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Die UNO wird zu noch einem Schlachtfeld im Kampf gegen Russland


Die Ukraine schickt sich an, die Frage nach einem Ausschluss von Russland aus den Reihen der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates anzusprechen. Dies sagte der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba. Seine Worte könnte man zum Bereich der rhetorischen Übungen rechnen, die für einen Einsatz in der Militärpropaganda bestimmt sind, wenn sie nicht mit dem harmonieren würden, was die höchsten Vertreter aus der Europäischen Union und den USA früher erklärt hatten. Russland steht im neuen Jahr 2023 augenscheinlich ein Ringen um die Bewahrung seiner gegenwärtigen Möglichkeiten in der UNO bevor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zu einem Ergebnis dieses Kampfes grundlegende Veränderungen in dieser ganzen Organisation werden.

Am letzten Dezember-Sonntag, dem 25. Dezember, erklärte Kuleba im ukrainischen Fernsehen, dass sein Land am 26. Dezember in der UNO offiziell mit der Idee auftreten werde, Die Rolle der Russischen Föderation in dieser Organisation zu revidieren. „Unsere Frage ist eine sehr einfache: Hat den Russland ein Recht, ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der UNO zu bleiben und überhaupt in der Organisation der Vereinten Nationen zu sein? Wir haben eine überzeugende und argumentierte Antwort – nein, nein“, sagte er. Unklar war freilich, an welche der UN-Strukturen sich die Ukraine wenden wollte. Der 26. Dezember war im Sicherheitsrat ein freier Tag, da es der zweite Weihnachtsfeiertag gewesen war. Wie dem nun auch immer sein mag, Kuleba verkündete die Absicht seines Landes, die Konfrontation mit Russland auch noch in der UNO zu aktivieren. Der Minister bekundete die Gewissheit, dass der Entzug der gegenwärtigen Möglichkeiten der Russischen Föderation, die Entscheidungen dieser Organisationen zu beeinflussen, lediglich eine Frage der Zeit sei.

In den Worten des hochrangigen ukrainischen Staatsbeamten ist der Kontext bemerkenswert. Dass man Russland auf irgendeine Art und Weise im Rahmen der UNO „bestrafen“ müsse, betonen die einen oder anderen Vertreter der westlichen Länder beinahe seit dem ersten Tag der militärischen Sonderoperation der Russischen Föderation in der Ukraine. Aber bis zu einer praktischen Realisierung sind alle Initiativen solcher Art bisher noch nicht gekommen. Dies ist erklärbar. „Aus der UNO eines der Gründungsländer der UNO auszuschließen, ist unmöglich. Es gibt keine solche Prozedur. Genau das gleiche betrifft auch den Entzug des Sitzes der Russischen Föderation als einen ständigen Vertreter im Sicherheitsrat der UNO. Der kann Russland nicht entzogen werden, denn es ist unklar, wie man dies tun kann. Man muss da entsprechende Veränderungen an der UN-Charta vornehmen. Und dies ist ohne eine Sanktionierung Russlands nicht möglich“, erklärte in einem Kommentar für die „NG“ Alexander Tewdoi-Burmuli, Dozent am Lehrstuhl für Integrationsprozesse in der Moskauer Diplomatenhochschule MGIMO.

Dennoch spricht man in den letzten Monaten sowohl in der EU als auch in den USA immer häufiger davon, dass es im neuen Jahr Veränderungen in der UNO geben müsse, die dazu bestimmt seien, den Einfluss Russlands in ihr zu verringern. Vor einigen Tagen gewährte EU-Ratspräsident Charles Michel dem bekannten Journalisten Alexej Wenediktor (einst Chefredakteur des Hörfunksenders „Echo Moskaus“, der vom russischen Justizministerium inzwischen ins Register der sogenannten „ausländischen Agenten“ aufgenommen wurde) ein Interview, das vom Fernsehsender RTVI ausgestrahlt wurde. Darin trat der EU-Beamte vom Wesen her ebenfalls mit eben jener Idee wie auch Kuleba auf, wenn auch in einer weniger radikalen Variante. „Aus meiner Sicht müsste man einen Mechanismus für ein Aussetzen der Mitgliedschaft schaffen. Ich spreche nicht von einem vollständigen Ausschluss Russlands, sondern zumindest von einer Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im Sicherheitsrat“, sagte Michel, wobei er freilich eingestand, dass „dies zum gegenwärtigen Moment unmöglich ist“. Im US-Kongress ist man allerdings anderer Meinung.

Mitte Dezember hatten zwei Mitglieder des Repräsentantenhauses, der Demokrat Steve Cohen und der Republikaner Joe Wilson Sr., in dieses einen Gesetzentwurf eingebracht. Darin wird vorgeschlagen, eine Resolution zu verabschieden, die US-Präsident Joe Biden und das Außenministerium aufrufen, Konsultationen mit den Verbündeten von Washington mit dem Ziel durchzuführen, um Formen zu finden, um „die Rechte und Privilegien, die Russland im Sicherheitsrat der UNO hat, einzuschränken, auszusetzen oder aufzuheben“. Diese Initiative kann man als eine gewisse Geste zur Unterstützung der Ukraine ansehen. Die Werchowna Rada (das ukrainische Parlament – Anmerkung der Redaktion) verabschiedete im Dezember eine Erklärung über die Notwendigkeit eines Ausschlusses von Russland aus den Vereinten Nationen. Es wird erwartet, dass die Gesetzesvorlage von Cohen und Wilson Sr. im Januar behandelt wird, wenn die neue Zusammensetzung des Kongresses, die nach den Zwischenwahlen (auch als Midterms bezeichnet – Anmerkung der Redaktion) im November gebildet wurde, die Arbeit aufnehmen wird.

Von der Notwendigkeit, Veränderungen an der Arbeit der UNO vorzunehmen, spricht auch Biden. Im vergangenen September sprach er sich für eine Reformierung des Sicherheitsrates aus. Derzeit besteht der UN-Sicherheitsrat aus 15 Mitgliedern. Fünf von ihnen (Russland, China, die USA, Großbritannien und Frankreich) sind ständige. Sie besitzen ein Vetorecht in Bezug auf die Beschlüsse des Sicherheitsrates. Dieses Recht hat die Russische Föderation mehrfach im Verlauf des russisch-ukrainischen Konflikts ausgenutzt. Im vergangenen Herbst ist beispielsweise durch sie der von Albanien unterbreitete Resolutionsentwurf blockiert worden, in dem die Referenda im Donbass sowie in den Gebieten Saporoschje und Cherson verurteilt werden sollten. Dabei hatten zehn der 15 Mitglieder des Gremiums dieses Dokument unterstützt. Dagegen war außer Russland keiner aufgetreten. China, Indien, Brasilien und Gabun hatten sich der Stimme enthalten.

Im zu Ende gegangenen Jahr hat der Westen eine Form gefunden, zumindest die Medien-Wirkung der russischen Vetos zu verringern. Auf Vorschlag von Liechtenstein ist ein System eingeführt worden, dem entsprechend nach dem russischen Veto gegen ein Dokument, das im Zusammenhang mit dem Konflikt der Russischen Föderation und der Ukraine angenommen werden soll, die UN-Vollversammlung zusammentritt. Sie führt eine Abstimmung zur gleichen Frage durch. Ihre Resolutionen tragen aber im Unterschied zu den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates keinen verbindlichen Charakter. Zumindest wird aber so demonstriert, auf wessen Seite sich die Mehrheit der Länder in der Welt befindet.

Augenscheinlich wird im neuen Jahr 2023 ein Ringen um die Aufstockung der Zahl der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates beginnen. Vom Prinzip her billigt Russland diese Idee. Die Frage besteht lediglich darin, welche Länder dies sein werden. Während Moskau den Beitritt von Brasilien und Indien zur Zahl der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates billigt, tritt es dagegen auf, dass der Fünfer-Klub durch Deutschland und Japan erweitert, deren Kandidaturen die USA unterstützen. Wie sich der russische Außenminister Sergej Lawrow ausdrückte, werde die Aufnahme dieser beiden Länder dieses Gremium in die Waffe einer „hörigen Mehrheit der westlichen Länder“ verwandeln. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Moskau und Washington nicht die einzigen sind, die ihre Vorstellungen bezüglich einer Reform der Vereinten Nationen haben. Der Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, hatte sich mehrfach dafür ausgesprochen, einen Vertreter der moslemischen Welt in den Sicherheitsrat aufzunehmen. Als solch einen sieht er sein Land. Somit verspricht das Ringen um eine Reformierung der UNO, zu einem hitzigen zu werden.

Post Scriptum:

Laut einer letzten Umfrage des staatlichen Allrussischen Meinungsforschungszentrums VTsIOM zur Außenpolitik des Landes vor dem Jahreswechsel erklärten 54 Prozent der Befragten, dass sie mit der Außenpolitik zufrieden seien, die gegenwärtig das Land verfolge. Derweil übten 21 Prozent der Befragten Kritik an dieser Politik, wobei die Soziologen keine Differenzierung zu den Ursachen vornehmen. Und 18 Prozent waren nur teilweise mit der russischen Außenpolitik zufrieden.