Die Probleme der Ungleichheit und Ungerechtigkeit bleiben wichtige wunde Punkte in der Vorstellung der russischen Bevölkerung, erklären Soziologen. Am meisten sprechen Russlands Bürger von einer ungerechten Verteilung der Einkommen und des Eigentums. 40 bis 50 Prozent der Bürger verweisen auf eine unwürdige Vergütung für ihre Arbeit, für ihre intellektuellen Fähigkeiten und Qualifikation. In den 2020er Jahren hat sich die Brisanz der Wahrnehmung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Russischen Föderation verringert, was mit dem Auftreten neuer äußerer Schocks zusammenhängen kann, die alle Bevölkerungsschichten tangieren, konstatieren Spezialisten.
Auf der Liste der schmerzhaften Probleme für die russische Gesellschaft befindet sich die Ungleichheit der Einkommen, die nicht nur als eine große, sondern auch eine ungerechte aufgefasst wird, an erster Stelle.
Unter den nicht mit Geld verbundenen Ungleichheiten nimmt die Bevölkerung am stärksten die Ungleichheiten wahr, die mit den Basisaspekten der Lebensqualität zusammenhängen. Dies gilt für die Wohnbedingungen und den Zugang zu medizinischer Hilfe.
„Die Ungleichheiten werden heute von Russlands Bürgern in größerem Maße als ein gesellschaftliches Problem bewertet, das eher eine gerechte soziale Ordnung zerstört denn sie persönlich tangiert“, meint Swetlana Marejewa, Autorin der Untersuchung aus dem Institut für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften. Solch eine Wahrnehmung durch die Gesellschaft erschwere die Lösung der Aufgabe des Staates zur Verringerung der Ungleichheit, da sie nicht nur eine Verbesserung der Situation in jenen Bereichen erfordere, in denen Russlands Bürger einen hohen Grad an Ungleichheit fixieren, sondern auch ein Demonstrieren des Strebens nach den Basisprinzipien der Gerechtigkeit entsprechend den normativen und Wertvorstellungen der Bevölkerung, betont die Soziologin.
Die Angaben der letzten Jahre demonstrieren eine geringe Verringerung der Brisanz des Problems der Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Russischen Föderation. So hatten im vergangenen Jahr 8,4 Prozent der Befragten von einem Nichtbestehen akuter Ungleichheiten im heutigen Russland gesprochen, während dies in den Jahren 2018 und 2022 1,5 bzw. 4,1 Prozent der Bevölkerung erklärt hatten. Eine noch stärkere Veränderung vollzog sich in der Bewertung der persönlichen Schmerzhaftigkeit in Bezug auf Ungleichheiten. Der Anteil jener, die der Auffassung sind, dass sie keinerlei Ungleichheiten tangieren würden, ist von 9,3 Prozent im Jahr 2018 und 14,1 Prozent im Jahr 2022 bis auf den gegenwärtigen Wert von 24,4 Prozent angestiegen.
Die ausgewiesenen Zahlen belegen, dass 92 Prozent der Bevölkerung der Russischen Föderation ein Bestehen akuter Ungleichheiten im heutigen Russland konstatieren. Dabei sagen drei Viertel der Bevölkerung Russlands, dass sie die in der Russischen Föderation bestehenden Ungleichheiten persönlich schmerzhaft berühren würden. Über ein Nichtbestehen von Ungleichheiten in der Gesellschaft sprechen häufiger junge Bürger Russlands, aber nicht unter den allerjüngsten. Rund 16 Prozent der Befragten im Alter von 25 bis 29 Jahren machen keine schmerzhaften Ungleichheiten aus. Dagegen sprechen aber Spezialisten mit einer Hochschulbildung weniger vom Nichtbestehen von Ungleichheiten in Russland.
Die Konstatierung einer persönlich schmerzhaften Wahrnehmung von Ungleichheiten hängt von der Höhe der Einkommen und der materiellen Lage der Befragten ab. Je höher die Einkommen, desto größer ist der Anteil derjenigen, die in ihrer Lebenssituation keine Erscheinungen von Ungleichheiten verspüren. Und die Unterschiede zwischen den Gruppen erreichen ein 4faches – von 10,9 Prozent unter jenen, deren Einkommen geringer als 0,75 der medianen Werte entsprechend jedem Typ von Ortschaften ist, bis 42 Prozent unter jenen, deren Einkommen um das 2fache die Mittelwerte übersteigt.
Die Wahrnehmung der Ungleichheiten hängt eindeutig von der Lage des jeweiligen Befragten in der sozialen und beruflichen Hierarchie ab. Über 40 Prozent der Unternehmer und Führungskräfte erklären das Nichtbestehen der einen oder anderen Erscheinungen von Ungleichheit in ihrem Leben. Unter den Fachleuten mit einer Hochschulausbildung verringert sich dieser Anteil bis auf 31,9 Prozent. Unter den Beschäftigten des Handels und Dienstleistungsbereichs sprechen 26 Prozent von einem Nichtbestehen der einen oder anderen Erscheinungen von Ungleichheiten in ihrem Leben.
Unter den Ungleichheiten, die Russlands Bürger an sich tangieren, rangiert an erster Stelle die Ungleichheit der Einkommen. Die betrachtet jeder zweite (50,9 Prozent) für sich als eine schmerzhafte. Weiter folgt die Ungleichheit hinsichtlich des Zugangs zu medizinischer Hilfe (27,1 Prozent). Etwa jeder fünfte Befragte hält für sich die Ungleichheit in Bezug auf die Wohnungsbedingungen und auf den Zugang zum Arbeitsmarkt für wichtig.
Russlands Bürger sprechen spürbar häufiger von der Brisanz der einen oder anderen Ungleichheiten für die Gesellschaft als für sie persönlich. Diese Tatsache reflektiert die Wahrnehmung der sich in der Gesellschaft durchgesetzten „Spielregeln“ als vom Prinzip her ungerechte und nicht als solche, die ihre Interessen beeinträchtigen. Solch ein Unterschied bei der Bewertung der Wichtigkeit der Ungleichheiten für die Gesellschaft insgesamt und für sich persönlich betrifft alle am meisten in der Russischen Föderation verbreiteten Ungleichheiten.
Am spürbarsten ist die entsprechende Differenz in den Bewertungen der Ungleichheit der Einkommen und der Wohnbedingungen, die weitaus stärker in der Gesellschaft insgesamt als in der individuellen Situation wahrgenommen werden. Etwas geringer ist diese Kluft hinsichtlich der Ungleichhe