirchen ausgeschlossene Geistliche in Amt und Würde wiederherstellte und für das Zelebrieren von Gottesdiensten und anderer Rituale zuließ, hat es gegeben. Erst jüngst fünf litauische Geistliche, die dank Konstantinopel nicht nur ihre geistlichen Ränge bewahrten, sondern auch unter die Oberhoheit von Patriarch Bartholomäus gestellt wurden und sogar im Stadtzentrum von Vilnius eine Kirche als Eigentum erhielten. Folglich wird Patriarch Bartholomäus auch in die Situation mit dem Kiewer Höhlenkloster eingreifen müssen, zumindest um Lotysch wieder als Geistlichen einzusetzen.

„Im Jahr 2022 hatte der Sicherheitsdienst der Ukraine komplexe Gegenaufklärungsmaßnahmen (über 40) im Kirchenumfeld der UOK begonnen, die für eine Beendigung der destruktiven Tätigkeit des prorussisch eingestellten Klerus erfolgten. Im Ergebnis der vom Sicherheitsdienst der Ukraine durchgeführten Maßnahmen sind 61 Strafverfahren in Bezug auf 61 Geistliche eingeleitet worden. Insgesamt haben Gerichte bereits sieben Urteile gegen einzelne Kleriker gefällt. Zwei von ihnen wurden bei einem Austausch gegen unsere Militärs genutzt. Entsprechend von Materialien des Geheimdienstes sind Sanktionen gegen 17 Funktionäre der UOK verhängt worden. Und fast 250 Klerikern ist eine Einreise in die Ukraine verboten worden. Gleichfalls ist die Staatsbürgerschaft der Ukraine für 19 Geistliche der UOK beendet worden“, teilte Alexander Tkatschenko, der ukrainische Minister für Kultur und Informationspolitik, in seinem Telegram-Kanal mit.

Während in Kiew die Konfrontation um die Lawra erfolgte, sind in mehreren Verwaltungsgebieten des Landes Besetzungen von Kirchen der UOK vorgenommen worden. Ihr letztes Gotteshaus hat die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche in Iwano-Frankowsk verloren. In der Stadt Chmelnizkij wurde die Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kathedrale der OKU unterstellt. Gerichtsklagen hinsichtlich einer Zwangsräumung haben die Vorsteher der Sankt-Nikolaj-Kirche und der Kreuz-Errichtungskirche in Kamenez-Podolskij usw. erhalten.

Der UOK ist auch das Recht auf eine Ernennung von Militärkaplanen genommen worden. Am Abend des 2. Aprils wurde bekannt, dass man im Staatskomitee für Ethnopolitik der Ukraine religiösen Organisationen 245 Mandate zugesprochen hatte, davon 100 dem Klerus der OKU. Gleichfalls erhielten Mandate für Kaplan-Ämter die Ukrainische griechisch-katholische, die Römisch-katholische und die Ukrainische evangelische Kirche, die Ukrainische Kirchen der Christen des evangelischen Glaubens, die Geistliche Verwaltung der Moslems der Ukraine sowie eine Reihe anderer religiöser Organisationen.