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Die USA und die Europäische Union sind zur Offensive im Südkaukasus übergegangen


In den Abendstunden des 30. Juni trafen die Auswahlmannschaften Georgiens und Spaniens im Achtelfinale der UEFA-Fußballeuropameisterschaft in Deutschland aufeinander. Ungeachtet der 4-zu-1-Niederlage wurde das Match für Tbilissi auf jeden Fall zu einer historischen Leistung. Die georgische Nationalelf hatte erstmals in ihrer Geschichte an solch einem Turnier teilgenommen und schaffte dabei aus eigener Kraft den Einzug ins Achtelfinale. Die Offiziellen Georgiens hielten dies für noch einen Beleg für den alternativlosen Charakter der Zukunft des Landes in der Europäischen Union. Derweil haben in den letzten Tagen die USA und die EU ihre Aktivitäten im Südkaukasus spürbar verstärkt, wobei sie eine euro-atlantische Integration offerieren.

In Aserbaidschan traf der Berater des US-Außenministers für Fragen Europas und Eurasien, James C. O’Brien, ein. Er erklärte vor allem, dass Jerewan, Baku und Tbilissi zum NATO-Summit als Partner des Militärblocks eingeladen seien. Zweitens rief der Diplomat die armenischen und aserbaidschanischen Offiziellen auf, schneller einen Friedensvertrag zu unterzeichnen und die Verbindungswege in der Region zu deblockieren. „Ein Weg führt via Georgien zum Schwarzen Meer. Ein anderer aber, der potenziell bedeutender ist, würde über Aserbaidschan, Armenien und die Türkei verlaufen. Und aufgrund dieser Erwägungen brauchen wir ein Friedensabkommen zwischen Aserbaidschan und Armenien“, unterstrich O’Brien.

Seinerseits traf sich EU-Chefdiplomat Josep Borrell mit Armeniens Außenminister Ararat Mirzoyan. „Die Gesprächspartner tauschten Meinungen zu Fragen der internationalen und regionalen Sicherheit aus. Hervorgehoben wurden die negativen Folgen der Praxis einer Lösung von Problemen mit Gewalt und die Notwendigkeit einer Achtung der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts“, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums der Republik. Die Seiten erörterten gleichfalls eine Liberalisierung des Visa-Regimes zwischen der EU und Armenien.

Mirzoyn traf sich außerdem mit dem ukrainischen Amtskollegen Dmitrij Kuleba. Sie sprachen über ihre Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. Eine Woche zuvor hatte der Botschafter der Ukraine Jurij Gusew dem Energieminister Aserbaidschans, Parviz Schachbazov, für die Hilfe beim Wiederaufbau des ukrainischen Energiesystems gedankt, das im Verlauf der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine massiv zu Schaden gekommen ist.

Was Georgien angeht, so hatte die Landespräsident Salomé Zurabishvili direkt erklärt, dass die Auswahl im Verlauf der Fußball-EM in Deutschland nicht einfach siegen würde, sondern die ganze Republik in die Europäische Union führen würde. Parallel dazu hatte der „graue Kardinal“ Georgiens, Bidsina Iwanischwili, beschlossen, den Fußballern für das Erreichen des Achtelfinals 10,7 Millionen Dollar bereitzustellen. Und er hatte versprochen, noch einmal so viel Geld für einen Sieg gegen Spanien lockerzumachen. Dabei hatte der Erste georgische TV-Kanal das Match gegen die Spanier als ein „Treffen der zwei Iberias“ annonciert, wobei darauf angespielt wurde, dass die Spanier und Georgier in der weitzurückliegenden Vergangenheit ein Volk gewesen seien.

Die Idylle zerstörte teilweise die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der EU, wonach das georgische Gesetz über ausländische Agenten faktisch die Euro-Integration des Landes gestoppt habe. Georgiens Regierung bemüht sich jedoch, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen, um die Polarisierung in der Gesellschaft nicht unnötig zu vertiefen, die sich auch so in den vergangenen Monaten zugespitzt hatte. „Ich möchte noch einmal unseren stolzen Spielern dafür danken, dass unser Land heute geschlossen, stolz und stark ist, unterstrich Tornike Rischwadse, Regierungschef der georgischen Teilrepublik Adscharien und Vertreter der Regierungspartei „Georgischer Traum“.

Nach Meinung des Politologen Alexej Makarkin werde der Erfolg des Westens bei der Ausbreitung seines Einflusses im Südkaukasus davon abhängen, wie effektiv er die regionalen Probleme lösen kann. Die USA und die Europäische Union würden beispielsweise Tbilissi wohl kaum helfen können, die Kontrolle über Abchasien und Südossetien zurückzuerlangen, oder Aserbaidschan nötigen, mit Armenien einen Friedensvertrag zu für Baku unzureichend vorteilhaften Bedingungen zu unterzeichnen.

„Zur gleichen Zeit gibt es aber den Faktor der jungen Menschen, die heute vor allem in der Europäischen Union leben möchte. Sogar mehr als einige Europäer… Im Zusammenhang damit kann der Westen damit rechnen, dass er Russland im Südkaukasus verdrängt und dessen Einfluss im Vergleich zu den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre spürbar verringert. Es wird aber nicht gelingen, Russland vollkommen aus der Region herauszudrücken“, meint Makarkin. Nach seinen Worten würden die Länder der Region eine Mehrvektoren-Politik verfolgen, wobei sie in größerem Maße Beziehungen mit jenen unterhalten würden, die ihnen zum gegenwärtigen Moment nützlicher sein werden.

Der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für internationale Studien an der Diplomatenhochschule MGIMO des russischen Außenministeriums, Nikolaj Silajew, hat ebenfalls keine großen Perspektiven für die Versuche des Westens, seinen Einfluss auf den Südkaukasus auszudehnen, ausgemacht. „Die USA und die Europäische Union haben dafür zu wenig militärische und wirtschaftliche Ressourcen. Russland, die Türkei und der Iran können den regionalen Akteuren weitaus mehr offerieren. So können die USA nicht einmal der Ukraine wirksame Sicherheitsgarantien anbieten. Und Armenien werden sie umso mehr nichts versprechen“, unterstrich der Experte. Nach seiner Auffassung werde der Westen bei der Entwicklung seiner Aktivitäten im Südkaukasus lediglich erreichen, dass das Ansehen Russlands in der Region untergraben wird. Er könne es aber nicht ersetzen,meint Silajew